fluter.de: Esther, du lebst zurzeit auf der Südseeinsel Moorea. Von Deutschland aus gesehen in Sichtweite der Fidschi-Inseln. Wie sehr ist der Klimawandel dort schon zu spüren?

Esther Gonstalla: Die Strände sind in den letzten 30 Jahren ein schmaler Streifen geworden, und der steigende Meeresspiegel bedroht die sehr nah am Wasser gebauten Häuser und Blechhütten. Die Menschen haben Angst vor der Zukunft. Einerseits vor Überflutungen und Stürmen. Andererseits versiegt ihre Hauptnahrungsquelle langsam: der Fisch. Die Korallenriffe in den Lagunen vor den Inseln sind abgestorben. Dort erhitzt sich das Wasser sehr viel stärker als im offenen Ozean. Auf den toten Riffen breitet sich die Ciguatera-Alge aus. Die Fische ernähren sich von ihr und werden giftig für den Menschen. Bis zu 1.000 Fälle von Fischvergiftung werden hier pro Jahr in Krankenhäusern registriert.

Was tun die Menschen auf Fidschi dagegen?

 

Sie bringen die Bedrohungen oft nicht direkt mit dem globalen Klimawandel in Verbindung. Es müsste noch viel mehr Aufklärungs- und vor allem Forschungsarbeit auf den Inseln geleistet werden. Man ist sich aber im Klaren darüber, dass man vielleicht wegziehen muss. Das ist für viele zu teuer. Wenn es gar nicht mehr anders geht, werden sie wahrscheinlich auf eine der vielen vulkanischen Inseln ziehen, wie Tahiti oder Moorea, und dort die Hänge besiedeln.

Für dein Ozeanbuch hast du Zahlen und Fakten über die Ozeane und den Klimawandel gesammelt. Ist es wirklich so schlimm?

Es ist vermutlich noch schlimmer. Ich sehe mein Buch eher als Spitze des Eisbergs, es macht einen kleinen Bruchteil dessen sichtbar, was Forscher in den letzten Jahrzehnten über die Meeresökosysteme und die menschengemachten Probleme der Meere herausgefunden haben. Dabei dürfen wir nicht vergessen, dass die Ozeane und die Tiefsee noch zu 95 Prozent unerforscht sind. Wir Menschen und das gesamte Leben auf unserem Planeten sind von der Gesundheit der Ozeane abhängig.

Wissenschaftler gehen davon aus, dass noch in diesem Jahrhundert große Ballungsgebiete wie Miami oder Bangladesch umgesiedelt werden müssen. Welche anderen Folgen werden in naher Zukunft zu spüren sein?

Viele Menschen aus dem globalen Süden werden vor den Folgen des Klimawandels flüchten. Es sind die ärmeren Länder im Gürtel der Hurrikane und Zyklongebiete, die am stärksten betroffen sein werden. Ich bin keine Wissenschaftlerin, aber es ist klar: Das wahre Ausmaß wird sicher sehr viele Lebensbereiche berühren. Zwei praktische Beispiele:

Die Zerstörung der Riffe, die Ausbreitung von Sauerstoff-Minimum-Zonen im Ozean und die Versauerung der Meere tragen dazu bei, dass es immer weniger Fische gibt. Der Preis für Fisch wird also steigen oder Fisch sogar als Nahrungsquelle ganz wegbrechen. Auch andere Lebensmittel werden teurer: Überflutungen, Stürme und Dürren vernichten Ernten und lassen die Preise für Obst, Getreide und Gemüse weltweit steigen. Das wird vermutlich Millionen Menschenleben – besonders auf der Südhalbkugel – kosten.

Müssen wir uns von unserer Bequemlichkeit verabschieden und unser Verhalten ändern? 

Klar, die Frage ist nur: Wie können wir den Übergang hin zu einer Gesellschaft gestalten, die die Ressourcen unseres Planeten respektiert und nicht gnadenlos ausbeutet? Das wird eine große Frage sein in der Zukunft. Während ich am Ozeanbuch gearbeitet habe, habe ich sechs Monate lang auf einem kleinen Segelboot gelebt. Ich brauchte nur zwei Solarpaneele für die gesamte Energie und 25 Liter Süßwasser pro Woche.

Du musstest für die Recherche auf einem Boot leben? 

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Das Ozean-Buch

Esther Gonstalla: Das Ozean-Buch. Über die Bedrohung der Meere, oekom verlag, München 2017, 24 Euro.

Nein, das war nicht nötig für die Recherche (lacht). Das ist mein Lebensstil: Ich bin digitale Nomadin. Als freie Grafikerin ist es egal, wo auf der Welt ich lebe. Auf dem Ozean im Boot zu leben hat mir gezeigt, in was für einem unnützen Überfluss ich vorher gelebt habe und wie kostbar unsere Ressourcen sind. Das Prinzip lebe ich seitdem weiter, es macht glücklich, wenige Ressourcen zu verbrauchen und damit einen kleinen, bescheidenen Beitrag geleistet zu haben. Jeder Einzelne kann mit seiner Konsumentscheidung oder -verzicht große Veränderungen bewirken. Daran müssen wir glauben, und danach sollten wir handeln.

Und was erwartest du von der internationalen Politik? Bei dem Gipfel in Bonn wird über die konkrete Umsetzung des Klimaschutzabkommens von Paris verhandelt. Ein Hoffnungsschimmer?

Ich würde mir wünschen, dass große Industrienationen wie Deutschland, die schon weit gekommen sind im Umweltschutz, mit gutem Beispiel vorangehen und die Vereinbarungen umsetzen. Statt den beschlossenen 40 Prozent schafft die Bundesregierung aber wahrscheinlich nur eine CO2-Reduktion um 30 Prozent bis 2020 im Vergleich zum Jahr 1990. Für mich ist das ein Skandal! Genauso sieht es bei fast allen anderen Ländern aus, die vor zwei Jahren das Pariser Klimaschutzabkommen unterschrieben haben. Donald Trump hat diesen Sommer ja sogar angekündigt, das Abkommen komplett aufzukündigen.

Blicken die Menschen auf Fidschi und Moorea gespannt auf den Bonner Gipfel?

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Esther Gonstalla

Esther Gonstalla hat die Bedrohung durch den Klimawandel in Französisch-Polynesien täglich vor Augen. Mit ihren Infografiken möchte sie Umweltthemen für alle anschaulich machen

Ehrlich gesagt habe ich nicht das Gefühl, dass sich hier viele Menschen dafür interessieren. In der Tageszeitung von Tahiti gab es nur einen Bericht zum Gipfel. Man sucht vergeblich einen Hintergrundartikel darüber, wie Französisch-Polynesien, wo Moorea liegt, vom Klimawandel betroffen sein könnte. Ich denke, das liegt an der fehlenden Forschung. Es gibt dadurch keine öffentliche Debatte und keine öffentliche Aufklärung. Der letzte offizielle Klimabericht zu Französisch-Polynesien ist von 2010 und geht in den wichtigen Punkten nicht ins Detail. Oft wird schlicht darauf verwiesen, dass es keine Daten und Fakten gibt. Das liegt auch daran, dass aus Frankreich, zu dessen Staatsgebiet die Inseln gehören, keine finanzielle Hilfe kommt. Es gibt keine Strategie, um die vielen Inseln Polynesiens auf die negativen Auswirkungen des Klimawandels vorzubereiten.

Titelbild: Kadir van Lohuizen / laif