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Ein Land mit Aussichten

Warum ausgerechnet Kasachstan? Interview mit den beiden deutschen Journalistinnen Othmara Glas und Edda Schlager, die hier leben und von dem Land fasziniert sind: auch weil hier alles im Werden ist

fluter.de: Edda, du arbeitest hier in Kasachstan bereits seit 2005 als freie Auslandskorrespondentin. Wie hast du das Land vorgefunden, und was hat sich in dieser Zeit verändert?

Edda: Kasachstan hat in dieser Zeit einen Riesensprung gemacht, wenn wir von Almaty sprechen. In den ländlichen Regionen hat sich gar nicht so viel verändert. Nach dem Zerfall der Sowjetunion war die wirtschaftliche Lage dramatisch. Als ich 2005 hier ankam, erholte sich Kasachstan gerade so davon. Dennoch, die städtische Infrastruktur war beispielsweise noch nicht so entwickelt wie heute. Es gab noch überall Marschrutki (Sammeltaxis) oder Straßenbahnen, an denen „Betriebsbahnhof Marzahn“ stand. Wir sitzen hier in einem schönen, netten, mondänen Café, wie man es auch in Berlin finden könnte. So etwas gab es damals noch nicht. Insgesamt ist es nach außen „zivilisierter“ geworden. Was Rechtsstaatlichkeit, Korruption oder die politische Situation angeht, da hat sich nicht wirklich was geändert. Aber Kasachstan hat in dieser Zeit gelernt, sich gut zu verkaufen und, sagen wir mal, Demokratie zu spielen. 

Muss Kasachstan überhaupt Demokratie vorspielen, schließlich wird es meistens als autoritär geführtes Land wahrgenommen?

Edda: Kasachstan hat großes Interesse daran, außenpolitisch als moderne Demokratie wahrgenommen zu werden. Dafür werden immer wieder große imagebildende Maßnahmen wie etwa die Expo 2017 in der Hauptstadt Astana initiiert. Die Umbenennung einer der großen Prachtstraßen in Almaty ist ein Weiteres. Bis vor kurzem hieß sie noch „Furmanow-Straße“. 2017 wurde sie aber nach dem kasachischen Präsidenten in „Nasarbajew-Prospekt“ umbenannt. Ähnlich verhält es sich mit der geplanten Umstellung des Alphabets von kyrillischen auf lateinische Schriftzeichen. So etwas wird nicht öffentlich diskutiert. Es wird beschlossen und als vom Volk gewollt dargestellt. 

Othmara: Kasachstan ist im Nation Branding sehr aktiv. Es achtet stark darauf, wie es sich nach außen verkauft. Dabei geht es nicht nur um Großereignisse. Die Astana-Friedensgespräche zu Syrien zwischen Moskau, Teheran und Ankara fallen sicher ebenso darunter. Auch konnte sich Präsident Nursultan Nasarbajew als internationaler Vermittler präsentieren, als das Land zu Jahresbeginn die Präsidentschaft im UN-Sicherheitsrat übernahm. Zuvor hatte Kasachstan 2010 bereits den OSZE-Vorsitz inne. Nicht zuletzt ist Kasachstan durch seine Rohstoffe ein attraktiver Partner und kann sich natürlich dadurch auch nach innen Legitimität verschaffen – indem die Regierung den Kasachen sagt: „Hier, schaut mal: Die USA, Deutschland und andere europäische Staaten wollen mit uns zusammenarbeiten.“ Das Interesse westlicher Demokratien wird so für sich genutzt.

 „Ich bin sicher, in Kasachstan besteht ein gewisses Interesse daran, dass internationale Medien über das Land berichten. Und wenn Journalisten ausgewiesen würden, würde das ein schlechtes Licht auf das Land werfen“

Beobachterorganisationen wie Reporter ohne Grenzen oder Amnesty International berichten wiederholt darüber, dass Journalisten und Menschenrechtsaktivisten mit Schikanen und Gefängnis rechnen müssen. Wie wirkt sich dieses Klima auf eure Arbeit aus? 

Othmara: Es gibt manche Themen, über die hier anders berichtet wird als bei uns. Manchmal muss ich dann eine andere Perspektive einnehmen, andere Aspekte in den Vordergrund stellen oder auch darauf verzichten. Das ist ein Lernprozess.

Edda: Ich bin sicher, in Kasachstan besteht ein gewisses Interesse daran, dass internationale Medien über das Land berichten. Und wenn Journalisten ausgewiesen würden, würde das ein schlechtes Licht auf das Land werfen. Ich persönlich lasse die Themen Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte in meine Arbeit einfließen, aber berichte auch über positive Wenden wie zum Beispiel Fortschritte bei der Wiederherrichtung des Aralsees.

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Othmara Glas und Edda Schlager  (Foto: privat)

Othmara Glas (26), seit Herbst 2017 ifa-Redakteurin der „Deutschen Allgemeinen Zeitung“ (DAZ) in Almaty, der Zeitung der deutschen Minderheit Kasachstans und Edda Schlager (46), freie Auslandskorrespondentin für Zentralasien. Sie lebt seit 2005 in Almaty, Kasachstan

(Foto: privat)

Man spricht häufig von einer Region namens „Zentralasien“. Dabei gibt es hier wenig Institutionen regionaler Integration und staatenübergreifender Zusammenarbeit. Ist der Begriff verfehlt?

Edda: Wenn man sich die letzten 30 Jahre anschaut, mag das durchaus sein. Alle fünf Länder (Anm. d. Red.: Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan) waren vor allem mit eigener Identitätsfindung und Nation Building beschäftigt. Aber zu Sowjetzeiten war die Region schon deutlich verzahnter. So gibt es nach wie vor auch einige Verbindungen. Und die Menschen freuen sich, dass es in diese Richtung einige Veränderungen gibt. Vielleicht wäre es nicht schlecht, so eine Art zentralasiatisches Bündnis einzugehen.

Gibt es Pläne dafür?

Othmara: Es gibt Bestrebungen, dass alle fünf Länder wieder zusammenkommen. Im März gab es den Gipfel in Astana, auf dem sich die vier Präsidenten Kasachstans, Kirgisistans, Tadschikistans und Usbekistans und zumindest eine turkmenische Delegation trafen. Der turkmenische Präsident Gurbanguly Berdimuhamedow selbst ist nicht angereist. 

Und es gibt noch verschiedene Kooperationsformate wie zum Beispiel die Eurasische Wirtschaftsunion (EAWU) oder das russische Militärbündnis, die Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS).

Beobachter sehen in genau diesen von Moskau dominierten Organisationen Parallelstrukturen, die die Bemühungen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) konterkarieren.

Othmara: Im Fall von Kasachstan kann man nicht pauschal sagen, dass sich das Land von Moskau komplett einspannen lässt. Man will sowohl mit Russland, mit der EU, mit den USA als auch mit China zusammenarbeiten. Diesen Konkurrenzkampf zwischen den Ländern und Organisationen weiß Kasachstan für sich zu nutzen. 

Edda: Kasachstan verfolgt da eine sogenannte Multivektor-Politik (Anm. d. Red.: Bestreben, durch Bündnisse mit verschiedenen Partnern eigenständig zu bleiben). Die Frage ist: Wer definiert eigentlich Zentralasien als eine Region? Es ist nicht naturgegeben, dass man immer noch dem Einflussgebiet der früheren Sowjetunion angehört. Die Länder wollen sich emanzipieren, und das geschieht in unterschiedlichem Tempo und entsprechend mit unterschiedlichen Interessen in den fünf zentralasiatischen Staaten. Ich glaube, dass gerade die Präsidenten der beiden großen Staaten, Nasarbajew und Mirsijojew, eine regionale Zusammenarbeit als identitätsstiftend und vorteilhaft ansehen.

„Alle zentralasiatischen Staaten sind bis heute säkular. Der Kampf gegen Terrorismus und Extremismus wird hier immer wieder missbraucht, um missliebige Gruppierungen oder Aktivisten auszuschalten“

Das führt uns zur Frage nach der Verkehrssprache in der Region. In welcher Sprache arbeitet ihr hier?

Edda: Ich habe ja nun mittlerweile Russisch gelernt. Allerdings sprechen die Menschen im Süden von Kasachstan oder teilweise in Tadschikistan zunehmend weniger oder nur noch ganz schlecht Russisch. Da die Beherrschung des Russischen ein Bildungskriterium ist, verlassen viele Zentralasiaten, die Russisch als Muttersprache oder Fremdsprache beherrschen, ihre abgelegene Heimat, weil sie mit diesen Kenntnissen woanders bessere Perspektiven haben. 

Othmara: Ich arbeite für ein deutsch- und russischsprachiges Medium. Dementsprechend sind meine Kommunikationssprachen Deutsch und Russisch, manchmal aber auch Englisch. Ich bin auch immer wieder überrascht, wie viele Menschen im postsowjetischen Raum Deutsch als zweite Fremdsprache gelernt haben. Und die freuen sich häufig, wenn Deutsche kommen und sie ihre Kenntnisse anwenden können. 

Zentralasien ist islamisch geprägt und befindet sich in unmittelbarer Nachbarschaft zu Afghanistan. Wie sieht es hier sicherheitspolitisch aus?

Edda: Zunächst einmal: Alle zentralasiatischen Staaten sind bis heute säkular. Der Kampf gegen Terrorismus und Extremismus wird hier immer wieder missbraucht, um missliebige Gruppierungen oder Aktivisten auszuschalten. In Usbekistan unter Karimow beispielsweise hatte das System. Die Leute kamen auf schwarze Listen potenzieller Extremisten, wenn sie sich nur gegen die Regierung geäußert hatten, selbst wenn dies gar nichts mit Religion zu tun hatte. Gleichzeitig ist das religiöse Leben in den vergangenen Jahren stärker und sichtbarer geworden. Aber diese Wahrnehmung, die man im Westen häufig hat, dass Zentralasien eine Keimzelle für Islamisten sei, ist so nicht ganz richtig. Es sind vor allem die Arbeitsemigranten aus Zentralasien in Russland, die dafür besonders anfällig zu sein scheinen. Aber sie radikalisieren sich meist nicht hier in Zentralasien, sondern im Ausland. Der besonders enge Familienverband, der den Menschen hier Halt gibt, wird durch die Arbeitsmigration zerrissen. Und entsprechend verlieren sie ihren sozialen Halt. Diese Zusammenhänge sollte man differenzierter recherchieren und darstellen.

Bleibt ihr dieser Region treu?

Othmara: Zentralasien ist sehr spannend, und es gibt so viel zu berichten. Ich kann mir hier eine wichtige Nischenkompetenz aneignen. Aber ich bin noch jung und kann nicht mit Sicherheit sagen, ob ich auch in fünf Jahren noch hier sein werde.

Edda: Zentralasien ist journalistisch so reich, obwohl es auch gerade für Journalisten eine schwierige Region ist. Die Offenheit der Menschen und ihr Interesse an uns Fremden finde ich toll. Eine der witzigsten Fragen, die ich hier jemals gestellt bekommen habe, war: Stimmt es, dass in Deutschland Männer und Frauen zusammen nackt in die Sauna gehen? Die Antwort hat Fassungslosigkeit, aber auch viele weitere Nachfragen ausgelöst. Insofern sind wir Journalisten nicht nur als Zentralasien-Erklärer in Deutschland unterwegs, sondern auch umgekehrt als Botschafter Deutschlands in dieser Region. 

Titelbild: Taylor Weidman/Bloomberg via Getty Images

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