Die Industrialisierung ließ um das Jahr 1900 die Städte in Deutschland wachsen und wachsen. Mit der Ausbreitung der Stadtzentren schwand das Grün. Kinder und Jugendliche spielten jetzt nicht mehr auf großen Wiesen Fußball, sie kickten zwischen Fabrikhallen und Arbeitersilos. In der Schule wurden sie ohnehin nicht wie Kinder behandelt, sondern wie Erwachsene im Wartestand.
Angesichts von Industrialisierung und Verstädterung der Jugend eine Alternative bieten – Ausflüge in die Natur
Im Dorf Steglitz bei Berlin entstand damals die Idee, der Jugend eine Alternative zu bieten: Ausflüge in die Natur mit ausgedehnten Wanderungen und Gesang. Diese sogenannte Wandervogel-Bewegung diente anderen Jugendorganisationen als Vorbild. Auch katholische und evangelische Jugendvereine boten bald Ausflüge ins Grüne an. Im Oktober 1913 schließlich wanderten etwa 3.000 Mitglieder der „Freideutschen Jugend“ auf einen kleinen Berg in Hessen, den Hohen Meißner, und feierten ihre Freiheit und Selbstbestimmtheit. Ein knappes Jahr später lagen sie, ihrer Jugend auf einen Schlag beraubt, in den Schützengräben.
Im Krieg wurde eine traumatisierte Jugend erwachsen, die bald selbst Jugendgruppen leiten sollte. Die Fronterfahrung hatte sie gezeichnet. Manche mahnten die Jugendlichen zum Pazifismus, andere hetzten sie gegen Franzosen, Briten und Juden auf.
Etwa 3.000 feierten Freiheit und Selbstbestimmtheit – doch nach dem Krieg zersplitterte die Jugendbewegung
Die Jugendbewegung zersplitterte in den 1920ern in immer kleinere Verbände. An den Rändern war sie antibürgerlich und wurde immer extremer. Die Hitlerjugend (HJ) warb unter diesem Namen ab 1926 männliche Jugendliche an und indoktrinierte sie, Mädchen gingen in die sogenannten Schwesternschaften der HJ, ab 1930 zusammengefasst im Bund Deutscher Mädel (BDM).
Als die Nazis 1933 an die Macht kamen, wurden die Jugendverbände nach und nach gleichgeschaltet. Später konnten Menschen, die nicht in das Bild der nationalsozialistischen „Volksgemeinschaft“ passten, aus „rassischen Gründen“ ausgeschlossen werden. „Deutsch denken, deutsch handeln“ sollte die Jugend lernen, so verkündete Hitler 1938 in einer Rede. Was genau er sich darunter vorstellte, zeigte er der Welt bereits seit fünf Jahren.
Immer wieder: Die junge Generation begehrt auf und fordert radikale Erneuerung. Unsere historische Reihe über politische Jugendbewegungen:
Teil 1: Wartburgfest und Hambacher Fest – Bürger sein, nicht Untertan
Teil 2: Die 68er – Lüften in einem muffigen und verstaubten Land
Teil 3: Die Jungtürken – für eine Republik gekämpft, dann Unterdrücker geworden
Teil 4: Schüleraufstand in Soweto – der Anfang vom Ende der Apartheid in Südfrika
Teil 5: DDR-Jugendopposition – eine Staatsführung im Dauerclinch mit der Jugend
Teil 6: Treffen am Hohen Meißner – raus aus den Städten, rein in die Freiheit
Illustration: Enrico Nagel