fluter: Die Zahl der neu zugelassenen Autos steigt, die Modelle werden immer größer. Wie soll da eine Verkehrswende funktionieren?
Frederic Rudolph: Ich sehe die Politik in der Pflicht. Der Bundesverkehrswegeplan sieht viel Geld für den Neubau von Straßen vor. Aber wenn wir Infrastruktur ausbauen, werden wir Verkehrsnachfrage ernten. Und wenn wir weiter große Autos steuerlich begünstigen, werden die auch gekauft. Eine Verkehrswende ist möglich, wenn wir auf allen Ebenen beherzt anpacken. Begrenzt man etwa den Raum für das Auto, wächst der Druck, umzusteigen. Außerdem könnte man jedes Auto mit einem ökologischen Preisschild versehen. Je mehr Energie ein Auto verbraucht, desto teurer wird es. Wenn man gleichzeitig Alternativen anbietet, steigen Menschen um.
Umsteigen auf den ÖPNV? Der funktioniert oft nicht reibungslos, und teuer sind die Tickets meistens auch.
Wir haben die Einführung eines umlagefinanzierten fahrscheinlosen ÖPNV diskutiert, bei dem möglichst viele Bürger und Bürgerinnen einen gewissen Betrag ihres Einkommens dafür aufbringen müssten und im Gegenzug kostenlos fahren. So bekäme der ÖPNV eine zukunftsfähige Finanzierung und würde viele neue Kunden gewinnen.
„Eine Verkehrswende ist möglich, wenn wir auf allen Ebenen beherzt anpacken. Begrenzt man etwa den Raum für das Auto, wächst der Druck, umzusteigen“
Das mag in der Großstadt funktionieren. Aber auf dem Land ist man ohne eigenes Auto schnell abgehängt.
Dort kann Shared Mobility die Rolle des „Lückenfüllers“ zwischen Individualverkehr und öffentlichem Verkehr spielen. Das müssen gar keine kommerziellen Sharing-Angebote sein, sondern es kann durch nachbarschaftliche Hilfe und unterstützt durch Apps ablaufen. Auch E-Bikes können helfen. Im ländlichen Raum werden sie häufig zum Bike and Ride genutzt, also als Zubringer zur Bahn.
Als Familie das Auto mit den Nachbarn teilen und in den 20 Kilometer entfernten Supermarkt öfter mal mit dem E-Bike fahren? Haben solche Konzepte nicht die Tendenz, Lösungen nur für urbane Mittelschichten zu schaffen?
In den meisten ländlichen Gebieten sollte die Entfernung zum nächsten kleineren Supermarkt deutlich unter 20 Kilometern liegen und ein E-Bike deshalb zumindest kleinere Einkäufe ermöglichen. Wann es Geschäftsmodelle gibt, die kommerzielle Shared Mobility auch auf dem Land ermöglichen, bleibt abzuwarten. Insofern ist ein privater Pkw für Familien dort weiterhin oft nötig. Dies schließt Fahrgemeinschaften aber nicht aus. Wenn die Politik Kostenstrukturen schafft, die zu weniger Nutzung eines privaten Pkw führen, dann fördert dies auch Ridesharing. Dennoch sollte die Verkehrswende in den Städten und verstädterten Räumen beginnen. Da dort auch die meisten Menschen wohnen, hätte dies entsprechende Klimaschutzeffekte.
Die wenigen Autos, die es in Ihrer Vision noch gibt, sollen elektrisch betrieben sein. Wo soll der ganze Strom dafür herkommen?
Man könnte die komplette Elektrifizierung des Personenverkehrs bis 2035 durch erneuerbare Energien decken, wenn wir diese beschleunigt ausbauen.
Auch die Herstellung von Autobatterien verursacht viel CO₂ und schadet der Umwelt bei der Lithiumförderung. Ab wann zahlt sich der Wechsel für das weltweite Klima denn aus?
Die Mehrzahl der Studien besagt, dass das Elektroauto auf seinen Lebenszyklus bezogen schon heute einen geringeren CO₂-Fußabdruck hat als ein Verbrenner. Je länger man ein E-Auto nutzt, desto besser. Und je mehr erneuerbare Energien wir künftig in der Produktion verwenden, desto geringer wird auch die CO₂-Belastung.
Dr.-Ing. Frederic Rudolph ist Projektleiter für Energie-, Verkehrs- und Klimapolitik am Wuppertal Institut.