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Oma erzählt vom Krieg

Genauer: den 1930er Jahren in Belgien. Ihr Enkel hat daraus ein erfolgreiches Computerspiel entwickelt

  • 3 Min.
Bild: Lifelong Games

Bob De Schutter stammt aus Belgien und arbeitet als Professor für angewandtes Gamedesign an der Miami University in Oxford, Ohio. Die Begegnung älterer Menschen mit Videospielen ist eines seiner Spezialgebiete. Dazu hält er Talks, berät Entwickler und entwickelt auch selbst Spiele – wie „Brukel“. In der Rolle Bobs erkunden die Spieler das Bauernhaus, in dem seine Oma Bie gelebt hat. Der Besuch wird gesteuert wie ein Egoshooter ohne Waffen, dafür mit Handykamera. Fotografieren Spieler passende Motive, fängt Bie aus dem Off an, vom Alltag der 1930er-Jahre zu erzählen. Bald kippt die Stimmung, und Omas Erzählung vom Zweiten Weltkrieg wird zu einem interaktiven Albtraum. Das Spiel wurde mehrfach prämiert und im Smithsonian American Art Museum ausgestellt.

fluter.de: Herr De Shutter, in „Brukel“ erkunde ich ein belgisches Bauernhaus und höre dazu Kriegsgeschichten Ihrer Oma. Warum macht man so ein Spiel?

Bob De Schutter: Ich wollte immer Spiele machen, seit ich acht Jahre alt war. Die Geschichten in dem Spiel habe ich schon erzählt bekommen, als ich ein kleiner Junge war. Und durch mein Studium, meine Professur bin ich inzwischen eine Art Experte für Senioren und Spiele. Hier an der Uni wird auch meine kreative Arbeit geschätzt. Ich bekam ein Semester für das Projekt zugeteilt und legte los. Die Idee zu „Brukel“ lag da schon seit Jahren in meiner Schublade.

Aber in einem Semester ist das Spiel nicht fertig geworden, oder?

Nein. Es hat insgesamt fünf Jahre gedauert.

Und Sie haben das Spiel gemeinsam mit Ihrer Oma entwickelt?

Sozusagen. Sie ist quasi die narrative Designerin.

Das heißt, sie hat nicht nur erzählt?

Sie war die wichtigste Quelle. Zuerst hab ich gedacht, ich würde ein 2-D-Spiel machen, das wie die Geschichte meiner Oma in den Dreißiger- und Vierzigerjahren spielt. Aber als ich mich hingesetzt habe, um sie zu interviewen, hat sie sofort angefangen, vom Leben im Haus zu erzählen. Ich hatte noch nicht mal das Mikrofon aufgebaut, da hatte sie schon zehn Minuten geredet. Sie hat einfach loserzählt: „Sie nannten uns die Leute von Brukel“ – das sind jetzt auch die ersten Passagen im Spiel. Aber sie hat nicht nur erzählt. Ich hab ihr auch laufend Bilder gezeigt, und sie hat viel kritisiert! 

In das Originalhaus konnten Sie nicht rein?

Nein. Der Kontakt mit den Eigentümern kam nicht zustande, und es wurde vor zehn Jahren renoviert. Ich hab Bilder nach Beschreibungen meiner Oma gezeichnet und sie immer gefragt, ob es so richtig aussieht. Und dann hat sie zum Beispiel gesagt, nein, die Stühle sahen bei uns ganz anders aus. Also haben wir zusammen auf Google nach „old chairs“ gesucht. Die Bildersuche mit meiner Oma war schon fast wieder ein eigenes Spiel.

Dann ist das Spiel keine Dokumentation, sondern baut wirklich nur auf die Erinnerung Ihrer Oma?

Es ist eine Art Oral History. Das Spiel blickt komplett durch die Augen einer Person, die wie jede andere auch ihre Vorurteile und Perspektive mitbringt. Das machen wir transparent, und das ist auch ethisch geboten. 

 „Zwölfjährige Kinder sagten mir, sie würden sich das jetzt zu Weihnachten wünschen.“

Jetzt ist es fertig. Wer soll es spielen?

Ursprünglich dachte ich an Menschen zwischen 30 und 60. Mein Vater hat sich sehr für Geschichte interessiert und er hat einmal auf einer Familienfeier sein enzyklopädisches Wissen über den Krieg ausgepackt, als plötzlich meine Oma zu erzählen anfing, wie ein britischer Offizier meinen Opa mit einer Schusswaffe bedrohte. Und sie beendet die Geschichte mit: „Und wenn er geschossen hätte, wärt ihr jetzt alle nicht hier.“ Da hättest du eine Stecknadel fallen hören können. Auch mein Vater hat in dem Augenblick verstanden, dass er auf eine grundlegende Art gar nichts über den Krieg weiß. Das hat mir die Idee gegeben, ein Spiel für Menschen wie ihn zu machen. Als die Spukelemente dazukamen, dachte ich, das gefällt vielleicht auch Spielern ab 16. In der Ausstellung im Smithsonian sah ich dann zwölfjährige Kinder, die mir nach dem Anspielen erzählten, sie würden sich das jetzt zu Weihnachten wünschen. Ich glaube, es liegt an Bies Stimme; wenn eine Oma erzählt, das weckt etwas bei Kindern.

Der Zweite Weltkrieg ist ohnehin ein Dauerthema. Warum noch ein Spiel dazu?

Für mich fühlt sich „Brukel“ sehr aktuell an. Es ist jetzt genau 75 Jahre nach der Befreiung Belgiens von den Nazis erschienen. Das Problem an 75 Jahren ist das kurze Gedächtnis der Menschen heutzutage. Wir leben von Hype Cycle zu Hype Cycle. Und die Zeitzeugen sterben langsam aus. „Brukel“ ist für mich nicht nur eine belgische, sondern eine europäische Geschichte. Deswegen war es mir auch wichtig, dass das Spiel in möglichst viele europäischen Sprachen übersetzt wird. Und es handelt davon, dass niemand in einem strengen Regime ohne Freiheiten leben will. Wir müssen alle zusammenleben und einander respektieren. Wir können Mauern um Länder, um Gebiete, irgendwann um die eigenen Häuser ziehen. Aber hinter den Mauern leiden wir.

Denken Sie da auch an das Klima in den USA?

Wenn ich über „Brukel“ plaudere, dann lande ich innerhalb von fünf Minuten bei Trump. Vielleicht ist das ein Zeichen, dass dieses Spiel gut in unsere Zeit passt.

Bilder: Lifelong Games 

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.