Auf einen anderen Flüchtling gestützt, schlurft Nish* durch den düsteren Gang. Auch sechs Tage nach dem Angriff spürt er noch die Tritte gegen seinen Kopf, in den Bauch und in den Schritt. Zwei unbekannte Männer hatten den 28-Jährigen vor seiner Haustür abgepasst. Ein Dritter war aus einem Versteck gesprungen und hatte ihm den Weg abgeschnitten. „Der hat mich von hinten am Hals gepackt und gewürgt, einer der anderen hat mir fest den Hoden gequetscht.“ Während des Überfalls war kein Wort gefallen. Einer hatte angefangen, Nish ins Gesicht zu boxen. „Ich habe dann eine Menge Leute auf mich zurennen sehen“, flüstert er. Dabei hält er den Kopf gesenkt. „Sie schrien: ‚Wir töten euch alle!‘“ Die Griffe um den Hals waren fester, die Schläge der Fäuste dumpfer geworden. Schließlich hatte er das Bewusstsein verloren. Dass auch dann weiter auf ihn eingetreten wurde, als er schon am Boden lag, hat er erst hinterher im Krankenhaus erfahren.
Vor vier Jahren ist Nish aus Burundi nach Kampala, der Hauptstadt Ugandas, geflohen, nachdem sein Vater und sein Bruder herausgefunden hatten, dass er auf Männer steht. Sie wollten ihn deswegen anzeigen – denn in Burundi ist Homosexualität verboten. „Ich wusste nur, dass in Uganda Flüchtlinge aufgenommen werden“, sagt Nish. „Aber als ich angekommen war, wurde mir schnell klar: Auch das ist kein guter Ort für LGBT.“
Viele Homosexuelle verstecken sich – aus Angst vor Gefängisstrafen und Prügel
Nach der derzeitigen Gesetzeslage sind homosexuelle Handlungen in Uganda illegal und können mit einer lebenslangen Gefängnisstrafe geahndet werden. Das Gesetz stellt zwar generell Oral- und Analverkehr unter Strafe, in der Bevölkerung ist es jedoch ausschließlich als Anti-Gay-Gesetz bekannt.
Auch Organisationen, die sich für sexuelle Minderheiten einsetzen, werden von Behörden schikaniert, etwa indem ihnen kurzfristig die Lizenz entzogen wird. Viele verstecken sich und ihre sexuelle Ausrichtung deshalb. Sie haben Angst vor strafrechtlicher Verfolgung, aber auch vor Erpressungsversuchen Mitwissender oder körperlichen Angriffen: Allein im vergangenen halben Jahr sind mindestens vier Menschen wegen ihrer sexuellen Orientierung ermordet worden.
„Du kannst versuchen deine sexuelle Orientierung geheim zu halten – und trotzdem wirst du angegriffen“
Angeheizt wird die Situation von mehreren Parlamentariern, die die Todesstrafe für Homosexuelle fordern. Es sei an der Zeit, die Fehler zu korrigieren, die bei dem letzten Versuch gemacht wurden: Vor knapp zehn Jahren entwarf der junge Parlamentarier David Bahati – Mitglied der Regierungspartei National Resistance Movement (NRM), der auch Ugandas Präsident Yoweri Kaguta Museveni angehört – einen Gesetzentwurf, der in bestimmten Fällen die Todesstrafe für Homosexualität vorsah. Das Verfassungsgericht hatte ihn aber 2014 für ungültig erklärt, weil er nicht mit einer ausreichenden Anzahl an Stimmen verabschiedet worden war. Mehrere Länder hatten gegen das Gesetz protestiert und auch Sanktionen verhängt. Dem Erfolg Bahatis tat dies jedoch keinen Abbruch: Er ist heute Finanzminister und gilt als einer der beliebtesten Politiker im Land.
Samstagabend, in einem wohlhabenden Viertel Kampalas. Die Wörter „Lesbian“ und „Gay“ auf Richard Lusimbos T-Shirt springen sofort ins Auge. Sie gehören zum Logo von Pan AfricaILGA, einem Netzwerk queerer Vereine aus verschiedenen afrikanischen Ländern. Richard dokumentiert für die Organisation Sexual Minorities Uganda (SMUG) Fälle von Gewalt gegen sexuelle Minderheiten und setzt sich gegen Diskriminierung ein. „Es ist mir inzwischen scheißegal“, sagt er. „Ich habe mich lange genug verbogen.“ Subtil auftreten? Darauf hat der 34-Jährige keine Lust mehr. „Du kannst dich verstecken und versuchen, deine sexuelle Orientierung geheim zu halten – und trotzdem wirst du angegriffen“, sagt er. „Für mich ist es das Beste, dieses T-Shirt zu tragen und zu sagen: ‚Schaut her, es gibt uns. Und wir gehen nirgendwohin.‘“
Richard ist bei einer Freundin zu einer kleinen Party eingeladen, mehr als ein Dutzend Leute sind gekommen. Die meisten sind schwul, ein paar lesbisch, ein paar trans. Sie sitzen in einem großen Kreis auf der Terrasse eines schicken Bungalows mit Blick über den Viktoriasee. Sie trinken süßen Wein aus Tetrapaks und malen Comics mit Buntstiften aus, in denen Männer miteinander Sex haben. Der Abend wirkt wie eine Mischung aus ausgelassener Feier und Gruppentherapie.
„Wenn du Geld hast oder was zu sagen, ist es den Leuten egal, mit wem du ins Bett gehst“
Richard erzählt, wie er vor einigen Jahren über einen Zeitungsartikel geoutet wurde. Auf Familienfeiern habe es danach die eine oder andere kuriose Unterhaltung mit Onkeln oder Tanten gegeben. Aber meist ignoriere sein Umfeld einfach, dass er schwul ist. „Wenn du Geld oder was zu sagen hast, ist es den Leuten doch egal, mit wem du ins Bett gehst“, sagt Richards Freundin. Aus den Boxen erklingen Afrobeats, jemand rappt über seinen Arsch und den harten Penis, der in ihn hineingleitet. Männer knutschen und tanzen eng, eine Frau streicht einer anderen über die Wange – seit dem Jahr 2000 ist in Uganda auch Sex unter Frauen illegal.
Einige Politiker in Uganda stellen Homosexualität als westliche Krankheit dar. Schwulsein sei „unafrikanisch“, sagen sie. Dabei ist die Praxis, Menschen aufgrund ihrer Sexualität oder sexuellen Identität zu diskriminieren, tatsächlich ein Erbe der britischen Kolonialzeit: Noch im späten 19. Jahrhundert wurde das Land von einem König beherrscht, der offen bisexuell lebte. Mwanga II. Mukasa regierte mit einer kurzen Unterbrechung von 1884 bis 1897, er hielt sich einen Harem aus 16 Frauen und hatte diverse männliche Liebhaber. Eine Volksgruppe im Land kannte sogar ein drittes Geschlecht. Als christliche Missionare aus Großbritannien kamen und begannen, Homosexualität als Sünde zu verurteilen, ließ Mwanga einige von ihnen töten. Die Briten nutzten diese Gewalt wiederum als Vorwand, um Stück für Stück die Kontrolle im Land zu übernehmen. 1894 wurde Uganda schließlich zum Protektorat Londons erklärt und britisches Recht, dem zufolge Sex unter Männern illegal war, Gesetz.
Früher mal hatte Uganda einen bisexuellen König – mit 16 Frauen und zahlreichen Liebhabern
Von den Platzwunden auf Nishs Stirn und über der Lippe sind nun, eine Woche nach dem Angriff, nur noch Schwellungen zu sehen. Nish kauert in einer von Stacheldraht umzäunten Baracke in Bakuli, einem verwahrlosten Stadtteil im Herzen Kampalas, auf einer schmalen Matratze aus durchgelegenem Schaumstoff. Zwei weitere Matratzen sind in einem noch kleineren Raum nebenan zwischen Schreibtische gequetscht. Die Fenster sind entweder undicht oder haben gar nicht erst Scheiben. Jeder Fetzen Stoff ist klamm, es riecht nach Schweiß und klebriger Hitze. Zu tun gibt es nichts, außer auf zersprungenen Handydisplays herumzutippen.
Eigentlich wollte die Organisation Angels Refugee Support Group Association, kurz ARSGA, hier queere Flüchtlinge über HIV aufklären und ihnen PC-Kurse anbieten. Doch gerade ist erst einmal wichtiger, ihr Leben zu schützen. Nish verbarrikadiert sich hier gemeinsam mit elf anderen Homosexuellen. Da ist Jean-Kasese, dem mit einem Hammer der Kiefer zertrümmert wurde. Da ist Moise, der von der Familie seines Freundes in einen Hinterhalt gelockt, mit Messern verletzt, mit Öl übergossen und angezündet wurde. Die meisten der Männer kommen aus der Demokratischen Republik Kongo, andere aus dem Südsudan oder aus Burundi. Gemeinsam haben sie, dass sie Gewalt erleben mussten – und dass sie Angst vor neuer haben. Seit dem Angriff auf Nish traut sich keiner der zwölf nachts mehr raus, und selbst tagsüber wagen es nur die wenigsten von ihnen. „Wir können hier nicht bleiben“, sagt Nish entschlossen. Nur wo sie sonst hinsollen, ist noch offen.
* Die Namen aller Personen in den Räumen von ARSGA wurden geändert.