Uisenma Borchu traut sich was zu. Die 35-jährige Filmemacherin, geboren in der Mongolei, aufgewachsen in Deutschland, hat schon 2015 mit ihrem Debütfilm Aufsehen erregt. „Schau mich nicht so an“ ist abseits der üblichen Förderstrukturen entstanden, hatte ungewöhnlich raue Frauenrollen und war schmerzhaft intim.
Letzteres ist auch in ihrem zweiten Film der Fall, und erneut verantwortet Borchu nicht nur Buch und Regie, sondern spielt auch noch eine der Hauptrollen. „Schwarze Milch“ beginnt denn auch mit einem Paukenschlag: In nur drei, vier Minuten wird eine ganze Liebesbeziehung abgehakt.
Gut: Borchus Film beobachtet ihre mongolische Heimat sehr genau
Folkloreklänge kommen aus dem Lautsprecher in einer Altbauwohnung. Eine junge Frau stimmt sich auf eine Reise ein. „Muss das Gedudel sein?“, schnauzt ihr Freund sie an. Kurz darauf routiniert wirkender Sex, danach ein Streit: Wessi, so heißt die junge Frau, will in die Mongolei fliegen, um nach Jahren ihre Schwester wiederzusehen; er will, dass sie bleibt. Sein „Du gehörst zu mir“ klingt wie eine Drohung. In der nächsten Szene läuft Wessi am Flughafen zum Gate. Von ihrem Freund, gespielt vom deutschen Shootingstar Franz Rogowski, ist fortan keine Rede mehr.
Tausende Nomaden flüchten jedes Jahr aus mongolischen Steppe – vor Kohleminen und den Folgen des Klimawandels
Den Rest des Films, der in der Mongolei spielt, sehen wir vor diesem Hintergrund: Wessi hatte zwar ein selbstbestimmtes Leben in Deutschland, aber wohl auch gute Gründe, es hinter sich zu lassen. Von hier an bewegt sich der Film immer weiter weg, erst in die Hauptstadt Ulan-Bator und dann auf einem Roadtrip in die mongolische Steppe. Diese Bewegung hinein in die offene Landschaft inszeniert der Film als Befreiung. Die Mongolei ist eines der am dünnsten besiedelten Länder der Welt. Wenn Wessis Schwester, die am Rande der Wüste Gobi mit ihrem Mann unter Nomaden lebt, von Nachbarschaft spricht, meint sie eine kilometerweit entfernte Jurte. Das Leben in dieser Gemeinschaft bestimmen die Männer, während die Frauen sich um Haushalt, Kinder und Viehherde kümmern. Nach dem Filmanfang ist klar: Wessi will auch dieses Patriarchat aufrütteln.
„Schwarze Milch“ ist am stärksten, wenn sich Wessis Rückkehr in eine Heimat, deren Regeln sie längst abgeschüttelt hat, in feinen Details ausdrückt. Einmal etwa greift sie gierig mit den Fingern in eine Milchspeise und sagt: „Da könnte ich mich reinlegen.“
Nicht gut: Irgendwann provoziert „Schwarze Milch“ nur noch, um zu provozieren
Dabei übersetzt sie die deutsche Redensart wörtlich ins Mongolische. So was Idiotisches, meint ihre Schwester, die Milch sei hier das Wertvollste, darin könne man doch nicht baden. Man merkt, dass solche Szenen realen Erfahrungen abgerungen sind oder zumindest einer genauen Kenntnis beider Kulturen.
„Schwarze Milch“ soll allerdings nicht bloß Culture Clash, sondern immer auch Grenzüberschreitung sein: Später gibt es eine Vergewaltigungsszene und eine Tiertötung. Letztere wurde „dokumentarisch gefilmt“, heißt es im Abspann. Wenn solche drastischen Szenen nur als Kontext einer Selbstfindungsgeschichte dienen, wird Provokation zum Selbstzweck. Spätestens hier hätte sich Borchu lieber ein bisschen weniger zutrauen sollen.
„Schwarze Milch“ (Panorama, Deutschland/Mongolei 2020) feierte auf der Berlinale Premiere – weshalb wir den Film auch schon im Februar besprochen haben – und läuft ab sofort in den Kinos.
Titelbild: Sven Zellner & Borchu Film