Viele Kinder konnten es gar nicht erwarten: Im Jahr 2001 kam mit „Harry Potter und der Stein der Weisen“ endlich die erste Verfilmung der Bücher von Joanne K. Rowling in die Kinos. Die Freude einiger junger Fans verwandelte sich allerdings bald in Panik angesichts wilder Verfolgungsjagden, eines dreiköpfigen Hundes und der gruseligen Inszenierung des schwarzen Magiers Voldemort. Ihre Eltern verließen mit ihnen fluchtartig das Kino und beschwerten sich lautstark bei der FSK (Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft). Schließlich hatte die den Film doch für Kinder ab 6 Jahren freigegeben!
Die Organisation mit Sitz im Deutschen Filmhaus in Wiesbaden prüft Filme, die in Deutschland im Kino und für das Heimkino veröffentlicht werden sollen, und setzt für sie eine Altersfreigabe fest. Gesetzlich ist die Prüfung nicht vorgeschrieben, faktisch durchlaufen aber alle Filme diesen Prozess. Konzipiert wurde die FSK 1948 nach amerikanischem Vorbild als ein Gremium, von dem die Filmwirtschaft ihre Produkte prüfen lässt. Damit sollte ein staatliches Eingreifen umgangen werden, das in Deutschland im Dritten Reich, aber auch in der Weimarer Republik gang und gäbe war.
Entscheidungen der FSK zogen und ziehen jedoch immer wieder Kontroversen nach sich. Eine besonders heftige Attacke auf die Organisation fuhr in den Jahren 2010 und 2011 die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“: Sie kritisierte eine viel zu laxe Handhabung der Altersfreigaben. In ihrem ersten Test befanden die selbst ernannten Jugendexperten von 100 ab 12 Jahren freigegebenen Filmen – darunter moderne Action wie „James Bond – Casino Royal“ und Klassiker wie „Im Westen nichts Neues“ – 46 für die Altersgruppe als nicht geeignet: Zu brutal seien sie, zu offenherzig in Sachen Sex oder beides. Beim zweiten Test traf dies immerhin noch auf jeden dritten der 60 bewerteten Filme zu.
Genauso wird die USK (Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle) kritisiert, die analog zur FSK bei Computerspielen für den Jugendschutz sorgen soll. 72 von der USK überprüfte Spiele analysierte das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen vor einigen Jahren. In zwei von drei Fällen wurde die Altersbeschränkung angezweifelt.
0, 6, 12, 16, 18, das sind die fünf Altersklassen, in denen die FSK Filme und die USK Videospiele freigibt. Die Vorgabe, nach der dieses Raster entstand, geht auf Paragraf 14 des Jugendschutzgesetzes zurück. Danach dürfen Filme und Spiele, „die geeignet sind, die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen oder ihre Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu beeinträchtigen“, nicht für ihre Altersstufe freigegeben werden. Die heute gebräuchliche Einteilung wird seit dem Jahr 1957 verwendet, nur die Kategorie „freigegeben ohne Altersbeschränkung“ kam 1985 dazu.
Es geht nicht um Einzelszenen, sondern ums große Ganze
Dabei lässt sich die FSK aus Erkenntnissen der Entwicklungspsychologie leiten. Folker Hönge, Vorsitzender eines der Arbeitsausschüsse bei der FSK, sagt dazu: „Die Wirkung eines Films kann nicht an einzelnen Szenen, in denen Gewalt dargestellt wird, festgemacht werden. Wir diskutieren vielmehr die Gesamtwirkung und den Gesamteindruck des Films.“ Für die Altersfreigabe sei die Frage wichtig, ob die gezeigte Gewalt glaubhaft in eine Handlung eingebunden sei und problematisiert werde. So identifizieren sich etwa Kinder im Alter von bis zu 6 Jahren vollständig mit Handlung und Figuren, spannungssteigernde Erzählmittel können bei ihnen große Ängste verursachen. Bedrohliche Situationen müssen vor allem für diese Altersgruppe also schnell aufgelöst werden.
Das Problem mit der Kategorie „ab 6 freigegeben“ ist die große Altersvarianz in der Gruppe. Zwar können 6-Jährige Sinneseindrücke schon besser verarbeiten, sie haben aber noch wenig Distanz zum Filmgeschehen. Erst mit etwa 9 Jahren erkennen Kinder Geschichten als Fiktion. Mit 12 Jahren befinden sie sich dann schon in der Pubertät. Sie können Filme rational zwar besser verarbeiten, sind aber in dieser Phase der Selbstfindung auch unsicher und anfällig für die Identifikation mit „Helden“, die sich destruktiv und gewalttätig verhalten.
16-Jährige hält die FSK für grundsätzlich medienkompetent, gibt für sie aber keine Filme frei, die Gewalt verherrlichen oder, wie sie auf ihrer Homepage schreibt, „Sexualität auf ein reines Instrument der Triebbefriedigung reduzieren“. Filme mit solchem Inhalt erhalten keine Jugendfreigabe, dürfen also erst ab 18 Jahren gesehen werden. Einige wenige Medien erhalten von der FSK keine Alterskennzeichnung, weil sie von ihr als in hohem Maße jugendgefährdend eingeschätzt werden. Sie werden von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien geprüft und gegebenenfalls indiziert – dann dürfen sie nicht beworben und nur sehr eingeschränkt öffentlich gezeigt werden, sind aber für Kunden über 18 Jahre auf Nachfrage erhältlich.
Seit 60 Jahren ist das Modell fast unverändert
Die FSK betont, dass es bei den historisch gewachsenen Kategorien nicht um pädagogische Empfehlungen, sondern allein um den Jugendschutz geht. Die rund 250 ehrenamtlichen Prüfer, unter anderem Journalisten, Lehrer, Psychologen, Medienwissenschaftler, Filmhistoriker, Studenten, Sozialarbeiter, Richter und Staatsanwälte, diskutieren immer wieder mögliche Neuerungen des mittlerweile über 60 Jahre alten Modells. Besonders den Sprung von 6 zu 12 bzw. von 12 zu 16 Jahren halten einige für zu groß.
Wäre es etwa sinnvoll, zusätzlich eine Kategorie „ab 14 Jahren freigegeben“ zu etablieren? Die FSK-Geschäftsführerin Christiane von Wahlert hält in einem Interview dagegen, es sei schwer, dies per Gesichtskontrolle an den Kinokassen zu überprüfen. Außerdem seien die Freigabestufen „bekannt und gelernt“. Dennoch handele die FSK nicht losgelöst von gesellschaftlichen Entwicklungen. Sie traue heutigen Kindern durchaus eine größere Medienkompetenz zu als in den 50er-Jahren. Eben deshalb erhielten Filme heute auch leichter eine niedrigere Freigabestufe.
Nach dem Ärger um „Harry Potter und der Stein der Weisen“ wollte die FSK sich allerdings nicht wieder Vorwürfe machen lassen und gab im folgenden Jahr den Nachfolger „Harry Potter und die Kammer des Schreckens“ erst ab 12 Jahren frei. Die Folge: erneute Empörung, weil der Verleih den Film nun in einer gekürzten Version in die Kinos brachte, um doch noch die Freigabe ab 6 zu erhalten. Dieser Fall sorgte für eine der substanziellsten Neuerungen in rund 60 Jahren FSK-Geschichte: Nach amerikanischem Vorbild gilt für Filme ab 12 Jahren seit 2003 eine sogenannte „Parental Guidance“-Regelung. Kinder dürfen sie also schon ab 6 Jahren besuchen, wenn ein Elternteil sie begleitet.
Aller Kritik zum Trotz hat Deutschland eine der weltweit strengsten Regelungen zum Jugendmedienschutz. Die Freigabestufen sind anders und zum Teil feiner gestaffelt als etwa in Schweden, Österreich, den Niederlanden und den USA. Manche Wissenschaftler haben aber ohnehin ganz fundamentale Zweifel am Funktionieren des bisherigen Systems. Ein von der Universität Erfurt erstellter Forschungsbericht (PDF) wertete Studien zu der Frage aus, ob Alterskennzeichen überhaupt dazu beitragen, die Eltern bei der Auswahl von Medien zu sensibilisieren. Ergebnis: Die Forschungslage sei viel zu dünn und liefere bisher widersprüchliche Ergebnisse.
Sicher sei aber der „Forbidden Fruit“-Effekt. Gerade bei Jungen im Alter von 12 und 13 Jahren steigt die Attraktivität von Medien, wenn auf der Verpackung darauf hingewiesen wird, dass diese Inhalte nicht für sie geeignet sind.
Oliver Kaever lebt in Hamburg und arbeitet als freier Filmjournalist. Er schreibt regelmäßig für fluter.de.