Triggerwarnung: Das Sprechen und Schreiben über trans* Personen hat sich seit Erscheinen dieses Artikels entwickelt: Es ist wissenschaftlich wie politisch korrekter und sensibler geworden. Fehler wie Misgendering und Deadnaming machen wir heute – hoffentlich – nicht mehr.
Eher unverhofft steigt er in die deutsche Elite im Crossfit auf. Praktisch über Nacht kommen die Follower auf Instagram, viele Bewunderer, aber auch Neider – und Menschen, die sich das Maul zerreißen über die ihrer Wahrnehmung nach starke Sportlerin mit dem maskulinen Äußeren. Was sie nicht wissen: Thomas Beuer (Name geändert) ist es tatsächlich ziemlich unangenehm, als „Deutschlands fitteste Frau“ bezeichnet zu werden. Denn als Frau hat er sich nie so wirklich gefühlt. Wir sprachen mit ihm am Rande eines großen Crossfit-Wettbewerbs.
fluter.de: Du bist momentan am Knie verletzt. Hättest du sonst am Wettkampf teilgenommen?
Thomas: Nein, das hätte ich nicht.
Wieso?
Weil ich mich seit einigen Jahren unwohl in meinem Körper fühle. Ich fühle mich nicht mehr als Frau, eigentlich habe ich mich nie so wirklich als Frau gefühlt. Aber in den letzten zwei Jahren habe ich mich besonders intensiv mit dem Thema beschäftigt und bin jetzt an dem Punkt angelangt, wo ich sage, ich kann und möchte so nicht mehr weiterleben.
Was willst du ändern?
Ich möchte meinen Körper meinem männlichen Empfinden anpassen. Weitere Wettkampfteilnahmen stehen damit für mich außer Frage: Ich passe nicht mehr in die Sportwelt mit ihrer strikten Geschlechter-Trennung „Mann/Frau“. Darf ich etwas ausholen?
Gerne.
Ich hatte eine supercoole Kindheit. Wie gesagt, ich habe mich schon immer wie ein Junge gefühlt, und meine Eltern haben mir da nie Grenzen gesetzt. Ich hatte viele Jungs als Freunde, habe viel Fußball und Handball gespielt, hatte immer schon kurze Haare, habe mich immer wie ein Junge angezogen. Aber als ich in die Pubertät kam, hat sich mein Körper in eine Richtung verändert, die für mich nicht so cool war: „Warum kommen da jetzt Brüste? Das möchte ich eigentlich gar nicht.“ Ich habe das dann durch den Sport und eine extreme Fokussierung auf die Schule, später dann die Uni, kompensiert.
Du warst früher Handballerin.
Genau. Ich habe schon mit zwölf Jahren fast fünfmal die Woche trainiert, später war ich dann auch in der Jugendnationalmannschaft und in der Bundesliga. Dieses ganze Sozialleben, man macht was mit Freunden, geht auf Partys, interessiert sich für das andere oder eben das eigene Geschlecht – das alles habe ich ignoriert. Weil ich einfach nicht wusste: Wer bin ich denn überhaupt selbst?
Wann hast du eine Antwort auf diese Frage gefunden?
Das erste Mal auf das Thema „Transgender“ kam ich so mit 20 Jahren durch eine Reportage im Fernsehen. Da kam der Gedanke: „Das trifft voll auf mich zu, ich fühle mich auch im falschen Körper.“ Also habe ich ein bisschen gegoogelt. Doch was ich gefunden habe, war eher abschreckend: Geschichten von Leuten, die von der Gesellschaft geächtet werden, diskriminiert oder eben schräg angeguckt. Ich habe das dann selbst erstmal als freakig angesehen – und ich wollte kein Freak sein.
Also hast du das Thema wieder begraben?
Ich habe mir gesagt, mir geht es doch eigentlich ganz gut, da muss ich mich doch nicht so an den Rand der Gesellschaft schießen. Also habe ich mich wieder auf den Sport konzentriert. Bis Balian Buschbaum(als Stabhochspringerin Yvonne Buschbaum international erfolgreich gewesen; Anm. d. Red.) 2010 dieses Buch über sein Leben und sein Trans-Outing veröffentlicht hat. Ich habe das in einer Nacht durchgelesen und mich darin so oft wiedergefunden…
Und da hast du dich entschieden, du willst ein Mann werden?
Nein, erst einmal habe ich mich mit einem Psychotherapeuten getroffen. Ich wollte herausfinden, ob ich einfach eine Frau bin, die sich sehr maskulin fühlt, oder ob es wirklich mehr in Richtung Transgender geht. Das war ein sehr, sehr langer Weg. Der Therapeut muss feststellen, dass du dich im falschen Körper geboren fühlst und unter einem sehr großen Leidensdruck stehst – und dementsprechend vorhast, deinen Körper deinem mentalen Geschlecht anzupassen. Das heißt in Deutschland: Hormontherapie und geschlechtsangleichende OPs. Ich habe Ende August mit den Hormonen begonnen, in der Zukunft werde ich dann meinen Namen ändern und mich an der Brust operieren lassen.
Operationen sind ja mitunter unwiderruflich. Kriegt man da nicht Zweifel?
Es hängt ein bisschen von den Lebensphasen ab. Anfangs war da natürlich schon die Frage: „Muss das jetzt sein?“ Aber ich bin momentan mehr als überzeugt davon. Und ich muss sagen, seit ich diesen Entschluss gefasst habe, geht es mir einfach besser. Es ist für andere vielleicht schwer zu verstehen, wie sich ein Leben im falschen Körper anfühlt, aber für ein glückliches Leben musste ich diesen Schritt einfach machen.
Wer weiß bislang von dieser Entscheidung?
Meine Familie und meine engsten Freunde wissen Bescheid und unterstützen mich. In meinem weiteren Umfeld habe ich das niemandem erzählt. Zum einen ist es ein sehr persönliches Thema, zum anderen war ich auch noch im Leistungssport und im Studium aktiv. Da kann man das nicht so einfach sagen, weil man ja als Frau Sportprüfungen macht.
Crossfit-Wettkämpfe hast du bis zuletzt auch als Frau betrieben.
Ins Wettkampfgeschehen bin ich eher zufällig reingerutscht. Aber dann war ich so gut und hatte so viel Spaß, dass ich mir gesagt habe, das machst du eben noch ein bisschen. Diese Wettkampfgier, die ist einfach in mir drin. Und ich hatte übrigens gar keine andere Wahl, als da als Frau teilzunehmen, denn eine andere Option gab es nicht. Rein biologisch betrachtet hatte das seine Berechtigung, auch wenn ich mir immer etwas fehl am Platz vorkam.
Wobei Crossfit Frauen und Männer recht gleich behandelt, oder?
Das finde ich auch klasse, dass es da nicht so einen Unterschied gibt wie zum Beispiel beim Handball, wo die Männer viel mehr Gehalt und Medienpräsenz bekommen. Beim Crossfit sind Training und Wettkampfinhalte nicht nach Geschlechtern getrennt, nur die Gewichte werden angepasst. Und für viele Leute steht die Leistung im Vordergrund, nicht das Geschlecht oder Aussehen. Die honorieren jede Anstrengung und geben dir ein sehr, sehr positives Feedback. Das hat mir dann auch immer die Bestärkung gegeben, weiter an Wettkämpfen teilzunehmen.
Trotzdem: Das erste Mal, als ich dich auf einem Wettkampf gesehen habe, hörte ich neben mir auf den Zuschauerrängen das Getuschel: „Das ist doch unfair – die ist doch ein Kerl!“
Direkt mitbekommen habe ich so etwas noch nicht. Nur bei Competitions im Ausland gab es im Netz Kommentare unter Bildern von mir: „Die ist auf Steroiden“, „Das ist doch ein Mann“, „Was macht der Typ bei den Frauen?“ Da möchte ich eins klarstellen: Meine sportlichen Leistungen waren immer einwandfrei, ich habe niemals gedopt oder unnatürliche Hormonwerte gehabt. Aber das Ganze habe ich auch schon im Handball erlebt, dass Eltern von der Tribüne geschrien haben: „Holt den Kerl vom Feld!“ Das verfolgt mich eigentlich schon mein ganzes Leben lang, auch dass ich aus Frauentoiletten und -umkleiden rausgeworfen werde. Ich sehe nun mal aus und kleide mich wie ein Mann – da musste ich mit der Zeit lernen, damit umzugehen.
Meinst du, das wird nach der Hormontherapie aufhören?
Ach, ich gehe eigentlich schon seit ich klein bin auf die Männertoilette, wenn ich irgendwo in der Fremde unterwegs bin. Da habe ich auch nie Probleme. Wenn ich in Begleitung bin, gehe ich natürlich auf die Frauentoilette und bekomme da immer so ein bisschen Stress.
Wirst du dich in der Männerumkleide jemals wohlfühlen?
Klar, das Thema Umkleide ist kritisch. Da bräuchte man schon eine Genital-OP, um wirklich reinzupassen. Das habe ich erstmal nicht angepeilt. Aber oberflächliches Umziehen und Toilette sind kein Problem, nur Duschen wird nicht drin sein.
Hast du vor, zukünftig wieder Wettbewerbe zu machen – als Mann?
Man sollte nichts ausschließen und niemals nie sagen, aber das steht gerade auf meiner Prioritätenliste ganz weit unten – allein schon wegen meiner vielen Verletzungen und Verschleißerscheinungen vom Handball. Außerdem weiß ich gar nicht, ob ich mich in einem so kraftdominierten Sport wie Crossfit mit biologischen Männern vergleichen könnte. Da muss man erst abwarten, wie die Hormone anschlagen. Und meine Knochenstruktur ist auch ganz anders, ich habe eben den Körper einer Frau.
Erleben wir irgendwann eine Trans-Kategorie im Crossfit?
Ich glaube, nein. Man muss sehen, dass das nur eine sehr kleine Gesellschaftsgruppe ist – zumal es viele Trans-Leute gibt, die das nicht öffentlich leben.
Wie wirst du damit umgehen?
Ich möchte meine Vergangenheit nicht verschweigen oder sagen, die letzten 27 Jahre meines Lebens gibt es nicht mehr. Das ist ein Teil meiner Persönlichkeit, ein sehr wichtiger. Die Leute, bei denen ich das Gefühl habe, die sollen es wissen, die werden das auch erfahren. Aber ich werde jetzt nicht mit einem Schild herumlaufen oder mir einen Stempel auf die Stirn drücken…
Warum machst du die ganze Geschichte jetzt trotzdem öffentlich?
Weil ich nie im Leben damit gerechnet hätte, dass ich durch meine Erfolge so sehr in den Fokus rücke und Leute meinen Namen kennen, mir folgen oder mehr über mich wissen wollen. Und da ich jetzt mein neues Leben, mein richtiges Leben leben möchte, ist dieser Schritt notwendig geworden. Die Leute sollen wissen, was bei mir läuft – damit diese Gerüchte aufhören und damit sie sehen, ich bin ein ganz normaler Mensch wie jeder andere.
Seinen echten Namen möchte Thomas trotzdem nicht nennen. Damit möchte er Problemen bei seinem künftigen Job vorbeugen. Außerdem: Alle, die dieses Outing erreichen soll, wissen ohnehin, um wen es hier geht.
Lukas Wohner ist fluter-Redakteur und macht selbst Crossfit. Dass er neben so mancher Athletin wie ein Anfänger wirkt, löst bei ihm zum Glück keine Minderwertigkeitskomplexe aus.