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Die unendliche Unverbindlichkeit

Artsy Girl swipet Schnurrbartmann. Die Graphic Novel „Oh Cupid“ von Helena Baumeister ist eine Onlinedating-Geschichte wie aus dem Bilderbuch

  • 4 Min.
Oh Cupid

Worum geht‘s?

Die Hauptfigur Helena, Anfang 20 und aus Hamburg, versucht es mit Onlinedating. Für ihr viertes Date fährt sie mit dem Zug nach Bremen und macht mit einem rehäugigen Schnurrbartmann eine Radtour. Helena merkt, dass sie ihn besser findet, als sie eigentlich will. Und er?

Worum geht es wirklich?

Um Distanz und Nähe und die unendliche Unverbindlichkeit des Onlinedatings. Um die Frage, wie sich die stets etwas künstliche Ausgangssituation in eine reale Verbindung übertragen lässt. Ums Taxieren und Taktieren (aber immer cool dabei bleiben!), ums Sich-selbst-Präsentieren und Komplimentemachen (aber bei beidem nicht zu dick auftragen!), ums Sichannähern (aber bloß nicht zu nah!). Darüber hängt, wie ein Damoklesschwert, die große Ungewissheit: Was will die andere Person?

Wie wird es erzählt?

Comics vereinen Bild und Text. Das klingt erst mal simpel. Wird aber in der Praxis gar nicht so oft umgesetzt. Viele Comics sind eher ein Neben- als ein Miteinander von Bild und Text. Sie sehen aus wie ein Film-Storyboard, wie eine Reihe von Screenshots, in die man anschließend Sprechblasen und Begleittexte eingebaut hat – am besten noch so, dass sie nicht stören. Das kann dann sehr ästhetisch sein, aber reizt die Möglichkeiten des Mediums bei weitem nicht aus. Helena Baumeister macht es anders. Ihre Bleistiftzeichnungen wirken sperrig, ungeschlacht, skizzenhaft. Die Körperproportionen und Gesichtszüge der Figuren sind fluide und an die Situation und die innere Gefühlslage angepasst; oft hat Baumeister nicht einmal die Linien von im Hintergrund liegenden Dingen wegradiert. 

Oh Cupid

Vor allem aber zeigt sie Dinge, die so nur im Comic gehen. Etwa dass die Beine von Helena und dem Schurrbartmann Gesichter bekommen, als sie sich zum ersten Mal berühren und sagen „Endlich Körperkontakt“ – „Eigentlich wollen wir meeeeehr.“ Oder als Helena einen Ohrring verliert und der Schnurrbartmann und sie ihn gemeinsam finden. „Toll, jetzt hatten wir einen Bonding-Moment“, sagt sie, und die Sprechblase umarmt ihn aufdringlich dabei. „Öhm … okay … wenn du meinst“, antwortet er, skeptisch blickend – diesmal hat die Sprechblase die Form einer Schere, die die Umarmung schnell wieder zerschneidet.

  

Die übliche Frage!

„Und, ist das autobiografisch?“ Immerhin sieht die Comic-Helena der Zeichnerin Helena Baumeister schon recht ähnlich und kommt ebenfalls aus Hamburg. Die Antwort: Ja – und wie! Entstanden sind die Zeichnungen erst mal privat, geplant als Geschenk für den Schnurrbartmann. Leider wurde nichts daraus, und nun sind sie veröffentlicht (der Schnurrbartmann weiß davon). Helena Baumeister macht sich darin wortwörtlich nackig, und das macht ihren Comic noch mal intensiver und lebensnaher. Inzwischen, hat sie in einem Interview verraten, nutzt sie aber keine Dating-Apps mehr.

Gut zu wissen

Wer nicht so drin ist im Onlinedating-Game: „oh cupid“, der Titel des Bandes, ist eine Anspielung auf die Datingplattform „okcupid“. Die wiederum so heißt, weil „cupid“ der englische Name des Liebesgottes Amor (der kleine Engel mit den Pfeilen) ist.

Lohnt sich das?

Absolut. Eben weil „oh cupid“ in Bild wie Text die ganze Awkwardness und das vage Umeinanderherumgetänzel des Kennenlernens so wunderbar einfängt. Unangenehme Small-Talk-Momente, gemeinsames Zähneputzen, ein zufälliger Auftritt des WG-Mitbewohners – es passiert gar nicht viel, aber das ist sehr treffend beobachtet.

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.