Was ist der Mensch? Diese Frage ist seit jeher eng verbunden mit einer weiteren: Was unterscheidet ihn vom Tier? Seit mehr als zwei Jahrtausenden grübeln Philosophen darüber, wobei dieses (Nach-)Denken notwendigerweise anthropozentrisch ist. Es stellt den Menschen in den Mittelpunkt, weil er es ist, der denkt. Der Wolf verschwendet keinen Gedanken daran, ob er Schafe töten darf, er tut es einfach instinktiv.
Moderne Tierethik beginnt im Grunde mit der Aufklärung. Vermutlich haben wir – und die Tiere – sie sogar einem ganz bestimmten Kater und einem ganz bestimmten Hund zu verdanken.
Der Kater hieß Sir John Langborn und gehörte dem britischen Philosophen Jeremy Bentham, dem Begründer des Utilitarismus – der besagt, dass moralisches Handeln nach größtmöglichem Nutzen für alle streben soll. Bentham ließ Sir John Langborn bei Tisch mitessen und erklärte im Hinblick auf die Gemeinsamkeit zwischen Mensch und Tier: „Die Frage ist nicht, ob sie argumentieren oder reden können. Die Frage ist, ob sie leiden können.“ Und weil Tiere für ihn leidensfähig waren, wollte er sie in unser moralisches Handeln einbeziehen.
Der Hund wiederum trug den alten hinduistischen Namen Atman und wurde von seinem Herrchen, dem deutschen Philosophen Arthur Schopenhauer, meistens Butz gerufen. Als Butz starb, erwarb Schopenhauer einen identischen Pudel, den er wieder Atman beziehungsweise Butz nannte und immer so weiter. Wenn er mit einem Butz schimpfen musste, nannte er ihn „Mensch“. „Mitleid mit Tieren hängt mit der Güte des Charakters so genau zusammen, dass man zuversichtlich behaupten darf, wer gegen Tiere grausam ist, könne kein guter Mensch sein“, so Schopenhauer.
Beide Denker, der Engländer und der Deutsche, kamen über ihre Haustiere zum Pathozentrismus: Die Erkenntnis, dass nicht nur der Mensch, sondern auch Tiere Leid empfinden können, zwingt seitdem Menschen zu moralischem Handeln zum Nutzen aller Beteiligten. Vorläufer hat diese Auffassung in der Antike, von Plutarch bis Aristoteles. Beide gestanden dem Tier gewisse Empfindungen zu, zogen daraus aber unterschiedliche Schlüsse. Während Plutarch wie Schopenhauer argumentierte, also moralisch, betrachtete Aristoteles das Tier als nicht vernunftfähig – und daher rechtlos.
Mit der Moderne kam auch eine Verdrängung der Tiere aus der gemeinsamen Lebenswelt
Von den Stoikern der Antike bis zur frühen Neuzeit überwog die Ansicht, bei Tieren handele es sich um instinktgesteuerte Wesen ohne eigenen Wert. Noch Immanuel Kant betrachtete Tiere als Sachen, doch misshandeln sollte man sie seiner Meinung nach keineswegs – denn so würde man schließlich moralisch abstumpfen und dann auch im Umgang mit Menschen zur Grausamkeit tendieren.
Mit der Moderne kam auch eine Verdrängung der Tiere aus der gemeinsamen Lebenswelt – in die Anonymität der Schlachthöfe mit ihrer industriellen Verarbeitung von Geschöpfen, die unmöglich als eigene Subjekte mit eigenen Rechten angesehen werden konnten. Ernsthafte Debatten darüber gab es erst in den 1970er-Jahren, angestoßen unter anderem von der britischen Tierschutzaktivistin und Autorin Ruth Harrison mit ihrer Kritik an den Grausamkeiten der Massentierhaltung.
Die Philosophen Peter Singer und Tom Regan repräsentierten bald gegensätzliche Positionen der Debatte. Während Singer in der Nachfolge von Bentham nur selbstbewussten Lebewesen einen Anspruch auf eigene Bedürfnisse zugestand (menschlichen Embryonen beispielsweise nicht, dem Hund aber schon), sprach Regan dem Tier einen eigenen, ihm innewohnenden Wert zu und machte ein „Respektprinzip“ geltend, unverhandelbar und vergleichbar mit den Menschenrechten.
Regans Position gilt als Ausgangspunkt einer Tierrechtsbewegung, die sich im frühen 19. Jahrhundert formierte. Die Frage ist heute nicht mehr, ob, sondern wann Tiere als Mitgeschöpfe mit Rechten ausgestattet werden und ob sie dann sogar Bürgerrechte erhalten. Das fordert das Philosophenpaar Sue Donaldson und Will Kymlicka. Eines Tages, so ihr Gedanke, wird uns unser heutiger Umgang mit dem Tier ähnlich obszön erscheinen wie die Sklaverei oder die Apartheid.