Statt Plastik
Als größter lebender Organismus der Welt gilt ein Pilz im US-Bundesstaat Oregon. Über der Erde wirkt er allerdings wenig gigantisch. Dort sieht man von diesem Honigpilz aus der Gattung Hallimasch nur die typischen Fruchtkörper mit Stiel und Hut. Aber unter der Erde bilden fadenförmige Zellen, sogenannte Myzelien, eine rund neun Quadratkilometer große Struktur. Wenn etwas so groß wird, kann man es dann nicht als nach wachsenden Rohstoff nutzen?
Tatsächlich lassen sich aus Myzelien besonders gut Verpackungsmaterialien herstellen – und damit Alternativen zu Plastik und Co. Ein New Yorker Unternehmen machte schon 2007 vor, wie das gehen kann – und aus dem Geflecht der Pilze eine Art Styropor. Um zu wachsen, brauchen Myzelien lediglich Wasser, Zucker und einen konstanten Vorrat an Kohlenstoff. Zunächst entsteht dann ein feuchter Leim. Ist der getrocknet und erhitzt, erhält man ein stabiles, belastbares Material. Und das Beste daran: Nach der Verwendung ist das Pilz-Styropor vollständig kompostierbar. Aus Pilzgeflechten lassen sich nicht nur Verpackungsmaterialien herstellen: Forscher und Designer haben daraus auch schon Lampenschirme, Teppiche und Nachttische entwickelt – und sogar Bauziegel.
Ein ganzes Haus
Einst wollte Vera Meyer Astrophysik studieren, dann wurde es aber doch Biotechnologie. Ihr Fachgebiet: Pilze. Anfangs war sie den Pilzen eher auf der Spur, weil sie neue Medikamente finden wollte, die gegen durch Pilze verursachte Krankheiten helfen. Mittlerweile macht sich Meyer die Pilze zunutze: An der Technischen Universität Berlin entwickelt sie Werkstoffe auf der Basis von Pilzen, die eines Tages etwa Beton ersetzen könnten.
Dabei helfen könnte der Zunderschwamm – ein Baumpilz, der laut Meyer die besten Voraussetzungen mitbringt: robust und trotzdem leicht. Derzeit steht in Frankfurt am Main ein temporäres Pilzgebäude namens MYCOSPACE – eine bewohnbare Skulptur. Wissenschaftler, Künstler und Architekten haben zusammengearbeitet, um das Haus aus Holz, Stroh und Pilzen zu kreieren. Serientauglich und langfristig ist MYCOSPACE allerdings noch nicht. Wenn es nach Vera Meyer geht, könnte die Vision vom bewohnbaren Pilzhaus allerdings bis 2030 Wirklichkeit werden.
Plastikfresser
Im Jahr 2011 entdeckten Wissenschaftler der Universität Yale, dass eine Pilzart die Fähigkeit besitzt, Kunststoff zu zersetzen – eine Sensation. Denn anders gesagt bedeutet das: Dieser Pilz namens Pestalotiopsis microspora kann sich von Plastik ernähren – und das sogar im Dunkeln und unter sauerstoffarmen Bedingungen. Das macht er mithilfe eines bestimmten Enzyms. 2017 wurde auf einer Müllhalde in Pakistan entdeckt, dass auch ein weiterer Pilz mit dem Namen Aspergillus tubingensis den Kunststoff Polyurethan in einigen Wochen zersetzen kann – ohne Pilze dauert es mehrere Jahre bis Jahrzehnte.
Dietmar Schlosser vom Helmholtz Zentrum für Umweltforschung hofft, dass dies keine einmalige Sensation war, sondern auch andere Pilze ähnliche Fähigkeiten besitzen: „Ich bin mir sicher: Die Potenziale sind sehr viel größer, als wir bisher wissen.“ Denn Pilze bilden viele Enzyme – und etliche davon seien sehr robust und so designt, dass sie außerhalb von Organismen klarkommen.
Derzeit erforschen Schlosser und sein Team unter anderem, welche Pilze sich auf begrünten Dächern befinden. Denn auch dort landen durch Regen, Aerosole oder Staubpartikel jede Menge Schadstoffe – und diese könnten ein gefundenes Fressen für Pilze sein.
Bisher, so sagen Experten, seien nur ungefähr zehn Prozent aller Pilze der Welt bekannt. Der weitaus größere Teil ist weder bekannt noch untersucht. „Überträgt man solche Verhältnisse auf potenzielle Fähigkeiten zum Schadstoffabbau“, so Schlosser, „kann man sich ausmalen, wie wenig wir bisher wissen.“
Illustrationen: Frank Höhne