Da geht man aus der Kneipe, und dann stehen da drei Typen. Breitbeinig, der Blick stier, Brust raus. Aggrosituation.

„Ausgetrunken?“, fragt der erste, die Arme verschränkt.
„Wir wollen deinesgleichen hier nicht“, sagt der zweite, die Karikatur eines Zuhälters. Pelzjäckchen, auf den Bauch ein Pik-As tätowiert, gigantischer Schnauzbart.
Der dritte spuckt.

Klar, das ließe sich jetzt friedlich lösen. Ein bisschen reden, beruhigen.

Die Faust tut es auch. Links, rechts, schnell schlagen, Deckung, ausweichen, ein paar Sekunden später ist es vorbei. Eine gewisse Befriedigung lässt sich nicht leugnen.

Der da zuschlägt, ist Geralt von Riva, professioneller Jäger von Ungeheuern, Hauptfigur in „The Witcher 3: Wild Hunt“, einem Computerspiel, das die meisten deutschen Kritiker loben. Wegen der Charaktere, der Geschichte. Ein kommerzieller Erfolg ist es wohl auch: Das polnische Entwicklerstudio CD Projekt RED gibt an, vom dritten Teil seien zwei Wochen nach Erscheinen des Spiels Mitte Mai bereits vier Millionen Exemplare verkauft worden.

Geralt sucht seine große Liebe und seine adoptierte Tochter, ein Mix zweier klassischer Motive. Seine Welt ist eine mittelalterliche. Burgen, Schmiede, die auf Ambosse hämmern, Könige führen Krieg.

Hinzu kommt ein großer Schuss Phantastik, es gibt Zauberer, Vampire und eben die Hexer, die Monster erlegen und Flüche aufheben. Als Kind wurde Geralt von seiner Mutter bei einer Schule von Hexern zurückgelassen, im Schwertkampf trainiert und mit Hilfe von Tränken mutiert. Die genetische Veränderung ist gefährlich, viele junge Männer sterben dabei, sie gehört jedoch zur Jobbeschreibung. Ohne Mutation wären Geralt und seine Kollegen nicht schnell und stark genug.

Beim Kampf gegen drei rassistische Schläger sind Superkräfte ebenfalls nützlich.

Hexer gelten nicht als Menschen. Geralt sind seine Mutationen anzusehen, Haar und Haut sind ausgeblichen, seine Augen gleichen denen einer Katze. Für viele, vor allem religiöse Menschen steht Geralt nicht weit über den Monstern, die er tötet. Eine Abneigung nicht unähnlich der, die im realen Mittelalter den Henkern entgegenschlug, deren Beruf als unehrenhaft galt. Die Angst vor dem Fremden, die Ausgrenzung derer, die anders aussehen und anderes tun als die Mehrheit, ist ein zentrales Thema in den „Witcher“-Spielen.

Geralt kann sich verteidigen. Andere nicht.

Eine aus Balken gezimmerte Hütte, Flammen fressen ein Loch in das strohgedeckte Dach, Schreie, die Tür von außen mit Brettern und einem Fass verbarrikadiert, davor Männer. Geralt muss sie töten, wenn er die Person im Haus retten will, eine Elfin. Zwerge, Elfen – sie gehören seit J. R. R. Tolkiens „Herr der Ringe“ zum festen Inventar von Fantasywelten. In Geralts Universum sind diese Völker nahezu ausgerottet, Menschen haben ihre Reiche und Kulturen vernichtet. Die meisten der noch lebenden „Anderlinge“ wohnen in Ghettos am Rande der Menschenstädte.

Sie sind abhängig vom Schutz, den ihnen die Herrscher gewähren. Können oder wollen die Mächtigen den Anderlingen nicht beistehen, kommt es zu Pogromen. Die Ähnlichkeit mit der Unterdrückung der Juden im europäischen Mittelalter ist augenfällig.

Der Rassismus, der in „Witcher“ thematisiert wird, enthält aber zusätzlich moderne Elemente: In vielen Ländern Europas wurden in der als Mittelalter bezeichneten Zeit vor allem jene ausgegrenzt, die eine andere Religion hatten – Juden und Muslime, denen selbst nach einer Konvertierung zum Christentum oft noch nachgesagt wurde, sie übten ihre alte Religion heimlich weiter aus. Der Rassismus, wie er in den folgenden Jahrhunderten aufkam, setzte in dem Maße, wie die Aufklärung die Religion zurückdrängte, an die Stelle der theologischen Gründe scheinwissenschaftliche, oft biologistische. In „The Witcher 3“ kursiert ein Pamphlet, das Zwerge mit Maulwürfen gleichsetzt und Elfen mit Raubvögeln. Die Anderlinge sähen zwar den Menschen ähnlich, seien aber eigentlich Tiere.

Rassismus thematisieren inzwischen viele der gut verkauften Spiele, die in einem mittelalterlichen Fantasy-Setting spielen. In der „Dragon Age“-Reihe des kanadischen Spieleentwicklers Bioware leben Elfen ebenfalls in Ghettos. In den „Elder Scrolls“-Spielen des US-amerikanischen Unternehmens Bethesda haben Elfen zuerst die Menschen versklavt und dann die Menschen einen Großteil der Elfen vernichtet. Ihre Reiche, die noch existieren, mussten sich einem von Menschen geführten Imperium unterwerfen, Spannungen zwischen den Völkern gibt es ständig.

Derartige Elemente verbinden die vermeintlich mittelalterlichen Welten in der „Witcher“-Reihe und den anderen Spielen mit dem Hier und Heute. Vorbei sind die Zeiten, in denen Fantasy vor allem Weltflucht in Träume von zaubrischen Welten voller Drachen und Heldentaten war. Die behandelten Gegenwartsthemen erschöpfen sich nicht im Rassismus. In „The Witcher 3“ soll Geralt Frau und Tochter eines Burgbesitzers wiederfinden. Nach und nach bekommt der Hexer heraus, dass der ehrlich liebende Vater auch ein gewalttätiger Säufer ist, der all die Entschuldigungen für seine Brutalität vorbringt, die sich auch Frauen in deutschen Gerichtssälen von ihren gewalttätigen Männern anhören müssen. Seine Anna wisse doch genau, wie sie ihn zwicken müsse, damit er ausrastet, jammert der Burgherr. Solche modernen Erzählungen und Charaktere zählen zu den großen Stärken des Spiels.

Über die Schwächen haben vor allem US-amerikanische Kritikerinnen geschrieben. Wenn „Witcher 3“ so stark die Moderne adaptiert, warum gibt es dann nur weiße Charaktere? Und wieso sind selbst die starken Frauen im Spiel im Zweifel nur willige Betthäschen der Hauptfigur?

Die Verteidiger des Spiels führen an, die Welt sei eben eine mittelalterliche, in der die Frau nun einmal eine untergeordnete Stellung habe. Die Diskussion erinnert an die Debatte um die TV-Serie „Game of Thrones“, der Kritiker vorwerfen, sie nutze zu oft sexuelle Gewalt, um die Handlung voranzutreiben oder Charaktere interessanter erscheinen zu lassen. Das Hauptargument der Gegner auch hier: Das Mittelalter sei halt so gewesen. Das ist eine gewagte Behauptung angesichts der komplexen Rechtsverhältnisse, die – in beschränktem Rahmen – auch Frauen Möglichkeiten gaben, sich zu wehren, und vor allem angesichts der zum Teil dünnen Quellenlage, die ein geschlossenes Bild dieser Zeit gar nicht zulässt. Das Mittelalter in fiktionalen Schöpfungen ist immer das, was Autoren und Rezipienten heute daraus machen.

Was der Thematisierung von Rassismus in „Witcher“ fehlt, und diese Leerstelle teilt es mit anderen Computerspielen, ist, dass er für die Spielfigur letztendlich doch kaum mehr ist als Dekoration. Die Designer der Spiele stellen die Freiheit ihrer Protagonisten über die Möglichkeit, Ausgrenzungen für Figuren und Spieler erfahrbar zu machen. Geralt wird zwar als Mutant beschimpft und muss sich ab und an prügeln, aber es gibt kein Geschäft, in das er nicht hineinkäme, nichts, was er nicht kaufen könnte, solange das Geld reicht, sogar der Hof des Kaisers steht ihm offen. Einzig ein paar Huren sagen, sie würden mit so einem wie ihm nicht schlafen.

Rassismus erfahrbar zu machen müsste aber auch bedeuten: Ausschluss erfahrbar zu machen, an relevanten Teilen der Geschichte nicht teilhaben zu können. Dieses Gefühl und damit mehr Erfahrungstiefe ließe sich durch Räume und Erzählungen erzeugen, die für den Protagonisten nicht oder nur unter großen Mühen oder Gefahren erreichbar und erfahrbar sind. Das würde Entwicklern allerdings Mut abverlangen, denn derlei Einschränkungen könnten Spielerinnen und Spieler verärgern und abschrecken.

Daniel Schulz ist Redakteur bei der „taz.am Wochenende“ und schreibt für die „taz“ immer mal wieder über Computerspiele.