Der Markt soll es regeln, meint Immobilienexperte Michael Voigtländer
Der Refrain im heute oft gesungenen Lied der Mietproteste geht ungefähr so: Wohnen ist ein Grundbedürfnis, und daher sollte man Wohnungen nicht dem Markt überlassen. Der Chor der Demonstranten fordert dann einstimmig: mehr kommunale Wohnungen oder sogar die Enteignung von privaten Wohnungsgesellschaften, wie aktuell in Berlin. Die kommunalen Wohnungsgesellschaften sollen bitte schön zu günstigeren Konditionen vermieten als die privaten, die ja, so der Vorwurf, nur ihren Gewinn maximieren wollen.
Solche Ideen erfahren derzeit große Zustimmung, laut einer aktuellen Online-Umfrage des „Tagesspiegel“ halten etwa 54,8 Prozent der Befragten eine Enteignung großer Wohnungsgesellschaften für richtig. Dies ist überraschend, denn in anderen existenziellen Lebensbereichen, wie etwa Lebensmitteln oder medizinischer Versorgung, vertrauen wir auch im Wesentlichen auf private Akteure.
Der Senat müsste viel entschiedener Bauland ausweisen
Dem privaten Wohnungsmarkt misstrauen die Menschen, weil die Mieten so stark gestiegen sind. In Berlin explodierten sie vor allem aus zwei Gründen: Die Einwohnerzahl ist zwischen Ende 2011 und dem ersten Halbjahr 2018 um fast 300.000 Menschen gewachsen, und die Bautätigkeit kommt nicht hinterher. Dies liegt aber nicht am fehlenden Interesse der Unternehmer, in den Wohnungsbau zu investieren! Es liegt am fehlenden Bauland. Der Senat müsste viel entschiedener Flächen ausweisen, auf denen neue Stadtviertel gebaut werden können.
Märkte reagieren auf zunehmende Knappheiten mit steigenden Preisen. Für den einzelnen Wohnungssuchenden ist dies ärgerlich, aber gesellschaftlich wichtig. Denn damit ist auch eine Lenkung verbunden. Zur Wahrheit gehört nun mal, dass nicht alle in einer Toplage wohnen können. Durch höhere Mieten werden Wohnungssuchende angehalten, weniger Wohnraum zu nutzen und sich in WGs zusammenzufinden, wodurch mehr Menschen den Wohnraum nutzen können.
Wird das Wohnen in der Stadt subventioniert, zieht es noch mehr Menschen in die Stadt
Vor allem aber setzen die hohen Mieten Anreize, ins Umland zu ziehen. Tatsächlich ist es gesellschaftlich ein Problem, wenn Menschen vermehrt in die Großstädte gehen, aus ländlichen Regionen oft trotz guter Arbeitsmarktperspektiven junge Menschen abwandern. Wer im Umland lebt, kann preiswert wohnen. Dafür sorgt der Markt. Wird dagegen das Wohnen in der Stadt subventioniert, zieht es in der Tendenz noch mehr Menschen in die Stadt.
Selbstverständlich darf die Wohnungspolitik aber nicht ausschließlich dem Markt überlassen werden. Was wir brauchen, ist eine Sozialpolitik, die bedürftige Mieter direkt unterstützt. Das funktioniert im Moment nicht immer gut. In den Wohnungsbeständen der landeseigenen Berliner Gesellschaften leben zu einem Drittel Menschen, die mit ihrem Einkommen über dem Durchschnitt der Berliner Bevölkerung liegen.
Kauft der Staat nun Wohnungen und Häuser auf und senkt die Mieten, werden auch Mieter unterstützt, die keiner Hilfe bedürfen. Oder soll man etwa die alten Mieter rausschmeißen und nur neue, bedürftige Mieter mit Wohnberechtigungsschein einziehen lassen? Wir müssen den einzelnen Menschen unterstützen, der in der Wohnung wohnt – und nicht die Wohnung an sich!
Die Politik muss sich auf die tatsächlich bedürftigen Haushalte konzentrieren
Auch für den Staat gilt die Binsenweisheit: Jeden Euro kann man nur einmal ausgeben. Wenn man Mieten künstlich niedrig hält, steht weniger Geld für andere Aktivitäten zur Verfügung, etwa für Schulsanierungen, Polizei oder andere Formen der Infrastruktur. Daher sollte sich die Politik auf die tatsächlich bedürftigen Haushalte konzentrieren und zum Beispiel über eine Stärkung des Wohngelds diese Haushalte gezielt unterstützen.
Damit es mehr Wohnraum in deutschen Städten gibt, muss der Staat sich auf die Rahmenbedingungen konzentrieren und dafür sorgen, dass überhaupt neue Wohnungen gebaut werden können. Dann wird sich ein privatwirtschaftlich organisierter Markt auch schnell wieder entspannen.
Michael Voigtländer ist Immobilienexperte am Institut der deutschen Wirtschaft in Köln und lehrt an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg. Schon als Student an der Universität Köln hat er sich Gedanken über den Wohnungsmarkt gemacht – und zog lieber nach Leverkusen, um den hohen Mieten aus dem Weg zu gehen.
Collagen: Renke Brandt
Gefragt sind der Staat und wir alle, entgegnet die Publizistin Ines Schwerdtner
Mittlerweile können die meisten Menschen beim Umzug in eine andere oder innerhalb einer Stadt nicht mehr danach entscheiden, welche Umgebung ihnen am besten gefällt oder wo ihre Freundinnen wohnen, sondern wo die Mieten noch halbwegs bezahlbar sind. Das trifft Studenten, Familien, Rentnerinnen, Singles – eigentlich fast alle. Noch schlimmer kommt es für diejenigen, die aus ihren Wohnungen rausgeworfen werden, weil Sanierungen anstehen oder sie sich die Miete nicht mehr leisten können.
Das, was sich hinter dem Wort „Gentrifizierung“ dann verbirgt, ist im wahrsten Sinne des Wortes Verdrängung. In Innenstädten kann nur noch leben, wer es sich leisten kann. In Städten wie Berlin haben sich die Mieten innerhalb von zehn Jahren in einigen Bezirken verdoppelt. Für mein erstes WG-Zimmer zahlte ich noch 230 Euro, zuletzt waren es 450.
Das Menschenrecht auf Wohnen wird systematisch verletzt
Gegen diesen rasanten Anstieg sollte die Mietpreisbremse helfen. Doch sie kann die Preise nur deckeln, den Anstieg nicht verhindern. Zudem gibt es viele Wege, sie zu umgehen. Gerade für die großen Unternehmen, die mehrere Tausend Wohnungen besitzen, ist es durch ihre ungeheure Marktmacht ein Leichtes, die seichten politischen Regelungen zu umgehen oder an den Rand des Möglichen zu treiben.
Im Sozialpakt der Vereinten Nationen ist ein Recht auf Wohnen festgeschrieben. Mit anderen Worten: Der Staat muss sich um genügend Wohnraum für seine Bürgerinnen und Bürger kümmern! Die Bundesrepublik hat den Pakt 1973 ratifiziert, und trotzdem werden im „Sechsten Staatenbericht“ von 2018 der ungeregelte Wohnungsmarkt und die steigenden Mietpreise in Deutschland bemängelt. Genau genommen verletzt die Regierung systematisch das Recht auf Wohnen – und damit ein Menschenrecht.
Selbst die UN raten deshalb, in den sozialen Wohnungsbau zu investieren und Mietspekulationen zu verhindern. Das Irre am Geldverdienen mit Wohnungen sind ja nicht nur die hohen Mieten, sondern die Tatsache, dass Wohnungen leer stehen oder nur ein paar Tage im Jahr genutzt werden: als Ferienwohnungen der Oberschicht.
Rekommunalisierung ist nicht nur nötig, sie ist auch rechtens
Will man die Not wirklich bekämpfen, muss man an die Wurzel des Problems: das Geschäft mit dem Profit durch Wohnungen. Erst wenn die Wohnungen wieder für die Menschen und nicht fürs Geld gebaut und instand gehalten werden, können wir von einer humanen Wohnungspolitik sprechen.
Für mehr Wohnraum sorgt aber nicht unbedingt der Staat, sondern wir alle! Das bedeutet, alle rechtlichen Möglichkeiten auszuschöpfen und Genossenschaften, kommunale Wohnungsbaugesellschaften oder soziale Bauträger zu gründen. Erst wenn die Mieterinnen und Mieter selbst über ihren Wohnraum mitbestimmen dürfen, werden sie Preise und die Wohnraumvergabe nach anderen Kriterien ausrichten können als den des größten Profits.
Tatsächlich müssen dafür die bestehenden Wohnungen erst einmal enteignet werden. Ein Schritt, den die Mehrheit der Berlinerinnen und Berliner befürwortet. Bei einem solchen Staatseingriff denken trotzdem viele an ein staatssozialistisches Schreckgespenst. Zu sehr haben sich alle daran gewöhnt, dass „der Markt“ die Dinge von allein und für alle zum Besten regelt.
Das Recht auf Wohnen für alle wird erkämpft werden müssen
In Wahrheit sind Enteignungen eine Lösung, die durch das Grundgesetz abgesichert und angesichts der prekären Lage auch absolut legitim ist. In Artikel 15 heißt es: „Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden.“
Man wird sich dafür mit den Unternehmen und Vermietern anlegen müssen. Kurz: Das Recht auf Wohnen für alle wird erkämpft werden müssen.
Ines Schwerdtner zieht gerade von Frankfurt (Main) nach Berlin und konnte eine Wohnung nur über Bekannte finden. Sie schreibt für das sozialistische Jacobin Magazin und auch sonst gern über Enteignungen und demokratischen Sozialismus.