Am Waldrand steht Janine Korduan vor einem Zaun und blickt auf die Fläche dahinter, größer als 400 Fußballfelder. Statt Wald reihen sich hier nun in der Ferne Hallen aneinander. Die Tesla „Gigafactory“ Berlin-Brandenburg in Grünheide. Korduan, Ende 30, arbeitet für den Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), aber am Rande der Gigafactory steht sie auch als Anwohnerin. Sie engagiert sich in der Bürgerinitiative Grünheide.
Genau hier, etwa eine Autostunde von Berlin entfernt, hat Elon Musk 2022 eine Autofabrik eröffnet, seine erste in Europa. Die Gründe für den Standort: genug Platz, gute Anbindung, viel Ökostrom. Die Fabrik wurde allerdings mitten in ein Trinkwasserschutzgebiet gebaut. Zum Schutz der Trinkwasserquellen ist der Bau einer solchen Fabrik nur mit einer Ausnahmegenehmigung möglich.
Seit es Tesla gibt, müssen sich die gut 9.000 Einwohner der Gemeinde Grünheide mit großen Themen herumschlagen: Es geht um Fragen von Ressourcenverteilung und Demokratie, Profit und Klimawandel, Wasser und Wasserknappheit.
Nach dem Spaziergang entlang des Werksgeländes kehrt Korduan zu einem Infostand am Bahnhof in der Nähe der Fabrik zurück. Er ist behängt mit bunten Plakaten. „Stop water grabbing“, steht darauf, zu Deutsch „Stoppt den Wasserraub“.
Die 2019 gegründete Bürgerinitiative Grünheide, in der sich Janine Korduan engagiert, unterstützt eine Gruppe von Aktivist:innen der Initiative „Tesla stoppen“. Einige der Aktivist:innen lebten zeitweise in Baumhäusern in einem Protestcamp im Wald, sie bauten eine Mahnwache auf. Janine Korduan stand selbst ab und zu in der Mahnwache und redete mit den Anwohner:innen. Mitte November mussten die Aktivist:innen das Protestcamp allerdings auf Anordnung der Polizei teilweise verlassen, da auf dem Areal nach Kampfmitteln im Boden gesucht wird.
Zusammen mit etwa 15 anderen Einwohner:innen ist Korduan Teil des aktiven Kerns der Bürgerinitiative. Ihr Ziel: Tesla den Hahn abdrehen.
Zu Beginn galt ihre Sorge dem Wald. Heute sorgt sich die Bürgerinitiative vor allem um das Wasser: „Für die Profite eines der reichsten Männer der Welt wird die Wasserversorgung einer Region gefährdet“, sagt Korduan. Mit bis zu vertraglich zugesicherten 1,8 Millionen Kubikmetern Wasser pro Jahr wird die Gigafactory beliefert, das ist so viel, wie eine Stadt mit 40.000 Einwohnern benötigt – und das in einer Region, in der Wasser ohnehin knapp ist. Der Klimawandel führt dazu, dass die Temperaturen steigen, sich die Verdunstung erhöht und weniger Grundwasser gebildet wird, weil die Niederschläge dort nicht mehr ankommen. Der Wasserverband Strausberg-Erkner (WSE), der die Gigafactory versorgt, steht schon jetzt vor Herausforderungen. Korduan erzählt von Leuten aus Berlin, die auf dem Brandenburger Land ein Wohnprojekt mit mehreren Mietshäusern bauen wollen, aber keine Genehmigung bekommen. Der Grund: Der WSE kann nicht garantieren, dass genügend Trinkwasser zur Verfügung steht. Der WSE wurde dazu befragt, hat sich aber nicht geäußert.
„Deshalb ist es absurd, dass diese Fabrik noch größer werden soll“, sagt Korduan. „Gegen den Willen der Bevölkerung.“
Für die Gigafactory war eine Erweiterung geplant, die zuvor in einer Bürgerbefragung mit über 60 Prozent der Stimmen abgelehnt worden war. Daraufhin wurde die Planung geändert, es wurden nicht mehr 100 Hektar Wald in Anspruch genommen, sondern nur noch etwa die Hälfte. Die Gemeindevertretung von Grünheide, das Gremium, das die Entscheidung treffen muss, stimmte dafür.
Auch Pamela Eichmann hat dafür gestimmt. Sie engagiert sich ehrenamtlich in der Kommunalpolitik, seit zehn Jahren als Vorsitzende der Gemeindevertretung.
Als Eichmann mittags ins Café im Zentrum von Grünheide kommt, um von der Abstimmung damals zu erzählen, grüßt sie erst mal die Gäste an einem Tisch, dann die an einem anderen, bevor sie Platz nimmt. Sie lebt schon ihr ganzes Leben hier, seit 50 Jahren.
Bevor ihre Gemeinde Standort der Gigafactory wurde, organisierte Eichmann als Vorsitzende das Heimatfest oder plante die Kosten für das neue Feuerwehrhaus. Seit Tesla da ist, bekommt sie regelmäßig Interviewanfragen von überregionalen Medien. Für sie ist Tesla Fluch und Segen.
Eichmanns Gemeinde hat letztes Jahr rund sechs Millionen Euro Gewerbesteuer von Tesla eingenommen. Und auch wenn in der Autofabrik zuletzt Arbeitsplätze abgebaut wurden, weil der Markt für Elektroautos gerade nicht so gut läuft, sind dort immer noch mehr als 11.000 Menschen beschäftigt.
Aber Pamela Eichmann sehe auch den Fluch: den gerodeten Wald, die Sorge ums Wasser, sagt sie, den Brandanschlag. Im März 2024 hatte ein Brandanschlag auf einen Strommast die Tesla-Fabrik lahmgelegt und einen Millionenschaden verursacht. Die linksextreme Vulkan-Gruppe bekannte sich dazu, Ermittlungen laufen. Korduan und die Bürgerinitiative haben sich davon distanziert, sie protestieren friedlich. Als Einwohner:innen seien sie in der Bürgerinitiative selbst betroffen und entsetzt gewesen, sagt sie: „Es geht um unsere Sicherheit: Wie können Tesla und Landesbehörden so versagen?“ Ein Teil der Gemeinde war den ganzen Tag im Dunkeln, als es passierte. Sie sei so erschrocken gewesen, sagt Pamela Eichmann. Vor allem machte sie sich Sorgen um die Patient:innen der Rehaklinik in Grünheide, um die Menschen, die an Beatmungsmaschinen angeschlossen sind. Auch mehrere Bürger:innen seien besorgt gewesen, viele riefen sie an diesem Tag an.
Am 16. Mai 2024, am Tag des Entscheids über die Erweiterung, mussten Eichmann und andere Gemeindevertreter:innen unter Polizeischutz an der Versammlung teilnehmen. Zum ersten Mal in Eichmanns langer Gemeindevertretungsgeschichte. Vor dem Saal demonstrierten Menschen mit Transparenten gegen die Erweiterung. „Drinnen waren alle circa 200 Plätze besetzt“, sagt Eichmann, „normalerweise kommen höchstens 30 Leute zu den Abstimmungen.“
Es wurden Friedenslieder gesungen und Ordnungsrufe verteilt, bis der Gemeinderat nach rund zwei Stunden der Erweiterung der Gigafactory zustimmte. Auch Eichmann stimmte dafür. „Vor allem, weil der Bebauungsplan einen Güterbahnhof für die Fabrik vorsah“, sagt sie. Der sollte die Bürger:innen von fast 2.000 Lkw-Fahrten pro Tag entlasten. Nach der Abstimmung habe sie zwei Drohbriefe erhalten, voller sexistischer Beleidigungen.
Mitte Oktober hat das Landesumweltamt einen ersten Änderungsantrag von Tesla genehmigt: Es soll nun doch kein weiterer Wald gerodet werden. Es werden eine weitere Halle und Parkplätze gebaut – allerdings auf dem Gelände, das sich bereits in Firmenbesitz befindet. Außerdem bietet Tesla in der Gigafactory eine Sprechstunde für Anwohner:innen an. „Den Bürgern hat am Anfang die Transparenz gefehlt“, sagt Eichmann. „Jetzt versucht Tesla, das wiedergutzumachen.“ Der Güterbahnhof kommt allerdings vorerst wohl nicht.
Durch ihre Gemeinde gehe ein Riss zwischen Tesla-Gegner:innen und Tesla-Befürworter:innen, sagt Eichmann. Sie mache sich Sorgen. Eine Bekannte habe ihr neulich auf der Straße erzählt, dass ihr Sohn eine Ausbildung zum Mechatroniker mache. Wo, habe Eichmann gefragt. Darauf habe die Bekannte nicht geantwortet. „Tesla wollte sie nicht laut sagen.“
Titelbild: Paul Langrock/laif