Die Globalisierung macht vor nichts halt, auch nicht vor der Ideologie deutscher Reichsbürger*innen. Als im vergangenen Sommer immer mehr von ihnen gegen die Corona-Maßnahmen protestierten, zeigten ihre schwarz-weiß-roten Fahnen oft einen zusätzlichen Buchstaben: Q.
Es steht für einen US-Export, die Verschwörungsideologie QAnon. Ein Teil der Anhänger*innen glaubt, Covid-19 sei eine Biowaffe, andere halten das Virus für erfunden. Donald Trump ist für sie ein Held, der die Welt aus den Fängen solcher Verschwörungen retten wird. Sie glauben, er führe einen geheimen Kampf gegen ein globales Netzwerk aus Politiker*innen, Unternehmer*innen und Hollywoodstars, das Kinder entführe und missbrauche, um aus ihrem Blut Verjüngungsmittel herzustellen. Und sie glauben, Q, ein anonymer Informant mit angeblich hohem Geheimhaltungsgrad innerhalb der US-Regierung, berichte der Öffentlichkeit durch kryptische Botschaften über diesen angeblichen Kampf gegen „das Böse“. Qs Botschaften werden seit Oktober 2017 in den Foren 4chan, 8chan und 8kun verbreitet, mittlerweile ist die Verschwörungsideologie in den höchsten Rängen der Republikanischen Partei und sogar bei Kongressabgeordneten angekommen.
„Reichsbürger und QAnon sind über rechtsradikale Narrative verbunden. Sie teilen die Vorstellungen von einer geheimen Fremdherrschaft über das Volk“
Seit Ende 2019 ist das Q auch in Deutschland zu beobachten, vor allem auf Demonstrationen von Verschwörungsideolog*innen, Impfgegner*innen, Reichsbürger*innen und zuletzt Gegner*innen der Corona-Schutzmaßnahmen. Die deutsche Q-Community ist inzwischen die größte im nichtenglischsprachigen Raum. Wie viele QAnonist*innen es hierzulande gibt, lässt sich schwer sagen. Sicher scheint: Q wächst. Das zeigen allein die deutschsprachigen Kanäle der Szene.
Ein Beispiel: Dem Telegram-Kanal Qlobal Change folgten im März 2020 etwas mehr als 21.000 Menschen, im Juni waren es schon mehr als 111.000. Das zeigt eine Auswertung des Politikwissenschaftlers Josef Holnburger. Im Jahresverlauf verlangsamte sich das Wachstum, die Abonnent*innenzahl wuchs aber bis Ende Januar 2021 auf rund 165.000 an. Andere Kanäle und Chatgruppen wuchsen ähnlich rasant. Auf YouTube wurden deutsche QAnon-Videos hunderttausendfach angesehen – bis die Plattform im Oktober begann, gegen die Verschwörungsideologie vorzugehen und immer mehr Kanäle und Videos zu löschen. Auch auf Instagram und Twitter wurden Profile bekannter QAnon-Anhänger*innen offline genommen.
Besonders verankert hat sich der Glaube an QAnon in der rechtsextremen Reichsbürger-Szene. Reichsbürger*innen und Souveränist*innen glauben, dass die Bundesrepublik noch immer von den alliierten Siegermächten des Zweiten Weltkriegs besetzt, also kein souveräner Staat sei. Sie halten Deutschland für eine Firma, die „BRD GmbH“, gegen die man sich auch mit Gewalt zur Wehr setzen dürfe. Wie kann eine auf den US-Präsidenten Trump fokussierte Verschwörungserzählung in dieser Szene Fuß fassen?
„Reichsbürger und QAnon sind über rechtsradikale verschwörungsideologische Narrative miteinander verbunden“, sagt der Politikwissenschaftler Jan Rathje. „Beide teilen die Vorstellungen von einer geheimen Fremdherrschaft über das Volk, den Wunsch nach einem Erlöser oder Führer und der Bestrafung der vermeintlichen Verschwörer und Handlanger.“ In den USA sprechen QAnonist*innen dabei meist vom Deep State, einem „Staat im Staat“ aus Bürokrat*innen, Geheimagent*innen und Militär, die alles tun, um die Regierung Trump zu sabotieren. Viele Reichsbürger*innen hätten erst Anfang 2020 realisiert, dass der Erlöser Trump nicht nur die USA vom Deep State, sondern auch sie von der „BRD GmbH“ befreien könnte, sagt Rathje.
Der „Erlöser“ Trump ist weg, die Botschaft bleibt: Vertraut dem Plan, vertraut Q
QAnon-Erzählungen finden aber weit über die Reichsbürgerbewegung hinaus Zustimmung. Das könnte auch daran liegen, dass sie gar nicht so neu sind: Die Erzählung von den mächtigen „Eliten“, die heimlich die Geschicke der Welt lenken, geht aus einer langen Tradition antisemitischer Verschwörungsmythen hervor.
Und auch die Erzählung von den Geheimkreisen, die Kinder entführen, missbrauchen und töten, folgt judenfeindlichen Mustern: Die Ritualmordlegende, der zufolge Juden christliche Kinder töten würden, um deren Blut zu trinken, entstand wohl bereits im England des 12. Jahrhunderts und führte seitdem immer wieder zu Pogromen gegen jüdische Gemeinden. Ohne den antisemitischen Kern scheint der Erfolg QAnons bis heute kaum denkbar.
Verschwörungsideologien haben eines gemeinsam: ein klares Freund-Feind-Denken. Wer als Feind gilt, wird zum ultimativen Bösen stilisiert. In diesem Weltbild liegt eine große Gefahr: Wer als Teil der Verschwörung gesehen wird, des Deep State oder einer kindermordenden Elite, muss bekämpft und beseitigt werden. In den USA haben QAnon-Anhänger*innen schwere Straftaten und Morde begangen, die offenbar durch ihren Verschwörungsglauben motiviert waren. Auch in Deutschland warnen Expert*innen seit Monaten vor einer möglichen Radikalisierung der Szene: Eine eigene Arbeitsgruppe des Verfassungsschutzes beobachtet sowohl Corona-Leugner*innen als auch andere Verschwörungstheoretiker*innen.
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Wie sich eine Radikalisierung äußern könnte? Zumindest in den QAnon-Telegram-Gruppen fantasiert man längst über Gewalttaten. Eine Gruppe diskutierte im Oktober 2020 etwa, ob der frühere US-Präsident Barack Obama besser erschossen oder langsam zu Tode gequält werden sollte. In einer anderen forderte eines der mehr als 47.000 Mitglieder im Dezember, alle „Eliten“ sollten in Guantánamo eingesperrt werden. Woraufhin ein Mitglied zustimmte und anfügte, sie sollten dort schnell hingerichtet werden, zusammen mit allen Politiker*innen.
Der Aufstieg von QAnon ist eng an den Wahlerfolg Donald Trumps in den USA geknüpft. Dass die „Erlösung“ durch Trump, der sein Amt im Januar abgegeben hat, und die wiederholt angekündigten Massenverhaftungen seiner demokratischen Kontrahent*innen ausgeblieben sind, wird die Verschwörungsgläubigen wohl kaum bremsen: Vertraut Trump, vertraut dem Plan – das war stets die Botschaft Qs.
Zwar hat der Wahlsieg Joe Bidens, den sich QAnons Anhänger*innen wie so viele andere aus Trumps Lager nur mit einem massiven Wahlbetrug erklären können, viele desillusioniert. Gerade in solchen Rückschlägen liegt aber womöglich die Gefahr: Wer nicht mehr darauf vertraut, dass es ein Erlöser richtet, kann sich umso mehr verpflichtet sehen, den Kampf gegen die „Eliten“ – so wie beim Sturm auf das Kapitol – selbst aufzunehmen.