Natürlich sind wir schon mal auf Fakes reingefallen. Wir überprüfen seit 2011 systematisch Material aus den sozialen Medien, und wir haben seitdem Tausende Fotos und Videos verifiziert. Manchmal beurteilt man trotzdem etwas falsch. Nach einem Hubschrauberabsturz 2014 in der Ukraine haben wir das Video eines Hubschraubers weiterverbreitet, der zwar auch abgeschossen wurde – allerdings schon ein Jahr früher in Syrien. Nach dieser Verwechslung haben wir uns gefragt: Wie können wir noch besser ermitteln, ob etwas wirklich das zeigt, was es zu zeigen scheint?
„Trotz aller Fakes – das Material aus den sozialen Medien können wir nicht ignorieren“
Es kursieren schon eine Menge Fakes in den sozialen Medien. Vor allem in „Breaking News“-Situationen, wie wir sie oft erlebt haben in den vergangenen Jahren: die Terroranschläge in Paris, Brüssel und Berlin, aber auch der Absturz der Germanwings- Maschine in Frankreich. In solchen Situationen müssen wir schnell klären: Ist dieses Bild, ist dieses Video authentisch? Können wir es in den Nachrichten zeigen?
Aussortieren geht manchmal auch schnell. Wir benutzen hier die sogenannte Rückwärts-Bildersuche: Wir gleichen ein Bild mit den Ergebnissen einer Suche im Internet oder Archiven ab. Oft finden wir damit heraus, dass ein Bild aus einem anderen Kontext stammt. Auch nach dem Anschlag von Brüssel haben wir so ein erst mal echt wirkendes Foto aussortiert. Zu sehen war eine Explosion in einer Flughafenhalle. Das Bild wirkte nicht nachträglich bearbeitet, es kam aus einer französischsprachigen Quelle, und wir haben uns andere Aufnahmen vom Brüsseler Flughafen angeguckt: Nach allem, was man auf dem Bild erkennen konnte, hätte es durchaus dort sein können. Die Rückwärts-Bildersuche hat aber offenbart, dass das Foto fünf Jahre alt und tatsächlich eine Explosion am Flughafen von Moskau zu sehen war.
Verifikation ist ein Indizienprozess. Erst mal stellen wir uns die klassischen journalistischen W-Fragen: Was ist zu sehen, wer handelt da, wann und wo passiert das? Die Fragen zu beantworten geht umso besser, je mehr Erfahrung man hat. Ich habe inzwischen so viel Material aus dem Syrienkrieg gesichtet, man könnte mich nachts aufwecken und mir ein Bild vorlegen, das angeblich aus Homs stammen soll, und ich würde sofort sagen können, ob da wirklich die typische Hügelkette zu sehen ist.
Der zweite Punkt ist die Quelle. Wir versuchen, einen direkten Kontakt zur Originalquelle herzustellen, und fragen uns, wie vertrauenswürdig sie ist: Kennen wir den Verbreiter? Seit wann gibt es den Account? Was für Follower hat die Quelle, und wie wird in den sozialen Netzwerken über ihr Material diskutiert? Dann brauchen wir Experten: jemanden, der die Sprache des Landes spricht, aus dem ein Video stammen soll. Oder einen Militärexperten, der jeden Panzer kennt und ihn einer Konfliktpartei zuordnen kann. Dann schauen wir noch auf die technischen Metadaten der Bilder: Man kann auslesen, wann und mit welchem Smartphone ein Foto gemacht wurde. Es gibt auch Indizien, die auf Manipulationen an einem Bild hinweisen.
„Sich so lange Aufnahmen von Terror und Krieg anzuschauen ist belastend“
Das alles kann Stunden dauern. Sich so lange Aufnahmen von Terror und Krieg anzuschauen ist belastend. Wir haben uns deshalb von Anfang an Hilfe von einer Psychologin geholt. Und wir haben so unsere Tricks: zum Beispiel das Vorschaufenster klein machen, um Gewalttaten nicht gleich im Großformat zu sehen.
Trotz aller Fakes – das Material aus den sozialen Medien können wir nicht ignorieren. Gerade der Syrienkrieg zeigt das. Wir haben mit der Verifikation angefangen, als keine Korrespondenten ins Land reinkamen. Die Bilder aus den Netzwerken waren unsere Möglichkeit, eine andere Sichtweise auf den Konflikt zu zeigen als die des Regimes: Sonst gab es nur die Bilder des syrischen Staatsfernsehens.
Michael Wegener leitet das Content Center von ARD-aktuell. Die Redaktion verifiziert Bilder und Videos für die „Tagesschau“, die „Tagesthemen“ und Tagesschau 24.