Das erste Hotel liegt in Strandnähe: vier Sterne, umgeben von hohen Mauern, auf denen ein Elektrozaun installiert wurde, damit die kostbare Gemütlichkeit nicht abhandenkommt. Der Mann, der mir dort jeden Morgen pochierte Eier mit Speck serviert, lebt seit 28 Jahren in einer Wellblechhütte. Aus unserem zweiten Hotel, mit der Badewanne mitten im Zimmer, müssen wir leider nach der ersten Nacht wieder ausziehen, weil wir bei den allnächtlichen Einbruchswellen einfach nicht ruhig schlafen konnten. Jetzt wohnen wir in einem noch sichereren Ferienidyll, beschützt von Sicherheitskräften, die in einer Zwölfstundenschicht rund 16 Euro verdienen. Eine gut bewachte Blase, in der die Wohlhabenden aus aller Welt eines der größten Surf-Events des Jahres feiern – mitten in Südafrika. Also willkommen zu den J-Bay Open.
Der Müllhaufen an der Einfahrt zum Dreamland
Alle sind da: die besten Surfer der Welt, die ganze Verbandsspitze. Bestens abgeschirmte Luxusunterbringung, Hauswand an Hauswand, und Stimmung wie im Ferienlager. Wir sind vom Flughafen direkt hierher, ohne Umwege. Aus der klimatisierten Economy Class in eine gut isolierte Welt, die mit einem großen Teil Südafrikas nichts gemein hat. Durch die getönten Fenster der Limousinen sieht man mal ein paar Jugendliche, die den Müllhaufen an der Einfahrt zum Dreamland nach etwas Brauchbarem durchsuchen. Hin und wieder lädt der eine oder andere Pro-Surfer eine südafrikanische Familie zu sich nach Hause ein und führt ihnen einen Nachmittag lang sein Luxusleben vor.
Südafrika ist ein Land der Kontraste, natürlicher Schönheit und furchteinflößender Statistiken. Die Schere zwischen Arm und Reich klafft weit auseinander, und doch lebt man sichtbar nah beieinander. Hier die Townships, dort die teuren Strandbungalows. Ein Land voller Vielfalt, regiert von einem Präsidenten, der einst in einem Vergewaltigungsprozess andeutete, dass man sich kaum mit HIV anstecken könne, wenn man nach dem Sex dusche.
Aids ist nicht das einzige Problem. Der Rassismus besteht auch nach dem Ende der Apartheid fort. Schwarz serviert, Weiß diniert. Ich erhalte lobende Blicke für eine Selbstverständlichkeit, nämlich eine schwarze Reinigungskraft wie einen richtigen Menschen zu behandeln. Und mittendrin die World Surf League. Natürlich weltoffen und sensibel für die Probleme unserer Zeit. Immerhin werden vier der elf jährlichen Tourstopps in Ländern ausgetragen, die von den Millenniumszielen der UN weit entfernt sind. Kann es sich ein Unternehmen wie die World Surf League aber leisten, wirklich politisch zu werden? Kann es sich eine gutaussehende Sportart erlauben, auf die Probleme hinzuweisen, die wirklich unter die gut gebräunte Haut gehen? Anscheinend eher nicht.
Jeffreys Bay ist ein Ort mit Wellen an 365 Tagen im Jahr. Der Surftourismus boomt. Die Restaurants platzen. Zumindest einmal im Jahr: Die World Surf League rückt diesen Ort in den Mittelpunkt des Geschehens. Kommt, nimmt – und lässt laut Aussagen südafrikanischer Surfverbandsvertreter nichts für den Sport und ihre Kommunen zurück. Durch diesen Ort führt eine breite Straße. Vorbei an der Wettbewerbs-Area bis hin zu den Outlet-Centern, in denen alle großen Surfmarken ihre Kollektionen vergangener Jahre verscherbeln; Cafés, in denen man den anstrengenden Shoppingtag ausklingen lassen kann; Marketingbüros, Headquarters – und dann das: ein ausgebranntes Fabrikgebäude am Ende der Straße, das einstige Billabong-Hauptquartier. Vermutlich angezündet, nachdem in der Woche zuvor 40 Mitarbeiter entlassen worden waren. Die letzte Bastion der Konsumgesellschaft, bevor Plastikhütten, Müll und Perspektivlosigkeit die Landschaft kennzeichnen.
Genau dorthin möchte ich. Das andere Südafrika kennenlernen. Natürlich fühlen wir uns unwohl: nicht nur, weil unser Land Rover größer ist als manche Hütten der dort lebenden Menschen, sondern wegen unseres permanent schlechten Gewissens, weil man überfressen und krankenversichert ist, während die Menschen hier täglich einen Überlebenskampf führen.
Auf unserer Rückbank sitzt Wellington, ein Jugendlicher aus einem Township, der uns mit den Leuten in Verbindung bringt und uns genau sagt, mit wem wir lieber nicht Kirschen essen sollten. Ich bin von seiner Freundlichkeit überwältigt, von diesem Interesse. Wir halten an einer Hütte, die hier „Shebeen“ heißt: eine Kneipe, die nichts mit meinen bisherigen Vorstellungen von einer Kneipe gemein hat. Wir kaufen Bier für die ganze Runde und stoßen mit einem Typen an, den sie „Genitals“ nennen. Er erzählt uns, dass früher alles besser war. Zu Zeiten der Apartheid? „Ja, weil der Rassismus öffentlich organisiert war und nicht so verkappt wie heute. Es gab klare Strukturen, wir hatten ein Haus, und die Polizei war nicht so korrupt! Wir sind auf uns allein gestellt und warten auf die leeren Versprechungen der Regierung.“
Und drinnen wird gefeiert. Nur was, weiß keiner so genau
Bevor wir zurückfahren, müssen wir noch an einem Busch vorbei, in dem Wellington seine Warnweste versteckt, die er für seine Schicht als Parkplatzanweiser braucht. Er sagt, dass man sie ihm sonst stehlen würde. Über zehn Mal wurde er schon mit einem Messer oder Ähnlichem bedroht. Und ich dachte, das Schlimmste, was mir hier passieren könnte, wäre eine eingezogene Kreditkarte oder die allzu gegenwärtige Hai-Hysterie.
Die Menschen haben sich daran gewöhnt, an diese stetige Gefahr. Falscher Ort, falsche Zeit. An unübersichtlichen Ecken wird bei Rot nicht gehalten, und bevor man das Haus verlässt: Fenster zu? Gitter davor? Laptop unterm Bett?
Doch heute Abend wird gefeiert. In dem Haus, das der südafrikanischen Surfhoffnung Jordy Smith während der Wettkampftage zur vollen Verfügung steht. Gefühlte zehn Haushälterinnen, Köche und Securities laden ein, irgendetwas zu feiern. Nur was, weiß keiner. Pro-Surfer sind ein interessantes Völkchen. Sie sind gelangweilt, wenn sie nicht angesprochen werden, und genervt, wenn man es doch tut. Aber ich muss mit Jordy sprechen: über Südafrika, seinen riesigen Swimmingpool und Friede, Freude, Ozean. Bis auf einige Floskeln finde ich nichts von dem wieder, was ich jenseits der abgebrannten Billabong-Fabrik entdecken durfte. Vielleicht doch erwähnenswert, dass in Durban der Putz von den Häusern fällt, Zitat Jordy Smith. Dann rede ich mit dem berühmten Surffotografen Steve Sherman. Ist professionelles Wettkampfsurfen ein Sport für Reiche geworden? Immerhin kommen viele hier aus wohlhabenden Familien. Schwarze Surfer sieht man eher wenig. Ein Jahr auf der Qualification Series der World Surf League beläuft sich in Sachen Reisekosten schon auf über 50.000 Dollar. Jadson André, ein brasilianischer Pro-Surfer, musste Müll sammeln, um sich den Luxus des internationalen Wettbewerbs leisten zu können. Zum nächsten Strand waren es damals zehn Kilometer. Zu Fuß. Von diesem Strandhaus sind es zehn Meter, egal wie.