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Etwa 90 Prozent aller afrikanischen Kunstwerke sollen sich außerhalb Afrikas befinden. Seit Jahrzehnten wird ihre Rückgabe gefordert. Warum bis heute wenig passiert ist, beschreibt Bénédicte Savoy in ihrem neuen Buch

Idia / Kolonialverwalter in Nigeria

Wir sehen sie in Bronze, gekrönt auf brüchigem Sockel. Idia schweigt uns an, doch um sie herum wird es laut. Der Gedenkkopf der Königinmutter gilt als eines der schönsten Kunstwerke aus dem Königreich Benin (ca. 1200–1897) im heutigen Nigeria. Er führt direkt hinein in eine Debatte, die so viel mit Kunstgeschichte zu tun hat wie mit Diplomatie. Gehört die Idia-Bronze nach Berlin, wo sie seit 120 Jahren steht? Oder nach Nigeria, wie es die nigerianische Regierung fordert?

Bedeutet eine Aufarbeitung des Kolonialismus nicht auch die Restitution geraubter Kunst?

Die sogenannte Restitutionsdebatte, also die Frage, wie mit Kunstobjekten aus kolonialen Unrechtskontexten umgegangen werden soll, ist in vollem Gang: Die Bundesregierung hat sich 2018 in ihrem Koalitionsvertrag verpflichtet, den Kolonialismus aufzuarbeiten. Was das heute für die Kunstwerke, aber auch die Alltagsgegenstände bedeutet, die aus Afrika nach Deutschland gebracht und hier ausgestellt wurden, was von ihnen wirklich als Raubkunst bezeichnet werden kann, ist umstritten. Vereinzelt gab es Rückgaben, 2019 zum Beispiel wurde die Cape-Cross-Wappensäule nach Namibia restituiert. In der Popkultur ist das Thema spätestens seit der Marvel-Verfilmung „Black Panther“ angekommen, in der ein US-Amerikaner eine aus dem fiktiven Wakanda, dem Land seiner afrikanischen Vorfahren, stammende Axt aus einer Londoner Museumsvitrine stiehlt. Auch Sharon Dodua Otoos kürzlich erschienener Roman „Adas Raum“ lässt ein westafrikanisches Armband durch die Jahrhunderte reisen und schließlich in einer Berliner Museumsbroschüre wieder auftauchen.

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Afrikas Kampf um seine Kunst. Geschichte einer postkolonialen Niederlage

„Afrikas Kampf um seine Kunst. Geschichte einer postkolonialen Niederlage“ (256 Seiten, 24 Euro) von Bénédicte Savoy ist bei C. H. Beck erschienen.

Schätzungsweise 90 Prozent der afrikanischen Kunstwerke sollen sich außerhalb Afrikas befinden. Den Bronzekopf der Idia entwendeten britische Soldaten 1897 während einer brutalen „Strafexpedition“ aus dem Königspalast von Benin-Stadt. Wenig später kam der Kopf über den Kunstmarkt nach Berlin, inzwischen gehört er der staatlichen Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK).

Eine viel gehörte Stimme in der Debatte ist die der französischen Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy. „Ich will wissen, wie viel Blut von einem Kunstwerk tropft“, erklärte sie 2017, als sie aus Protest den Expertenbeirat des umstrittenen Berliner Humboldt Forums verließ, das dieses Jahr eröffnen soll und noch bis vor kurzem plante, zahlreiche Benin-Bronzen auszustellen. Zuvor hatte Savoy als Beraterin des französischen Präsidenten Emmanuel Macron dafür plädiert, Objekte im Zweifelsfall zurückzugeben. Doch manchen ist dieser Grundsatz zu pauschal. „Man soll nicht immer so tun, als wäre alles zusammengeklaut“, kritisierte etwa SPK-Präsident Hermann Parzinger.

Savoys neues Buch „Afrikas Kampf um seine Kunst“ hält sich mit Polemik eher zurück. Es dokumentiert mit großer Beharrlichkeit die kaum bekannte erste Welle der Restitutionsdebatte. Die hatte ihren Höhepunkt um 1980, ebbte aber bald ab, nachdem Forderungen aus Afrika an der „Sperrmauer westlicher Institutionen“ abgeprallt waren.

Hinter den Schreibtischen der alten Bundesrepublik saßen dabei nicht selten ehemalige NSDAP-Mitglieder. Wie Hans-Georg Wormit, der die Stiftung Preußischer Kulturbesitz leitete, die die zweitgrößte Sammlung von Bronzen und anderen Benin-Artefakten weltweit besitzt. Als 1972 das erst zwölf Jahre vorher unabhängig gewordene Nigeria darum bat, ihm einige der geraubten Benin-Bronzen auszuleihen, schrieb Wormit, Nigeria habe keinerlei „moralischen Anspruch“ auf sie, „die Erwerbungen der Berliner Museen sind von jedem Makel frei“.

Ein beliebtes Argument gegen Restitutionen lautete, sie würden zu völlig entleerten europäischen Museen führen. Savoy zeigt, dass es bei Rückgabegesuchen aber meist um wenige Objekte ging. Die Reaktionen vieler Museen und Wissenschaftler waren in ihren Augen herablassend. Der 2009 verstorbene Ethnologe Friedrich Kußmaul, seinerzeit einer der schärfsten Restitutionsgegner, erklärte zum Beispiel, es gebe „in Kreisen afrikanischer Intelligenz ein manchmal übersteigertes Gefühl eigener Würde, Leistung, Tradition und Zusammengehörigkeit“. Die Bundesrepublik solle sich hüten, „ein schlechtes Gewissen zu präsentieren und zu dokumentieren“.

Werden die Benin-Bronzen Dauerleihgaben – oder mahnende Leerstellen im Museum?

Diese Haltung wirkt bis heute nach. Mangels Listen wissen die Museen teils selbst nicht genau, unter welchen Umständen Objekte in ihre Depots gelangt sind – und ob sie aus fraglichen oder gewaltsamen Kontexten stammen. Savoys Recherchen zufolge war diese Vernebelung zum Teil gewollt. Ein vertrauliches Papier westdeutscher Museumsexperten warnte 1978 ausdrücklich davor, Objektverzeichnisse zu erstellen, denn so „würden Begehrlichkeiten erst recht geweckt“. Und überhaupt: Voraussetzung für Rückgaben sei, „daß in den betreffenden Ländern nachgewiesenermaßen wirklich nichts mehr an Kulturgut ist. Sehr oft haben sie nämlich sehr viel, wissen es aber nicht“.

Mittlerweile ist zumindest der offizielle Ton ein anderer. Der Deutsche Museumsbund hat jüngst einen Leitfaden für den „Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten“ herausgegeben, in dem neben Rückgaben auch die Möglichkeit eines „gemeinsamen Sorgerechts“ genannt wird. Am 22. März stellte Hartmut Dorgerloh, der Intendant des Humboldt Forums, in einem Pressegespräch außerdem eine kleine Sensation in Aussicht: Er erwarte, dass bis September über die Restitution der Berliner Bronzen entschieden werde. Vonseiten der SPK, deren Stiftungsrat die Entscheidung trifft, hieß es, man führe derzeit „aktive Gespräche mit den zuständigen Akteuren in Nigeria“. Bedenkt man den öffentlichen Druck, der maßgeblich auch von Savoy ausgeht, ist gut vorstellbar, dass wenigstens ein Teil der Objekte dorthin gehen wird.

Wie die Zukunft der Idia aussieht – ob sie etwa als nigerianische Leihgabe in Berlin bleibt oder aber eine mahnende museale Leerstelle hinterlässt –, ist also offen. Genauso wie der künftige Umgang mit Benin-Bronzen, die sich in Hamburg, München, Leipzig oder Stuttgart befinden. Es wird auch an der jungen Generation liegen, zu verhindern, dass die Debatte ein zweites Mal verstummt. Sie ist, wohl oder übel, deutsches Kulturerbe.

Titelbild: Jürgen Liepe © Ethnologisches Museum, Staatliche Museen zu Berlin /Hulton-Deutsch Collection/Corbis via Getty Images

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