Dem Great Barrier Reef, dem größten Korallenriff der Welt, ging es noch nie so schlecht wie jetzt: Forscher sprechen vom schlimmsten Korallensterben seit Menschengedenken, das sich vor der Nordostküste Australiens abspielt. Bei zu warmen Wassertemperaturen wie in diesem Jahr kommt es zur Korallenbleiche (siehe Infokasten): Erst verlieren die Korallen ihre Farbe, dann sterben sie ab. Es geht um mehr als ein paar bunte Fische: Korallenriffe sind hochkomplexe Ökosysteme; sie beherbergen etwa eine Million Arten und sind in ihrer Vielfalt nur mit tropischen Regenwäldern vergleichbar. Tom Goreau, Gründer und Vorsitzender der „Global Coral Reef Alliance“, baut künstliche Riffe, auf denen Korallen diese Katastrophe überleben können. Im kleinen Maßstab ist seine Biorock®-Methode als Erfolgsmodell seit Jahren anerkannt – er selbst würde damit gern auch das Great Barrier Reef retten.
fluter.de: Sie haben weltweit bereits über 300 künstliche Korallengärten angelegt. Wie funktioniert das?
Tom Goreau: Wir bauen Stahlkonstruktionen, die wir auf dem Meeresgrund verankern und durch die wir schwachen Gleichstrom leiten. Durch den Prozess der Elektrolyse fällen Mineralien aus dem Meerwasser aus – es lagert sich Kalkstein ab, und auf diesem Untergrund siedeln wir Korallen an. Durch die leichte Spannung unterstützen wir sie in ihrem Stoffwechsel, wir nehmen ihnen quasi Arbeit ab. Unsere Korallen wachsen zwei bis zehnmal schneller als andere unter denselben Bedingungen; und sie sind gegenüber schädlichen Umwelteinflüssen ausgesprochen resilient.
Resilient – das heißt, diese Korallen sind widerstandsfähiger als andere?
Genau. Sie können auch unter hohen Temperaturen länger überleben. Wir haben das 1998, während des letzten Super-El-Niños, auf den Malediven dokumentiert: Unsere Korallen blichen zwar aus, aber sie starben nicht. Einfach weil sie gesünder und stärker waren als die Korallen auf den Riffen ringsumher. Auf diese Weise konnten wir sie erhalten, während rundherum alles einging. Die Fische, die die toten Riffe verließen, zogen in unsere Strukturen ein und konnten dort überleben. Indem wir zerstörte Korallenriffe wiederherstellen, tragen wir zum Erhalt der Vielfalt bei. Unsere künstlichen Riffe fungieren als eine Art Arche.
Auf Bali haben Sie auch ein natürliches Riff unter Strom gesetzt, die Korallen dort gedeihen prächtig. Wäre das auch am Great Barrier Reef möglich?
Technisch gesehen: auf jeden Fall. Wir könnten Tausende von Kilometern von Riff verkabeln –wenn wir das Geld dazu hätten. Viel Strom verbraucht das nicht: Ein Kilometer Stromleitung durch das Riff braucht in etwa so viel Energie wie eine Klimaanlage.
Klingt so einfach. Warum wird das nicht gemacht?
Aus politischen Gründen. Ich bin in den letzten zehn Jahren mehrfach von Touranbietern am Great Barrier Reef gebeten worden, ihre Riffe wiederaufzubauen. Diese Leute bringen Tausende von Touristen in ausgewiesene Besucherzonen – und leiden darunter, dass es für ihre schnorchelnden Gäste kaum noch etwas zu sehen gibt. Die Reaktion des Managements des Great Barrier Reef Marine Park war aber: „Auf gar keinen Fall! Unsere Riffe brauchen keine Hilfe.“
Woher kommt diese Haltung?
Das war schon immer so. In der Logik der Marine-Park-Manager ist Management an sich schon die Lösung des Problems. Ich halte das für historisch fragwürdig, denn dem Riff geht es kein bisschen besser, seit es gemanagt wird. Am besten erhalten ist es im nördlichsten Drittel, oberhalb von Port Douglas, wo die Manager nicht hinkommen. Es geht ja nicht nur um Korallenbleiche. Invasionen von Dornenkronen-Seesternen haben in den letzten Jahren mehrfach ganze Riffe aufgefressen. Die Leute vom Marine Park haben da so lange zugeschaut, bis es zu spät war, und dann verkündet: „Das war alles ganz natürlich, da können wir leider nichts tun.“
Das Credo des Marine Park ist: Korallenriffe sind resiliente Ökosysteme und in der Lage, sich von selbst zu erholen. Je weniger Einflussnahme von außen, desto besser.
Das ist auch prinzipiell richtig – jedenfalls war das früher so. In meiner Kindheit auf Jamaika habe ich mehrmals komplett zerstörte Riffe gesehen, wenn ein Schiff aufgelaufen war oder ein Hurrikan zugeschlagen hatte. 20 Jahre später hatten sich diese Riffe vollkommen regeneriert: Der Schaden war begrenzt, und sie waren von gesunden Korallenriffen umgeben. Regeneration funktioniert aber nur in einer Umgebung ohne Stress. Die gibt es heute nicht mehr. Die Tatsache, dass dieses Jahr auch eine derart abgelegene Region wie das nördliche Drittel des Great Barrier Reef so stark zerstört wurde, zeigt ja: Hohe Temperaturen kommen überallhin.
Was ist Ihr Rat an die australische Regierung?
Australien sollte sich dringend darum kümmern, seine Riffe zu restaurieren. Und aufhören, den Zusammenhang zwischen CO2-Ausstoß und Klimawandel zu leugnen. Das Land ist einer der größten Klimasünder der Welt, und das Great Barrier Reef bezahlt den Preis dafür. Ich habe schon während der großen Korallenbleiche 1998 davor gewarnt, was unweigerlich passieren würde. Wir haben ja die Daten zur Oberflächenwassertemperatur, und wir wissen seit Jahren um diese Probleme. In gewisser Weise war es Pech, dass der jetzige Super-El-Niño erst jetzt kam – sonst hätte die Welt vielleicht früher begriffen, wie dringend dieses Problem ist. Wir können das Aufheizen der Meere nicht mehr aufhalten, aber wir können Korallenriffe dabei unterstützen, das zu überleben.
Korallenriffe sichern weltweit den Lebensunterhalt von mindestens 100 Millionen Menschen. Allein am Great Barrier Reef geben Touristen im Jahr über vier Milliarden australische Dollar aus. Warum rüttelt das nicht auf?
Weil die Korallenriffe uns mit ihren Ressourcen leider kostenlos versorgen. Fischreserven und bunte Unterwasserwelten – der materielle Wert dieser „Dienstleistungen“ wird erst deutlich, wenn er ausbleibt. Ganz zu schweigen vom Küstenschutz. Die Bewohner der kleinen Inselstaaten stehen schon jetzt bis zu den Knöcheln im Wasser, und jeder einzelne Strand dieser Welt wird durch den Klimawandel Schaden nehmen. Aber niemand kümmert sich darum. Die Korallenriffe sind das Erste, was wir verlieren, aber nicht das Letzte.
Der Biochemiker und Meeresbiologe Tom Goreau wurde auf Jamaika geboren und erkundete dort schon mit seinen Eltern Korallenriffe. Heute erforscht er den Einfluss der globalen Klimaveränderung und der Verschmutzung der Meere auf Korallenriffe, die als Biotop eine wichtige Brutstätte für viele Meeresbewohner sind. Goreau setzt sich für die Wiederherstellung kranker oder abgestorbener Korallenriffe ein und hat eine Methode zur Erzeugung künstlicher Korallenriffe entwickelt.
Was bedeutet „Korallenbleiche“?
Korallen funktionieren als Wohngemeinschaft. Einzellige Algen (Zooxanthellen) nisten sich im Skelett des Korallenpolypen ein. Der Deal: Schutz gegen Energie. Die Alge betreibt Fotosynthese und ernährt die Koralle, durch sie entsteht auch die typisch bunte Farbe. Wird das Wasser zu warm, gerät die Koralle unter Stress und stößt ihre Zooxanthellen aus. Dadurch verliert die Koralle ihre Farbe und bleibt als bleiches Skelett zurück. Kühlt das Wasser wieder ab, zieht die Alge wieder ein. Einige Wochen lang kann der Korallenpolyp ohne seine Alge überleben; bleibt das Wasser aber über einen längeren Zeitraum zu warm, stirbt er den Hungertod. Momentan ist die Lage besonders kritisch, denn 2016 ist ein El-Niño-Jahr: Im Verlauf dieses zyklisch alle paar Jahre auftretenden Klimaphänomens erwärmt sich das Oberflächenwasser im tropischen Pazifik stellenweise um bis zu sechs Grad. Bereits jetzt sind 50 Prozent aller Korallenriffe weltweit betroffen – im Jahr 2050 könnten mehr als 95 Prozent aller Korallen schwer geschädigt oder abgestorben sein.
Dunja Batarilo ist freie Journalistin in Hamburg. Das von Tom Goreau unter Strom gesetzte Riff hat sie auf Bali selbst beschnorchelt.