ANGRIFF: privat-finanzierte Rüstungsforschung an staatlichen Unis ist empörend

Den Journalisten Ralf Pauli packt die Wut, wenn er sieht, wie oft deutsche Universitäten Kooperationen mit Unternehmen eingehen, die auch im Rüstungssektor aktiv sind. Er will nicht glauben, dass es nur um friedliche Nutzung geht. Vielmehr gehe es den Unis um die Anwerbung von Drittmitteln – und den Forschern um ihre Karrieren.

Für Rüstungsforschung gibt es derzeit – leider – gute Gründe. Der Bürgerkrieg in Syrien entwickelt sich zum globalen Stellvertreterkrieg, Nato-Partner Türkei baut die Demokratie ab, und in einigen europäischen Ländern wurden vor Wahlen nationalistische Parolen laut. Verständlich, dass Deutschland – das einen Haufen nicht einsatzfähiger Hubschrauber und Flugzeuge besitzt – militärisch nachrüsten will. Dazu ist auch Rüstungsforschung nötig. Nur: Sie sollte nicht an staatlichen Hochschulen stattfinden.

Nicht nur deshalb, weil diese zum Großteil aus Steuermitteln finanziert sind oder weil wir Deutschen katastrophale Erfahrungen mit der Vaterlandsliebe im Labor gemacht haben (man denke an Fritz Habers Eifer für den Einsatz von Chlorgas im Ersten Weltkrieg). Die Kooperation mit Rüstungsunternehmen ist Teil zweier besorgniserregender Hochschultrends: die zunehmende finanzielle Abhängigkeit von Drittmitteln– heute müssen die Hochschulen jeden dritten Euro ihrer Einnahmen selber einwerben – und die beharrliche Transparenzverweigerung von Unis, die vor allem um Gelder von privaten Auftraggebern aus der Wirtschaft bangen.

Friedensziele mussten sich schnell der Wirtschaftlichkeit unterordnen

Das konnte man gut beobachten, als Rheinland-Pfalz und Bremen ihre Unis per „Transparenzgesetz“ zu mehr Auskünften verpflichten wollten: Wer zahlt den Hochschulen wie viel für welche Forschungsaufträge? Das aber wollen RektorInnen nicht offenlegen. Sie berufen sich auf die Freiheit von Forschung und Lehre – dabei sind sie kaum mehr frei genug, Wirtschaftsgelder aus ethischen Gründen abzulehnen.

Wozu das führen kann, sah man an der Ungeniertheit, mit der 22 deutsche Hochschulen mehrere Jahre für das US-Verteidigungsministerium forschten – seit 2000 sollen insgesamt über zehn Millionen Dollar geflossen sein. Alles halb so wild. Wie weit sich die Wissenschaft für zusätzliche Gelder verbiegt, zeigte zuletzt die Hochschule Bremen (HSB): Die selbst gesetzten Friedensziele mussten sich ganz schnell der Wirtschaftlichkeit unterordnen. Seit vergangenem Herbst bildet die HSB angehende Beamtinnen der Bundeswehrverwaltung zu Informatikerinnen aus, weil ihr die Bundeswehr ein lukratives Angebot gemacht hat: 120.000 Euro zahlt sie, um vier Jahre lang zehn Studentinnen in Bremer Hörsäle entsenden zu dürfen.

Offenbar Grund genug für die Hochschule, gleich zwei Zivilklauseln zu ignorieren

Offenbar Grund genug für die Hochschule, gleich zwei Zivilklauseln zu ignorieren: ihre eigene Selbstverpflichtung und die Vorgabe aus dem Bremischen Hochschulgesetz. Beide schreiben vor, dass Studium, Forschung und Lehre ausschließlich friedlichen Zwecken dienen dürfen. Die erstaunliche Auslegung der Hochschulleitung, die den Vertrag mit der Bundeswehr trotz eindeutiger Gesetzeslage anfangs nicht offenlegen wollte: Die Kooperation diene friedlichen Zwecken. Schließlich verfolge die Bundeswehr ja friedliche Ziele. So sieht das auch der Bremer Senat – und wohl auch jene 48 deutschen Hochschulen, die zwischen 2000 und 2010 mit dem Verteidigungsministerium kooperierten.

Eine verheerende Logik. Wer so argumentiert, kann den Münchner Panzerbauer Krauss-Maffei Wegmann aufgrund seiner Deals mit Saudi-Arabien und Katar mit Fug und Recht als Ordnungsgaranten preisen. Und tatsächlich vermeiden es viele Hochschulen, bei ihren Kooperationspartnern aus der Waffenindustrie von Rüstungsunternehmen zu sprechen. Immer wieder ziehen sich WissenschaftlerInnen und RektorInnen auf den Standpunkt zurück: Die Forschungsergebnisse lassen sich zivil oder militärisch nutzen. Ergo sei es keine Rüstungs-, sondern Grundlagenforschung.

Diese Dual-Use-Rhetorik beherrscht besonders eine andere Bremer Hochschule: die Uni Bremen. Dort bezahlt der Raumfahrtkonzern OHB, der für die Bundeswehr Satelliten baut, eine Professur für Raumfahrttechnik. Auch hier reine „Grundlagenforschung“. Dabei hat die Uni jahrelang zusammen mit OHB im Auftrag des Verteidigungsministeriums geforscht. Bei dem Projekt ging es um die schnelle Übermittlung großer Datenmengen aus Flugzeugen. Mittlerweile hat die Hochschule selbst eingestanden, schon mehrfach gegen die eigene Zivilklausel verstoßen zu haben. Astrium, Rheinmetall, das US-Außenministerium – die Liste der „wehrtechnischen Auftraggeber“ an der Uni ist lang.

InstitutsleiterInnen verbauen sich nicht freiwillig ihre Karriere

Und sie wird es trotz Zivilklausel bleiben: Denn ForscherInnen und InstitutsleiterInnen, die möglichst viel Drittmittel einnehmen sollen, verbauen sich nicht freiwillig ihre Karriere, solange sie Rüstungsprojekte bequem als zivile Grundlagenforschung ausgeben können – wenn diese überhaupt bekannt werden. Wer Rüstungsforschung zähmen will, muss staatlichen Hochschulen Kooperationen mit einschlägigen Unternehmen prinzipiell verbieten. Das scheint umso dringender, als selbst das Bildungsministerium (!) „zivile“ Forschungsprojekte mit Rüstungsunternehmen fördert, wie vor kurzem herauskam. EADS, ThyssenKrupp & Co erhielten in den beiden vergangenen Jahren 13 Millionen Euro aus Johanna Wankas Bildungsbudget. Noch Zweifel?

Das Verbot von Rüstungsforschung an staatlichen Hochschulen ist überfällig: Nur so lässt sich mit Sicherheit ausschließen, dass Hochschulen aus Geldmangel fragwürdige Kooperationen eingehen – und im Namen der Wissenschaft Entsetzliches hervorgebracht wird.

Ralf Pauli hat Politologie studiert und arbeitet als freier Journalist in Berlin. Welchen Einfluss die Wirt­schaft auf unser Hoch­schul­­system nimmt, ist einer der Schwer­punkte seiner Arbeit. Er schreibt unter anderem für die taz und Zeit Online, produziert aber auch Radiobeiträge für den Bayrischen Rundfunk.

VERTEIDIGUNG: die Kritik greift ins Leere, wenn man einmal ganz sachlich die Fakten zur Kenntnis nimmt

Den Bremer Hochschulrektor Bernd Scholz-Reiter ärgert die häufige Behauptung, deutsche Hochschulen betrieben im großen Stil Rüstungsforschung für private Unternehmen. Die beklagten Drittmittel seien zum großen Teil öffentliche Mittel. Und wenn es zu Projektpartnerschaften mit Privatunternehmen komme, diene das der Grundlagenforschung und friedlichen Zwecken – sowie dem von Hochschulen angestrebten Technik- und Wissenstransfer.

Immer wieder wird behauptet, an deutschen Universitäten würde in großem Stil Rüstungsforschung betrieben. Die Informationen, die dabei zugrunde gelegt werden, sind oft schlicht falsch, unvollständig wiedergegeben oder aus dem Zusammenhang gerissen. Ein bisschen erinnert das an die seit kurzer Zeit so berühmten „alternativen Fakten“.

Ein Beispiel: Es wird behauptet, deutsche Universitäten seien zunehmend finanziell abhängig von privaten Auftraggebern. Begründet wird diese Aussage damit, dass ein Drittel der Einnahmen einer Universität heute sogenannte Drittmittel seien, also von Dritten der Universität zur Verfügung gestellt werden. Letzteres ist zwar richtig. Was aber nicht stimmt, ist, dass diese Drittmittel zum größten Teil von privaten Auftraggebern kämen. Genau das wird aber immer wieder suggeriert.

Tatsächlich sind die Drittmittel zum überwiegenden Teil öffentliche Mittel

Tatsächlich sind die Drittmittel zum überwiegenden Teil öffentliche Mittel von der Deutschen Forschungsgemeinschaft, vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und von der Europäischen Union, um nur die wichtigsten zu nennen. Ich will es konkret machen: Von knapp 97 Mio. Euro Drittmittelausgaben im Jahr 2016 an der Universität Bremen stammen 11,7 Mio. von „sonstigen Dritten“, worunter neben gemeinnützigen Stiftungen auch Unternehmen subsummiert werden. Das macht bezogen auf den Gesamthaushalt der Universität Bremen von knapp 308 Mio. Euro gerade mal einen Anteil von 3,8 Prozent aus.

Diese Zahlen sind öffentlich und für jedermann verfügbar. Wer also von Abhängigkeit der staatlichen Universitäten von privaten Auftraggebern schreibt, hat entweder nicht gut recherchiert oder will seine Leser für dumm verkaufen.

Als eine der ersten Universitäten Deutschlands hat sich die Universität Bremen bereits 1986 eine Zivilklausel gegeben. Im Jahr 2012 hat der Akademische Senat diese Selbstverpflichtung zur Forschung für friedliche Zwecke bekräftigt. Die in der Öffentlichkeit intensiv diskutierte Christa-und-Manfred-Fuchs-Stiftungsprofessur für Raumfahrttechnologie – gestiftet von der OHB System AG, dem Institut für Raumfahrtsysteme des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt in Bremen und dem Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft – betreibt Grundlagenforschung und beschäftigt sich mit der Entwicklung weltraumtauglicher Technologien zur Umsetzung von Weltraummissionen. Die Einrichtung dieser Professur wurde in den Gremien der Universität ausführlich debattiert und fand ihre Zustimmung. Die Professur wurde im Einklang mit dem Code of Conduct des Stifterverbandes von der Universität in einem Berufungsverfahren besetzt. Die Universität Bremen handelte also auch hier transparent und verantwortungsvoll.

Wissens- und Technologietransfer geht in vielen Bereichen nur gemeinsam mit der Wirtschaft

Eine Aufgabe der Hochschulen nach Hochschulrahmengesetz ist es, den Wissens- und Technologietransfer zu fördern. Die Erkenntnisse und Ergebnisse unserer Grundlagenforschung sollen also in die Umsetzung gelangen. Das geht in vielen Bereichen nur gemeinsam mit der Wirtschaft. Dafür gehen wir Projektpartnerschaften ein, für die wir die bei uns anfallenden Vollkosten berechnen. Dabei geht es bei uns um die Inhalte der Projekte, die friedlichen Zwecken folgen sollen, nicht um den einzelnen Projektpartner. Bei Zweifeln an den friedlichen Zwecken greift unsere Zivilklausel unter Berücksichtigung von Art. 5 Abs. 3 unseres Grundgesetzes: „Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.“

Mein Rat an alle, die sich mit der Thematik beschäftigen: sachlich und seriös bleiben, Fakten anerkennen und richtig darstellen. Denn am Ende geht es um ein hohes Gut unserer Demokratie: die Freiheit von Forschung und Lehre.

Prof. Dr. Bernd Scholz-Reiter ist seit 2011 der Rektor der Universität Bremen. Begonnen hat seine Hochschulkarriere als Student im Bereich Wirtschaftsingenieurwesen an der TU Berlin. Zwischendurch hatte er unter anderem den Lehrstuhl für industrielle Informationstechnik an der Uni Cottbus inne und war Leiter des Fraunhofer-Anwendungszentrums Logistiksystemplanung und Informationssysteme.

Titelbild: Renke Brandt