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In Syrien ist Scheidung ein Tabu

… in Deutschland nicht. Wir haben geflüchtete Frauen getroffen, die sich hier haben scheiden lassen

Scheidung

Amira ist zweimal geflüchtet. Das erste Mal vor dem Krieg in Syrien, das war 2011. Und das zweite Mal vier Jahre später aus der Türkei – vor ihrem Ehemann. Dorthin gingen die beiden, als sie gerade mal 23 Tage lang miteinander verheiratet waren. Wie sie ihn kennengelernt hat? „Nicht ich habe ihn kennengelernt, sondern mein Vater“, sagt sie. 

Rein rechtlich können Frauen auch in Syrien eine Scheidung beantragen. Gesellschaftlich akzeptiert ist sie deshalb noch lange nicht

Amira, 32, ließ sich dann in Deutschland scheiden. Gerade für arabische Frauen gibt es in Deutschland einige Beratungen und Solidarität. Rein rechtlich können Frauen auch in Syrien eine Scheidung beantragen - wenn auch mit größeren Einschränkungen als Männer. Doch sind es dort oft die Familien, die Nachbarn und die Freunde, die sie den Frauen erschweren. 

Der Krieg hatte noch nicht wirklich begonnen, als Amira und ihr Mann Syrien verließen. Amiras Mann hatte einen anderen Grund zu gehen: Er schmuggelte Waffen für den sogenannten Islamischen Staat und die Rebellengruppe Ahrar al-Scham.  

Die Wohnung der Familie in Antakya wurde bald zum Umschlagplatz für Waffen und zur Zwischenstation für verletzte Kämpfer aus Syrien. Amira war zu diesem Zeitpunkt schwanger. Einen kleinen Sohn hatte sie schon in der Türkei zur Welt gebracht. Ihr Mann verbrachte den ganzen Tag im Internet. Er sprach immer weniger mit ihr, schließlich begann er sie zu schlagen. 

„Wenn ich mit meiner Mutter telefonierte, sagte sie, ich müsse bei ihm bleiben, weil ich schon zum zweiten Mal verheiratet war“, erzählt Amira. Sie ist groß, trägt schwarze, zerrissene Jeans und glattes schwarzes Haar. Ihr Kopftuch hat sie nach der Trennung abgelegt. Ihre Heimatstadt Hama sei sehr konservativ und so auch ihre Familie. Die Mutter hatte Sorge, dass auch das dem Ruf der Familie schaden würde. Mit 13 Jahren war Amira das erste Mal verheiratet worden. Die erste Scheidung sei nur möglich gewesen, sagt sie, weil ihre Mutter den damaligen Ehemann nicht leiden konnte. 

In Deutschland werden die Frauen eher unterstützt und sind, wenn sie Glück haben, auch wirtschaftlich unabhängig

Als der zweite Ehemann dann 2015 für neun Monate ins Gefängnis musste, floh sie mit ihren zwei Kindern nach Berlin. Dort traf sie auf Lina Ganama. Die 61-jährige Syrerin mit blond gefärbtem Haar lebt seit 1986 in Deutschland und arbeitet fast ebenso lang bei Al Nadi, dem Treffpunkt für arabische Frauen im Nachbarschaftsheim Schöneberg. Als Amiras gewalttätiger Ehemann ihr nach Berlin folgte und sie auf offener Straße angriff, unterstützte Ganama sie bei der Scheidung. Heute läuft ein Verfahren gegen ihn, die Kinder darf er nur unter Aufsicht sehen.

Ganama hilft syrischen Frauen in Berlin bei ihren Scheidungen. In Syrien würden einige von ihnen bei ihren Männern bleiben, weil sie um ihren gesellschaftlichen Ruf fürchteten oder kein eigenes Geld verdienten, sagt sie. In Deutschland seien die Frauen anonym und, wenn sie Glück haben, auch wirtschaftlich unabhängig. 

Die Anonymität in einem fremden Land bedeutet aber nicht nur Schutz, sondern auch Einsamkeit 

„Als meine Aufgabe sehe ich es, den Frauen die Scheu vor einer Scheidung zu nehmen“, sagt Ganama, die sich selbst vor 18 Jahren in Deutschland scheiden ließ. Bei einem Besuch in Syrien habe ihr eine Nachbarin damals gesagt: „Geh jetzt lieber nicht mehr so oft nach draußen, du musst auf deinen Ruf achten“, erinnert sie sich amüsiert. Dass Frauen sich laut und ohne Scham als „mutallaqa“ – „geschieden“ – bezeichnen, daran arbeite sie seitdem.

 

Shinar Moustafa lebt inzwischen tatsächlich ohne Scham darüber: „Hier ist es mir nicht unangenehm zu sagen, dass ich geschieden bin“, erzählt die 32-jährige Syrerin aus dem kurdischen Afrin, die seit drei Jahren in Kiel lebt. Sie hatte aus Liebe geheiratet und fühlte sich irgendwann nicht mehr von ihrem Mann geliebt. Dass sie in Deutschland ihr eigenes Geld vom Jobcenter bekommt, war ausschlaggebend für ihre Entscheidung. Und sie ist froh, dass sie hier weniger Angst vor unangenehmen Reaktionen haben muss. „In Syrien hätte ich viel mehr Hemmungen gehabt“, sagt sie.

Die Anonymität in einem fremden Land bedeutet aber nicht nur Schutz, sondern auch Einsamkeit. Und eine Scheidung weit weg von zu Hause hat ihre Schattenseiten. Shinar Moustafa findet das Leben als alleinerziehende Mutter in Deutschland schwierig. „Das Gute in Syrien wäre gewesen, dass ich mein Kind bei meiner Familie hätte lassen können, während ich in der Uni bin“, sagt sie. Seit sie von ihrem Mann geschieden sei, könne sie ihr Jurastudium nicht fortsetzen, das sie in Aleppo begonnen habe, erzählt Moustafa. „Wenn mein Sohn krank ist, muss ich mich um ihn kümmern und kann oft nicht einmal für den Deutschkurs lernen.“ Ihr Ex-Mann helfe ihr überhaupt nicht.

„Das Gute in Syrien wäre gewesen, dass ich mein Kind bei meiner Familie hätte lassen können, während ich in der Uni bin“

Und dann sind da noch die bürokratischen Fallen. Manche Frauen können sich in Deutschland nicht scheiden lassen, weil ihre Ehe noch gar nicht anerkannt wurde. „Wir arbeiten hier nur mit WhatsApp“, erzählt Ganama. Verwandte schicken aus Syrien Bilder der Eheurkunde, um damit die Scheidung zu ermöglichen. Andere machen es wie Shinar Moustafa: Sie hat ihre Ehe in Deutschland nie anerkennen lassen. In Syrien aber bleibt sie damit verheiratet. Wer es richtig machen will, solle am besten einem Verwandten oder Anwalt in Syrien eine Vollmacht erteilen, die Scheidung dort durchführen und dann hier anerkennen lassen, sagt Ganama. Das gehe ohnehin schneller, denn in Syrien ist vor der Scheidung kein Trennungsjahr vorgesehen. 

Piktogramm: RedKoalaDesign / Getty images (Animation: fluter.de) 

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