Worum geht’s?
Eigentlich könnten Colin, Ritchie und Roscoe, die Anfang der 1980er-Jahre in London aufeinandertreffen, unterschiedlicher nicht sein: Während der schüchterne Colin mit Anzug und Krawatte seinem Job in einem Herrenbekleidungsgeschäft nachgeht, verlässt der extravagante Roscoe nie ohne blauen Lidschatten das Haus. Ritchie wiederum genießt sein Schauspielstudentenleben in vollen Zügen: viel Party, viel Alkohol und vor allem viel (ungeschützter) Sex. Was die drei Anfang Zwanzigjährigen allerdings gemeinsam haben: Sie stehen auf Männer. Und sie wollen in der liberalen Großstadt endlich ihre (sexuelle) Freiheit ausleben. Zusammen mit ihren zwei besten Freund:innen Jill und Ash gründen sie eine WG, die schnell zur Ersatzfamilie wird. Als plötzlich schwule Männer erst in den USA und dann auch im Bekanntenkreis der Freund:innen an einer unbekannten Krankheit sterben, bekommt die Gruppe es mehr und mehr mit der Angst zu tun.
Was steckt dahinter?
Als die ersten Aids-Fälle Anfang der 1980er-Jahre bekannt wurden, nahmen viele an, es handele sich um eine schwere Lungenentzündung oder Hautkrebs. Und als sich dann herausstellte, dass hauptsächlich Homosexuelle daran erkrankten, waren die „Schuldigen“ schnell ausgemacht. Das Stigma haftet schwulen Männern oft bis heute an. Dem Regisseur der Serie Russel T. Davies (bekannt für „Queer Folk“, „Doctor Who“ oder „Years and Years“), der selbst homosexuell ist, war wichtig, diesen Teil der Geschichte wieder auf die Agenda zu setzen: „Mir ist bewusst“, sagte er in einem Interview, „dass junge Menschen, die heute aufwachsen, nichts darüber wissen. Und seien wir ehrlich: Die, die dabei waren, im Grunde auch nicht.“
Wie wird’s erzählt?
Regisseur Davies setzt bei „It’s a Sin“ auf einen waschechten Achtziger-Soundtrack. Und obwohl die dramatische Grundstimmung in den ersten zwei Folgen, die der Presse vorab zugänglich waren, nach und nach zunimmt, macht es Spaß, der Gruppe zuzusehen: Dabei, wie sie – untermalt durch Musik der Pet Shop Boys, Soft Cell oder Kelly Marie – ihre Freiheit auf dem Dancefloor und im Bett auslebt. Dabei, wie erleichtert Ritchie, Colin und Roscoe sind, endlich sie selbst sein zu können.
Umso krasser wirkt im Gegensatz dazu die tödliche Bedrohung um sie herum, die nicht alle wahrhaben wollen. Während in einer Einstellung Ritchie, Roscoe und Colin hochmotiviert von ihren Zukunftsplänen erzählen, wird in der nächsten die Leiche von Colins Arbeitskollege aus dem Krankenzimmer gebracht. So mischt sich in vielen Szenen Komik mit Drama, etwa als Ritchies Vater ihm auf der Überfahrt von der Isle of Wight nach London – im Glauben, sein Sohn stehe auf Frauen – Kondome zusteckt und Ritchie diese schnell über Bord wirft.
Stärkster Satz:
Jill ist die Erste, die die dramatische Dimension der Situation begreift, als sie zu Colin sagt: „Es verbreitet sich hier eine krass tödliche Krankheit und das alles geschieht in absoluter Stille!“ Damit beschreibt sie, was vielen Männern in den 1980er-Jahren widerfuhr: Hunderte starben alleine und isoliert, da man Angst hatte, ihnen nahe zu kommen. Denn wie die Krankheit übertragen wurde, wusste bis dahin niemand. Nicht selten isolierten sich die Erkrankten aus Scham auch selbst. Eine Scham, die vor allem von der Presse befeuert wurde. So nannte „Der Spiegel“ Aids 1983 die „Homosexuellen-Seuche“ , andernorts sprach man von der „Schwulen-Pest“. Da es – vermeintlich – nur eine Minderheit betraf, die zudem noch gesellschaftlich geächtet war, dauerte es eine Weile, bis ein Bewusstsein für die Krankheit entstand und dafür, wie man sich vor ihr schützen kann.
Good Job!
„It’s a Sin“ schafft es eindrücklich, die Zuschauer:innen an den Punkt der Geschichte zurückzuversetzen, als Aids nur ein großes, bedrohliches Fragezeichen war. Das Unwissen über die Krankheit und die Panik, die daraus resultierte, sind etwa zu Beginn an Jill zu beobachten: Als ein Freund erkrankt, und sie ihn als Einzige besucht – immer mit Gummihandschuhen, Desinfektionsmittel und Abstand –, ist sie bald überfordert. Abends sitzt sie in der Badewanne und schrubbt minutenlang ihren gesamten Körper. Geschirr, das der Freund benutzt hat, schmeißt sie in den Müll. Es sind Szenen, die an den ersten Corona-Lockdown im Frühjahr 2020 erinnern – nur dass in den 1980er-Jahren eben besonders eine Gruppe unter der Last der Ungewissheit zu leiden hatte. Die Kraft, mit der „It’s a Sin“ von dieser Katastrophe erzählt, hatte in Großbritannien, wo die Serie im Januar anlief, reale Konsequenzen: Nach der Ausstrahlung stieg die Zahl der durchgeführten HIV-Tests sprunghaft.
„It’s a Sin“ läuft jetzt in der ZDF-Mediathek. Wir haben die Serie bereits zum Serienstart bei Starzplay besprochen.
Titelbild: RED Production Company, all3media international