Am 29. November trug sich im Bayerischen Landtag abseits der öffentlichen Wahrnehmung etwas geradezu Epochales zu: In den altehrwürdigen Hallen des Maximilianeums wurde über Computerspiele diskutiert – und die Debatte im Plenum hatte nichts mit „Killerspielen“ zu tun. Stattdessen stellten mehrere Parteien Eilanträge, die sich mit sogenannten Lootboxen beschäftigten.
Kleine Extras, großer Gewinn
Lootboxen, das sind kleine virtuelle Pakete, die man für Geld oder eine bestimmte Spiel-Währung kaufen kann und die virtuelle Gegenstände enthalten: Waffen zum Beispiel, mit denen man in einem Multiplayer-Shooter bessere Überlebenschancen hat, oder auch Kleidungsstücke, die den eigenen Avatar schicker aussehen lassen.
Lootboxen enthalten ziemlich oft nur wertlosen Tand, manchmal aber auch wirklich brauchbare Dinge
Viele Games, die eigentlich gratis erhältlich sind, leben davon, dass Spieler sich kleine Extras kaufen. Ihr Geschäftsmodell basiert neben Lootboxen auf sogenannten Mikrotransaktionen. Spieler zahlen dann für neue „Leben“ oder für ein rosa Einhorn oder dafür, dass sie nur zehn Sekunden statt zehn Stunden auf das nächste Erfolgserlebnis warten müssen. Jetzt tauchen Mikrotransaktionen und Lootboxen aber zunehmend auch in Spielen auf, für die der Kunde schon 50 oder 60 Euro gezahlt hat. Das ärgert viele, fühlt es sich doch ein bisschen so an, als würde man sich ein Hemd kaufen und dann für jeden einzelnen Knopf extra bezahlen müssen.
Im Bayerischen Landtag ging es nun darum, ob solche „Beuteboxen“, wie es in einem Antrag der Freien Wähler hieß, nicht womöglich unter das Glücksspielverbot fallen sollten: Lootboxen enthalten ziemlich oft nur wertlosen Tand, manchmal aber auch wirklich brauchbare Dinge und laden dazu ein, immer mehr davon zu kaufen. Verabschiedet wurden Anträge der SPD und der CSU. Beide Parteien forderten, dass sich die Behörden das Ganze mal genauer ansehen sollten.
Die Debatte in der Games-Szene selbst entzündete sich vor allem an „Star Wars: Battlefront II“, einem Multiplayer-Ego-Shooter, für den Spieler circa 60 Euro berappen müssen. Laut Herstellerkonzept sollte damit aber noch nicht Schluss sein: Wer dann im Spiel nicht nur als Kanonenfutter herhalten will, muss kräftig Zeit oder aber in Lootboxen investieren und darauf hoffen, dass die etwas Brauchbares ausspucken. Hinzu kommt: Wer in die Haut von Helden wie Luke Skywalker oder Darth Vader schlüpfen wollte, musste pro Held gut 40 Spielstunden investieren, um sie freizuschalten, oder tief in die Tasche greifen. Die Charaktere kosteten im Schnitt etwa 60.000 Credits – circa 90 Euro. Als der Hersteller sich auf Reddit rechtfertigte, mutierte der Eintrag schnell zum am schlechtesten bewerteten Post in der Geschichte der Plattform. Die Debatte um die Praktik gewann noch mal an Fahrt, als der offene Brief eines 19-Jährigen die Runde machte, der sich dazu bekannte, glücksspielsüchtig zu sein und in den vergangenen drei Jahren etwa 13.500 US-Dollar für Lootboxen und Mikrotransaktionen ausgegeben zu haben.
Sollen Lootboxen unter das Glücksspielgesetz fallen?
Spielefirmen bezeichnen Kunden wie ihn als „Whale“. Das Marketingunternehmen Swrve bezifferte 2014, dass nur 0,15 Prozent der Mobile Gamer bis zu 50 Prozent des Umsatzes der ganzen Gaming-Branche generieren. Der Spielehersteller EA reagierte prompt und deaktivierte Mikrotransaktionen – zumindest vorübergehend. Das Geschäftsmodell an sich steht nicht infrage. Die Spieler sollen nur nicht den Eindruck bekommen, im Spiel zwanghaft Geld investieren zu müssen, damit es vorangeht. Andere Games umgehen den Vorwurf, indem sie nur kosmetische Gimmicks verkaufen, die dem Zocker keinen spielerischen Vorteil bringen.
Bisweilen übersteigen die Einnahmen durch Zusatzinhalte bereits die der Spieleverkäufe selbst. Mit herkömmlichen Geschäftsmodellen lassen sich die erwirtschafteten Summen nur schwer erreichen. Die Mikrotransaktionen im Spiel „GTA Online“ zum Beispiel sollen der Firma Take-Two eine halbe Milliarde US-Dollar in die Kassen gespült haben.
Belgiens Glücksspielkommission hat Lootboxen Ende November 2017 bereits als Glücksspiel eingestuft, und der Justizminister des Landes fordert deren EU-weites Verbot
Viele Gamer, Betroffene und etwa Abgeordnete der Freien Wähler im Bayerischen Landtag fordern nun, dass für Lootboxen dieselben Regeln gelten sollen wie für Glücksspiele. In Großbritannien sammelte eine entsprechende Onlinepetition über 16.000 Unterschriften. Eine Einstufung als Glücksspiel hätte verschiedene Regulierungen zur Folge, allen voran, dass Spiele mit Lootboxen erst ab 18 erhältlich wären. In Großbritannien entschied sich die zuständige Behörde jedoch, Lootboxen nicht als Glücksspiel einzustufen. Der Grund: Beim Glücksspiel muss die Chance auf einen tatsächlichen Geldgewinn bestehen – eine bessere Waffe oder ein schickerer Hut fällt nicht darunter.
So ähnlich sieht das auch die USK (Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle) in Deutschland, die die Alterseinstufungen für Spiele vornimmt, und die ESRB, die dasselbe in den USA und Kanada tut, dort aber auf freiwilliger Basis des Publishers. In den Niederlanden sowie in einigen US-Bundesstaaten laufen allerdings gerade Ermittlungen, die die Glücksspielvorwürfe prüfen. Belgiens Glücksspielkommission hat Lootboxen Ende November 2017 bereits als Glücksspiel eingestuft, und der Justizminister des Landes fordert deren EU-weites Verbot.
In China beschränkte übrigens 2017 der Internetriese und Spielehersteller Tencent die Spielzeit von minderjährigen Gamern bei dem populären Spiel „King of Glory“ „freiwillig“ – nachdem die chinesische Regierung Druck auf ihn ausgeübt hatte. Unter 12-Jährige dürfen jetzt nur noch eine, 12- bis 18-Jährige nur zwei Stunden pro Tag zocken. Außerdem können Eltern kontrollieren, wie viel Geld ihr Nachwuchs für In-Game-Käufe ausgibt. Der Börsenwert von Tencent stürzte daraufhin empfindlich ab. Kein Wunder, wissen die Aktionäre doch: Wer schläft, lernt oder Fangen spielt, kann nicht gleichzeitig virtuelle Schwerter kaufen.
Fotos: Jorge Pérez Higuera