Vor kurzem haben wir uns in der EU auf weniger Plastikverpackungen bei Obst und Gemüse geeinigt. Außerdem darauf, dass kleine Shampoo-Flaschen in Hotels verboten werden und bis 2030 sollen alle Verpackungen recycelbar sein.
Mit solchen Umwelt- und Klimafragen befasse ich mich täglich, seit ich 2019 ins EU-Parlament ging. Ich bin damals mit 26 Jahren Abgeordnete geworden. Ich habe zwei akademische Abschlüsse und habe als Angestellte in einer Kommunikationsagentur gearbeitet, bevor ich gewählt wurde.
Bei den Regeln für weniger Verpackungsmüll lief es wie bei den meisten Gesetzen auf EU-Ebene: Die Europäische Kommission, die so etwas wie die Bundesregierung für die EU ist, hatte einen Vorschlag gemacht. Und wie bei jedem Gesetz, das die Kommission vorschlägt, konnten danach das EU-Parlament und die Mitgliedstaaten miteinander über die konkreten Details verhandeln.
„Als wir nach monatelanger Arbeit am letzten Verhandlungstag um drei Uhr nachts eine Einigung erreicht hatten, war ich erschöpft, aber zufrieden“
Ich gehörte zu der Gruppe von Abgeordneten, die die Detailverhandlungen für das Parlament geführt haben. Bei so vielen „Mitbestimmer:innen“ ist es nicht immer einfach, auf einen Nenner zu kommen, ich muss auch oft Kompromisse eingehen. Als wir nach monatelanger Arbeit am letzten Verhandlungstag um drei Uhr nachts eine Einigung erreicht hatten, war ich erschöpft, aber zufrieden.
Um Entscheidungen zu treffen, muss ich die Perspektiven der Leute kennen, die ich vertreten darf. Deswegen fahre ich immer wieder nach Hause nach Schleswig-Holstein. Außerdem ist mir besonders wichtig, die jüngere Generation im Europäischen Parlament zu repräsentieren. Um diesen Austausch zu fördern und junge Menschen zu ermutigen, sich zu beteiligen, treffe ich mich regelmäßig mit Schulklassen, Auszubildenden, Studierenden und anderen jungen Gruppen. Ich möchte ihnen zeigen, dass Europa auch ihr Projekt ist und dass ihre Stimme zählt.
Um wiederum zu verstehen, wie ein kommendes Gesetz in der Praxis funktioniert, treffe ich mich außerdem mit Lobbyist:innen, also Interessenvertreter:innen aus der Wirtschaft, der Industrie, Verbrauchern oder Umweltschutzorganisationen.
„Grundsätzlich ist es normal, dass es hier viel Lobbyarbeit gibt, wir machen immerhin für 448 Millionen Menschen Politik“
Zum Thema Verpackungsmüll habe ich rund 5000 Lobby-Terminanfragen bekommen, irgendwann haben meine Mitarbeitenden und ich aufgehört zu zählen. Wen genau ich getroffen habe, kann man auf der Webseite des EU-Parlaments nachlesen. Anders als Abgeordnete im Bundestag muss ich alle meine Lobbytreffen offenlegen, wenn ich an einem neuen Gesetz beteiligt bin.
Dass ich immer wieder auf das Thema Lobbyismus in Brüssel angesprochen werde, geht mir ein wenig auf die Nerven. Grundsätzlich ist es normal, dass es hier viel Lobbyarbeit gibt, wir machen immerhin für 448 Millionen Menschen Politik. Was ich eher problematisch finde ist nicht die Existenz von Lobbyist:innen, sondern das Ungleichgewicht. Es gibt Kräfte, die mehr Geld haben, um ihre Interessen vertreten zu lassen. Das habe ich gerade beim Thema Plastikverpackungen gemerkt. Niemand in Europa – würde ich jetzt mal unterstellen – hat Bock auf zu viel Verpackungsmüll. Dennoch spielte diese Verbraucherperspektive hier weniger eine Rolle, und große Unternehmen waren dafür sehr präsent. Viele von ihnen organisieren sich in großen Verbänden, um dann gemeinsam an Entscheidungsträger:innen heranzutreten, meistens in Form eines schriftlichen Briefings oder eines Anrufs mit einer Terminanfrage.
Um Interessen abzuwägen und Kompromisse zu suchen, habe ich ein Team von fünf Leuten, das mach ich nicht alleine. Außerdem unterstützen mich Referent:innen von meiner Fraktion. Und man kann beim Wissenschaftlichen Dienst des Europäischen Parlaments Studien anfragen.
„Wenn du als junge Frau, egal wie ausgebildet, qualifiziert und fleißig, in eine Domäne mit überwiegend älteren Männern gehst, wirst du oft unterschätzt“
Weitere Themen, die ich in dieser Legislaturperiode bearbeitet habe, waren: eine Regelung für Textilhändler, unverkaufte Mode nicht einfach wegwerfen zu dürfen und eine zu klareren Angaben auf Honig. Damit man direkt sieht, aus welchem Land genau er kommt, und da nicht wie bisher die ungenaue Bezeichnung „Nicht-EU-Land“ steht.
Was mich in den fünf Jahren der Legislaturperiode manchmal genervt hat, aber nicht überrascht, ist die besondere Position als junge Frau. Wenn du als junge Frau, egal wie ausgebildet, qualifiziert und fleißig, in eine Domäne mit überwiegend älteren Männern gehst, musst du dich ganz anders behaupten und wirst oft unterschätzt. Das ist in der Politik genauso, wie wenn man als junger Mensch anderswo seinen Berufseinstieg macht.
Das stört mich, schließlich wurde ich ja genauso gewählt wie ein 70-jähriger Mann. Dieser Mann muss aber niemals darüber reden, ob er schon richtig gearbeitet hat oder wie er bestimmte Dinge als Mann dieses Alters sieht. Ich dagegen muss mich rechtfertigen und ständig meinen beruflichen Hintergrund erklären.
Jetzt kandidiere ich für ein zweites Mandat. Danach würde ich aber ganz gerne etwas anderes machen. 2019 hatte ich kandidiert, um die Perspektive der Generation einzubringen, für die Europa selbstverständlicher geworden ist. Und wenn ich hier 15 Jahre wäre, bringe ich diese Perspektive ja nicht mehr mit.
Illustration: Renke Brandt