Update, 11. September 2020: Ein Gesetzentwurf der Bundesregierung schlägt ein Lobbyregister vor: eine Registrierungspflicht für alle, die „Interessenvertretung“ im Deutschen Bundestag ausüben. Der Opposition geht das Gesetz nicht weit genug. Auch Paul Wolter findet: Lobbyist*innen haben nichts zu verstecken.
Ich kümmere mich seit dem vergangenen Jahr beim Bundesverband Deutsche Startups um Kommunikation und PR. In dieser Funktion bin ich Pressesprecher, mache aber auch klassische Lobbyarbeit: Das heißt, ich tausche mich regelmäßig mit den Gründern aus, die in unserem Verband vertreten sind, und gebe deren Wünsche und Interessen an Politiker weiter.
Wie wird man Lobbyist?
Um für ein Unternehmen oder einen Verband Lobbyarbeit zu betreiben, muss man keine bestimmte Ausbildung machen oder ein spezielles Fach studieren. Zwar gibt es an manchen Hochschulen, etwa in Berlin oder Maastricht, Public-Affairs-Studiengänge, die Studenten auf eine Karriere als Lobbyist vorbereiten sollen. Wer Lobbyist/in werden möchte, kann aber auch Jura, Wirtschafts-, Politik- oder Kommunikationswissenschaften studieren – oder ein Fach, das zu der Branche passt, deren Interessen man später einmal vertreten möchte. Wichtiger als das Studienfach ist es, dass Lobbyisten kommunikativ sind und nachvollziehen können, wie Politik funktioniert. Diese Kompetenzen kann man schon früh erlernen: zum Beispiel als Mitglied in einem Verein, der Jugendorganisation einer Partei oder einem Jugendparlament.
Seit ich denken kann, habe ich immer Zeitung gelesen und mich für politische Themen interessiert. Da lag es nahe, später mal einen Beruf zu ergreifen, der im weitesten Sinne mit Politik zu tun hat. Ich habe im Bachelor Medienwirtschaft und im Master Europäische Wirtschaft studiert und als Werkstudent in einem Fintech, in einem Start-up in der Finanzbranche, gearbeitet. Jetzt im Verband arbeite ich an der Schnittstelle zwischen Politik und Wirtschaft – und finde diese Mischung eigentlich optimal.
„Es kann nicht im Interesse der deutschen Politik sein, wenn Gründer ins Silicon Valley abwandern“
An einem Arbeitstag sitze ich von morgens bis abends im Büro und bearbeite Anfragen, an einem anderen bin ich die ganze Zeit unterwegs und spreche mit unseren Mitgliederunternehmen oder treffe mich mit Mitgliedern des Bundestags in Abgeordnetenbüros, der Bundestagskantine oder bei uns im Büro. Dabei versuche ich, den Politikern nahezubringen, welche Probleme die Start-ups in Deutschland bewältigen müssen und wie die Politik die Rahmenbedingungen verbessern könnte. Unter anderem wollen wir erreichen, dass Gründer leichter an Kapital kommen können, um ihre Geschäftsideen zu finanzieren. Dabei argumentiere ich zum Beispiel, dass es nicht im Interesse der deutschen Politik sein kann, wenn Gründer ins Silicon Valley abwandern. Dort kommen sie derzeit nämlich leichter an Geld von Wagniskapitalgebern als hierzulande.
Ich glaube, dass aber auch die Abgeordneten etwas davon haben, mit uns Interessenvertretern zu sprechen. Wir stellen den inhaltlichen Draht zur Branche her und weisen auf Themen und Probleme hin, die sie bis dahin vielleicht noch nicht auf dem Schirm hatten.
„Mit Themen wie Tabak, Rüstung oder Atomenergie schmückt sich kein Politiker gerne, mit Start-ups hingegen schon“
Wenn ich mich mit Abgeordneten treffe, läuft das meist recht formell ab. Man trifft sich zwar auch mal auf einem Sommerempfang zu einem Bier, aber das Inhaltliche besprechen wir eher während der Arbeitszeit. Es kommt aber schon mal vor, dass ich mich über Twitter mit einem Politiker zum Gespräch verabrede, weil er gerade etwas zu einem Thema gepostet hat, das unsere Branche betrifft. Wir sind ein kleiner Verband mit 15 Leuten. Wir können keine Feste mit Kaviar für die Politiker ausrichten, so wie man sich das vielleicht klischeehaft vorstellt.
Ich habe das Privileg, in einer Hype-Branche zu arbeiten. Mit Themen wie Tabak, Rüstung oder Atomenergie schmückt sich kein Politiker gerne, mit Start-ups hingegen schon. Deshalb melden sich viele Journalisten und Politiker aktiv bei uns. Das öffnet manche Tür, doch wenn es ums Handfeste geht, also darum, dass unsere Vorschläge auch umgesetzt werden, klappt nicht mehr alles so einfach. Das ist ja auch richtig, denn ein neues Gesetz mag unserer Branche nützen, aber beispielsweise für große Konzerne nicht unbedingt von Vorteil sein. Daher besteht Politik eben aus Kompromissen.
Was verdienen Lobbyisten?
In Deutschland können Berufsanfänger mit einem Brutto-Einstiegsgehalt ab etwa 35.000 Euro pro Jahr rechnen. Mit den Berufsjahren steigt auch das Gehalt: Erfahrene Lobbyisten in Spitzenfunktionen können mehrere Hunderttausend Euro verdienen.
In meinem Job muss man das beherrschen, was man Social Hopping nennt: mit den unterschiedlichsten Charakteren klar kommen und Freude daran haben, mit ihnen zu kommunizieren. Vom jungen, hippen Gründer bis hin zum alteingesessenen Bundestagsabgeordneten. Mir hilft dabei, dass ich selbst in einer Partei bin und dadurch vielleicht ein bisschen besser nachvollziehen kann, wie Politiker ticken: Ich bin vor ein paar Jahren in die SPD eingetreten und engagiere mich in Berlin bei den Jusos.
„Man muss aufpassen, sich nicht nur in der Berliner Politikblase zu bewegen“
Man muss auf keinen Fall in einer Partei sein, wenn man Lobbyist werden möchte. Aber es kommt in unserer Berufsgruppe öfter vor, weil wir sicherlich überdurchschnittlich politisch interessiert sind. Im Alltag schauen mich die Abgeordneten anderer Parteien wegen meiner Parteizugehörigkeit nicht schief an oder begegnen mir anders. Und es gibt gewisse Vorteile: Da sich alle SPD-Mitglieder untereinander duzen, ist Herr Gabriel für mich automatisch der Sigmar. So kann man gleich viel persönlicher und lockerer miteinander reden.
Ähnlich wie Politiker könnten wir Lobbyisten uns theoretisch jeden Abend zwischen fünf verschiedenen Veranstaltungen entscheiden: Events von Start-ups, Empfänge von anderen Verbänden, Partys von Parteien und Fraktionen. Es macht zwar Spaß, ein Teil dieser Berliner Politikblase zu sein, aber man muss auch aufpassen, sich nicht nur noch darin zu bewegen. Allein schon, weil es jedes Mal viel zu essen und Alkohol gibt. Mir hilft, dass meine Freundin mit mir in Berlin lebt und ich allein schon ihretwegen nicht jeden Abend zu Veranstaltungen gehe. Seit Kurzem haben wir einen Sohn, deshalb sind für mich inzwischen vor allem Frühstücksevents angesagt.
Illustration: Frank Höhne