Pro: Bargeld nervt und ist veraltet
Ökonomen können bestens über Bargeld streiten. Für die Verbraucher spielt das keine Rolle. Wir sollten uns von der Bargeld-Romantik lösen
Mit Bargeld lässt sich einiges anstellen. Und was machen die Deutschen? Sie sparen! Bargeld! Carl-Ludwig Thiele vom Vorstand der Deutschen Bundesbank sagte in einem Interview mit dem „Tagesspiegel“. Nur etwa zehn Prozent des von der Bundesbank ausgegebenen Bargeldes werde zum Bezahlen genutzt. Der Rest wird gehortet.
Menschen bunkern Bargeld, anstatt damit für Güter oder Services zu bezahlen. Und trotzdem existiert ein dichtes Netz an Geldautomaten, eine Branche aus Sicherheitsdiensten und Unternehmen für Geldtransporte kümmert sich darum, etwas von A nach B zu schaffen, das dann ungenutzt rumliegt.
Münzen und Scheine sind lästig
Wer braucht eigentlich noch Bargeld? Über Jahrtausende hat es Tauschgeschäfte einfacher gemacht. Heute sind Münzen und Scheine oft nur noch lästig. Die Suche nach dem Geldautomaten, Horden von Rotgeld im Geldbeutel – das ist unpraktisch und sollte verschwinden. Nicht von heute auf morgen, aber schrittweise. Und wenn es weg ist, wird es niemand vermissen.
„Es steht außer Frage, dass Bargeld eine wesentliche Rolle bei einer großen Bandbreite krimineller Aktivitäten spielt“, so argumentiert der US-amerikanische Ökonom Kenneth Rogoff in seinem Buch „Der Fluch des Geldes“ (englisch: „The Curse of Cash“). Bei Drogenhandel, Menschenhandel oder Geldwäsche. Unter die kriminellen Aktivitäten fällt aber auch, wenn jemand einen Babysitter oder eine Mechanikerin schwarz bezahlt, um Steuern zu vermeiden. Vor allem große Scheine würden häufiger für illegale als für legale Transaktionen verwendet, schreibt Rogoff. Die Europäische Zentralbank gibt deswegen ab Ende 2018 keine neuen 500-Euro-Scheine mehr aus.
„The War on Cash“
Über diese und andere Argumente aus dem Abschaffer-Lager streiten Ökonomen heftig. Die Bundesbank etwa bekennt sich zum Bargeld, hält Veranstaltungen zum „War on Cash“ ab. Man beeinflusse die Bevölkerung nicht dabei, wie sie bezahle, sagte ein Vertreter auf einer der Konferenzen. Die Angelegenheit ist kompliziert, natürlich. Aber der technische Streit um Geldmengen und Zinsen kümmert Verbraucher wenig. Wer eine Mahlzeit oder einen Schraubenzieher kauft, dekliniert vor dem Bezahlen nicht geldpolitische Positionen durch und entscheidet dann, ob er Schein oder Kreditkarte aus dem Geldbeutel nimmt. Maßgeblich beim Bezahlen ist, wie schnell es geht. Noch dauert das Zahlen mit EC-Karte in Deutschland stellenweise recht lange. Irgendwann wird es das nicht mehr. Wieso sollte man dann am Münzfach nesteln, wenn es mit der Karte in drei Sekunden klappt?
Verbraucher sind bequem. Das ist auch der Grund, warum die Digitalisierung vieles so schnell verändert hat. Warum den Pizzalieferdienst anrufen, wenn er mit einem Klick viel schneller verständigt ist? Wegen Netflix muss niemand das Haus mehr verlassen, um zur Videothek zu gehen. Und Spotify, Apple-Music und Co. lassen einen simpel nach Musik suchen. All das hat gravierende Folgen, nicht nur gute. Aber was praktisch ist, setzt sich eben durch.
Endlich keine Münzen mehr!
Warum sollte es beim Bargeld anders sein? Wohin zum nächsten Automaten, wohin mit all den Münzen? Darüber müsste sich niemand mehr Gedanken machen. Und die nötige Infrastruktur für das bargeldlose Bezahlen ist sogar schon da: Smartphones und Lesegeräte. Von letzteren müsste man noch ein paar anschaffen, damit man, wie etwa in Skandinavien, auf dem Markt eine Zwiebel oder die Spende in der Kirche mit Karte zahlen kann. Kleine und mittlere Beträge lassen sich über Apps von einem Smartphone aufs nächste verschieben, auch auf das Handy eines Bettlers etwa. In Schweden nutzte einer Umfrage zufolge schon vor zwei Jahren die Hälfte aller Menschen die App Swish, mit der genau das möglich ist. Sorge um die eigene Privatsphäre ist da natürlich gerechtfertigt. Auch legale Absichten kann man ja manchmal geheim zahlen wollen. Hier wären die Karten- und App-Anbieter gefragt, entsprechende Möglichkeiten zu schaffen. Es spricht nichts dagegen, dass etwa Smartphones in Zukunft besser verschlüsselt sind als heute.
Das stärkste Argument der Bargeld-Befürworter ist ein emotionales: die Bargeld-Romantik. Was war das früher schön, die erste Mark fürs Rasenmähen in Händen zu halten und davon Eis zu kaufen. Nur mit Barem lernten Kinder den Umgang mit Geld, heißt es, und sie würden erkennen, was Wert hat und was nicht. Aber Erziehung lässt sich nicht nur mit Bargeld machen, die ist immer noch Sache der Eltern.
Erziehung geht auch ohne echte Scheine
Mit Geld umzugehen, das lernen Kinder auch ohne Bargeld. Sie haben ein Konto oder ein Guthaben in einer App – damit können sie immer noch die Kugel Eis bezahlen. Und wenn sie das wollen, können sie ihr Geld auch sparen. Oder es in Aktien, Wertpapieren oder einem Moped anlegen, falls sie Bedenken haben, dass die Inflation die Ersparnisse auf dem Konto auffrisst. Den Umweg über das Bargeld braucht es dazu nicht.
Bernhard Hiergeist ist freier Journalist aus München. Von allen Figuren seiner Kindheit war ihm Dagobert Duck am fremdesten. Schließlich hat der mit dem Drang, Münzen in einem Geldspeicher zu horten, Entenhausen wirtschaftlich ausbluten lassen. Davon liest man aber in den Lustigen Taschenbüchern nie etwas.
Collagen: Renke Brandt
Contra: Wir brauchen unsere Scheine
Bargeld ist weit mehr als lästiges Papier. Es ist unsere einzige Möglichkeit, in einer digitalen Welt unsere Privatsphäre zu wahren, meint Theresa Hein. Deswegen müssen wir es schützen
Als ich klein war, drückte mir mein Vater am Strand in Italien einen 2.000-Lire-Schein in die Hand. Mein Bruder und ich waren fasziniert, dass man für 2.000 Lire gerade mal zwei Kugeln Eis bekam. Trotzdem war es toll, Geld in der Hand zu haben und nach einer Entscheidung in etwas umzutauschen. Und auch als der Euro kam und die Faszination für fremdes Geld verschwand, blieb doch der beeindruckende Moment, ein Stück Papier gegen etwas – für uns damals – viel Besseres einzutauschen: den Geschmack von Stracciatella, Pistazie oder Tiramisu.
Die Diskussion, in der es darum geht, Bargeld abzuschaffen, wird von den Bargeld-Liebhabern meist so sentimental geführt, wie dieser Text begonnen hat. Der Deutsche sei eben ein Sparfuchs und genieße das Gefühl, sofort zu wissen, was er für sein Geld bekommt. Genauso wie ich damals als Kind am Adriastrand. Andersherum verwenden die Bargeld-Gegner häufig das Argument, es sei so altmodisch, sich an Bargeld zu klammern. Dabei ist es alles andere als verstaubt und schon gar nicht sentimental: Wenn wir weitsichtig und eigenverantwortlich in die Zukunft gehen wollen, müssen wir am Bargeld festhalten.
Von der Abschaffung profitieren die falschen
Von der Abschaffung des Bargeldes profitieren nicht nur Kreditinstitute, die mit jeder bargeldlosen Zahlung Gebühren verdienen, sondern auch die großen Notenbanken, die keine Geldscheine und -münzen mehr ausgeben müssen und auch das Geld, das ich eben nicht mehr abheben kann, verzinsen können, wie sie wollen. Aber mir bringt das nichts. Im Gegenteil: Ich will weiterhin mein Geld für die nächste große Urlaubsreise sparen können und nicht gezwungen sein, es schnell auszugeben – das könnte nämlich passieren, wenn das Bargeld verschwindet. Zumindest wenn wir nicht wollen, dass unser Geld auf dem Konto nicht nur nicht mehr wird – sondern sogar weniger. Was sich noch abstrakt anhört, könnte die Konsumenten schon bald ganz praktisch treffen. Jedes Kind lernt, dass man heute weniger Zinsen auf sein Geld bekommt als früher und dass Sparen eigentlich „nichts bringt“. Unsere Großeltern und Eltern haben ihr Geld besonders lange auf dem Konto aufgehoben, es hat sich sozusagen von selbst vermehrt. Aber neben den Niedrigzinsen, wie wir sie heute kennen, könnte es auch Negativzinsen geben. Vielfach gibt es die sogar schon, oft werden sie nur gut versteckt, zum Beispiel in Form von Kontoführungsgebühren.
Negativzinsen würden für mein Konto bedeuten, dass ich möglichst schnell mein Geld ausgeben sollte, damit ich nicht draufzahle. Wir könnten unser Geld auch nicht mehr klassisch auf dem Sparbuch anlegen, weil es da weniger würde – und abheben könnten wir es auch nicht mehr. Wer sein Geld sogar vermehren will, müsste mehr Risiko eingehen und zum Beispiel Edelmetalle, Aktien oder Staatsanleihen kaufen. Ich bin zwar keine misstrauische Eigenbrötlerin, die gerne einen Sparstrumpf zu Hause hat, weil sie den Banken nicht vertraut und das Geld „zu Hause besser aufgehoben“ ist. Aber wie alle Menschen habe ich gern in der Hand, wann ich mich entscheide, mein erspartes Geld auszugeben, und will das nicht notgedrungen tun, weil die Wirtschaft mich dazu nötigt.
Überhaupt, der Zwang. Schon jetzt gibt es Discounter wie Netto, die Kunden, die bargeldlos zahlen, die Möglichkeit bieten, automatisch Coupons einzulösen und damit Geld zu sparen. Wer von diesen Angeboten profitiert, befördert eine Zweiklassengesellschaft: Vorteile hat nur, wer seine Daten bereitwillig abgibt. Denn meistens erklärt man sich, wenn man nicht ablehnt, mit irgendeiner Form der Datenspeicherung einverstanden. Händler erstellen Kundenprofile, ohne dass uns dies mitgeteilt wird.
Diesen Freiraum dürfen wir nicht aufgeben
Die Sammlung von Zahlungsdaten hat noch weitreichendere Folgen als die der Adresse oder des Standorts. Und das sind selten positive Folgen: Es kann nicht gut sein, wenn unsere Versicherungen wissen, wie viel Geld ich Freitagabend in einer Kneipe ausgebe und wie viel Bier ich vertrage; wie viele Zigaretten mein Arbeitskollege raucht. Und es geht den zukünftigen Arbeitgeber nichts an, wer wann verhütet und wann beschließt, ein Kind zu bekommen. Wir wissen nicht, was mit unseren Daten schon jetzt oder in Zukunft gemacht wird. Was wir wissen, ist: Sie werden gesammelt. Jede Sammlung kann weiterverkauft oder, noch schlimmer, gestohlen werden.
Mit dem Verzicht auf Bargeld geben wir nicht nur Standort und Kontaktdaten freiwillig an Unternehmen ab, wie wir es jetzt schon häufig tun. Wir geben zusätzlich noch unser Wesen, unsere Persönlichkeit, unsere privaten Entscheidungen preis. Und meist ist die Kartenzahlung doch nur – das fällt mir auch bei mir selbst auf – eine Bequemlichkeit, weil wir vergessen haben, Geld abzuheben.
Bargeld ist der letzte Freiraum des Menschen im Kapitalismus, den wir einteilen, aus- und weitergeben können, wann und für was wir möchten, den niemand überwacht. Zumindest nicht bei kleineren Beträgen. Bei einer Barzahlung über 10.000 Euro muss man sich auch heute schon ausweisen. Alles darunter bleibt aber anonym. Diesen Freiraum dürfen wir nicht aufgeben.
Theresa Hein hat Angst vor dem Tag, an dem irgendein Arzt zu ihr sagt: „Wir können Sie leider nicht behandeln, Ihre Krankenkasse hat uns die Menge an Schokolade, die sie täglich verzehren, übermittelt. Sie haben eh nur noch einen Tag zu leben.”