Sich 135 Euro zu leihen ist für viele Menschen in Deutschland kein Problem. Wenn die Shoppingtour mal wieder größer ausfällt, lassen sich Girokonten um Beträge wie diesen oft einfach überziehen. Frau Bep dagegen, die in der zentralvietnamesischen Stadt Hue lebt, musste bis vor kurzem eine mittelgroße Odyssee antreten, um an 135 Euro – umgerechnet rund 3,5 Millionen vietnamesische Dong – zu kommen.
Frau Bep hat drei Kinder und arbeitet als Fischhändlerin, sie zählt innerhalb Vietnams zur ärmeren Bevölkerungsgruppe. Menschen dieser Schicht haben oft kein Bankkonto. Die kleinen Summen, die sie jeden Monat zusammensparen, können sie deshalb nur schwer anlegen. Und weil sie normalerweise auch keine Sicherheiten vorweisen können, gewähren ihnen Banken meist keine Kredite.
Um Fische zu kaufen, die sie dann auf dem Markt weiterverkaufen kann, braucht Frau Bep aber gelegentlich ein kleines Darlehen. „Meist leihen mir in dieser Situation Verwandte Geld“, sagt Frau Bep. „Manchmal aber musste ich auch schon zu einem Kredithai gehen. Der aber nimmt hohe Zinsen.“ Und diese muss sie erst einmal wieder erwirtschaften.
Klassische Mikrokredite sind eine Lösung – aber längst nicht für alle
Für Situationen wie diese hat der Wirtschaftswissenschaftler Muhammad Yunus aus Bangladesch in den 1980er-Jahren eigentlich das Konzept der Mikrokredite entwickelt. Im Jahr 2006 wurde er dafür sogar mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Doch klassische Mikrokredite sind nicht für alle Menschen eine praktikable Lösung. Für Frau Bep etwa, die kurzfristig immer nur sehr kleine Summen benötigt, wäre der Aufwand, bei einer auf Mikrokredite spezialisierten Bank ein Darlehen zu beantragen, viel zu hoch.
Zusammen mit 14 Frauen aus ihrer Nachbarschaft hat Frau Bep deshalb eine andere Lösung gefunden: Sie haben sich zu einer nichtkommerziellen Spar- und Kreditgruppe zusammengeschlossen. Die Teilnehmerinnen sind zwischen 30 und 57 Jahre alt, haben Familie und sind wirtschaftlich in einer ähnlichen Situation. Frau Kieu etwa ist Mutter von vier Kindern und verkauft auf dem lokalen Markt Speisen und Getränke. Und die 34-jährige Frau Ngoài, die zwei Kinder hat, ist wie Frau Bep Fischhändlerin. Die Idee: Die Gruppenmitglieder helfen sich bei kurzfristigen kleineren Investitionen gegenseitig aus – und sparen sich auf diese Weise die hohen Zinsen, die sie sonst zahlen müssten.
Unterstützt wurden die Frauen von zwei europäischen Stiftungen, der TUI Care Foundation und der Stiftung Hilfe mit Plan. „Wir arbeiten bei diesem Projekt mit Menschen, die zu arm sind, um einen normalen Mikrokredit zu erhalten“, erklärt Kathrin Hartkopf von der Stiftung Hilfe mit Plan. Zusammen mit lokalen Nichtregierungsorganisationen stellen die Stiftungen in erster Linie das Wissen zur Verfügung, wie eine solche Gruppe organisiert werden muss, um mögliche Probleme zu vermeiden. Alles Weitere liegt dann bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern selbst.
Der Banktresor: eine Truhe mit mehreren schweren Schlössern
Frau Beps Spar- und Kreditgruppe, sie hat sich „Erfolg“ genannt, trifft sich einmal im Monat bei einer der Frauen zu Hause. Tee und Wasser werden dann serviert, frisches Obst angerichtet, die Kinder spielen vor dem Haustor. Auf dem Boden sitzen die Frauen rund um die metallene Truhe, in der die Gruppe ihre Gelder aufbewahrt. Gesichert ist sie durch mehrere schwere Schlösser. Während eine der Frauen die Box zwischen den Treffen bei sich zu Hause aufbewahrt, verfügen andere Frauen über je einen Schlüssel. Eine weitere Frau wacht über das Kassenbuch, und alle zeichnen in Sparbüchern ihre Einnahmen und Ausgaben nach. Das Ziel all dieser Maßnahmen: maximale Transparenz.
Die monatlichen Treffen folgen einem strikten Plan. Zunächst wird das Geld in der Box vor aller Augen gezählt und mit den Büchern abgeglichen. Zehn Millionen Dong (390 Euro) haben die Frauen im vergangenen halben Jahr gespart. Als keine Unregelmäßigkeiten festgestellt werden, zahlen reihum alle Frauen je 10.000 Dong in eine Gemeinschaftskasse ein. Über Mittel aus dieser Kasse kann die Gruppe gemeinsam verfügen, etwa für Geschenke zum Geburtstag oder als Hilfe, wenn eine Teilnehmerin dringend Medikamente kaufen muss.
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Anschließend wird gespart: Wer mag, kann überschüssige Gelder in die Truhe einzahlen. In diesem Monat kommen rund 2,5 Millionen Dong zusammen. Die gesparten Summen werden in die Sparbücher eingetragen und können auch wieder abgehoben werden. Schließlich geht es zum nächsten Thema: Darlehen. Eine Frau zahlt ihre Schulden zurück. „Benötigt jemand einen neuen Kredit?“, fragt dann die Versammlungsleiterin. Frau Bep meldet sich, erklärt ihren Kreditwunsch von 3,5 Millionen Dong und dass sie mit dem Geld Fische kaufen möchte. Die Runde beratschlagt kurz. Wie alle Entscheidungen muss auch diese einstimmig fallen: Spricht sich nur eine Teilnehmerin gegen den Kredit aus, wird er nicht ausgezahlt. Doch die Gruppe gibt grünes Licht.
Männer dürfen der Spargruppe nicht beitreten
Penibel wird das Darlehen in den Büchern vermerkt, zwei Frauen zählen das Geld, bevor sie es an Frau Bep auszahlen. Innerhalb von drei Monaten will sie das Darlehen wieder tilgen. Auch Zinsen werden fällig: 70.000 Dong je Monat. Die aber landen in der Gemeinschaftskasse, in die auch die Mitgliedsbeiträge gezahlt werden – und bleiben der Gruppe auf diese Weise erhalten.
Die „Erfolgs“-Gruppe hat sich bewusst dafür entschieden, keine Männer aufzunehmen. „Es ist halt eine Frauengruppe“, sagt Frau Bep zur Begründung lapidar. Unausgesprochen bleibt: Dadurch, dass die Frauen untereinander bestimmen, wer einen Kredit bekommt, haben sie innerhalb der Familie und besonders gegenüber ihren Männern eine einflussreiche Position. „Die Männer freuen sich darüber“, beteuert Frau Kieu. Denn innerhalb relativ kurzer Zeit habe ihre Familie bereits einiges gespart.
Als die Sitzung endet, werden die Bücher geschlossen, die Truhe verriegelt, die Schlüssel verteilt. In einem Monat steht das nächste Gruppentreffen an. Frau Bep hofft bis dahin auf gute Fischgeschäfte. Und alle wünschen sich gegenseitig zum Abschied eins: Viel Erfolg!
Fotos: Tobias Sauer