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Lagerkoller

Treffen sich eine Stewardess, ein Geflüchteter, ein Wachmann und eine Funktionärin: Die Netflix-Serie „Stateless“ erzählt von vier Menschen in einem australischen Internierungslager

  • 4 Min.
Stateless

So staatenlos, wie der Name der Serie vermuten lässt, ist deren Protagonistin eigentlich gar nicht: Sofie Werner ist geborene Deutsche und australische Staatsbürgerin. Nachdem sie aus einer sektenartigen Tanz-Selbstoptimierungsgemeinschaft verstoßen wurde, erleidet sie einen psychischen Zusammenbruch, flüchtet vor sich selbst, weist sich bei Behörden stets mit einer anderen Identität aus und landet so auf Umwegen in einem australischen Internierungslager für, richtig, Staatenlose.

Die von Cate Blanchett mitproduzierte Serie „Stateless“ (Blanchett tritt auch in einer Nebenrolle als Sektenführerin auf) lehnt sich an das reale Vorbild der Deutschen Cornelia Rau an, die von 2004 bis 2005 tatsächlich in einem solchen Lager eingesperrt war. Ein spektakulärer Sonderfall – ansonsten fanden sich dort damals eher Menschen aus Ländern wie Afghanistan, dem Iran oder Irak. Vielleicht braucht eine Serie diesen Aufmerksamkeitstrigger. Blanchett selbst sagte anlässlich einer Vorführung bei der diesjährigen Berlinale in einem Interview mit dem RBB, die Figur der Sofie Werner solle „stellvertretend für alle Weißen“ stehen, „damit wir Privilegierten auch ein Gespür dafür bekommen, was es heißt, heimatlos zu sein.“

 

Auch die Lager-Mitarbeiter in ihren klimatisierten Büros haben ihr Päckchen zu tragen 

Bereits in der ersten Folge der sechsteiligen Miniserie wird allerdings deutlich, dass sie nicht allein Sofies Schicksal zeigen will. Im Lager gelandet sind außerdem der afghanische Familienvater Ameer (Fayssal Bazzi) und seine Tochter Mina, der Quereinsteiger-Aufseher Cam Sandford (Jai Courtney) und die neue Direktorin des Camps, Claire Kowitz (Asher Keddie). Der größte Teil der Serie spielt dann auch auf dem wüstenartigen Lagergelände, auf dem Familien und alleinstehende Männer von einem Zaun getrennt jahrelang auf die Bearbeitung ihres Asylantrags warten, immer wieder aufbegehren und anschließend niedergeprügelt werden. Die Lagermitarbeiter in ihren klimatisierten Büros haben dagegen ihre eigenen Konflikte. Sie reichen von Kowitz, die unablässig versucht, dem Lager ein sauberes Bild in der Öffentlichkeit zu verpassen, bis zum Neuling Sandford, der sich ständig fragen muss, ob die Gewalt, die er da sieht und duldet, noch in irgendeiner Form vertretbar ist.

Stateless | Official Trailer | Netflix

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Aus den Geschichten dieser Menschen unterschiedlichster Herkunft, die sich hier auf engstem Raum im australischen Nirgendwo begegnen, hätte eine großartige Serie entstehen können. Doch irgendwie gelingt es „Stateless“ nicht, spannend zu bleiben. Stattdessen hat man bald fast das Gefühl, selbst vom Lagerkoller überkommen zu werden: Zu eindimensional ist etwa die Geschichte des stets bemühten Ameer, dessen Wortbeiträge nie darüber hinausreichen dürfen, sich ein gutes Leben in Australien zu wünschen. Das von Blanchett gewünschte Gefühl von Heimatlosigkeit zerfließt hier in Klischees, Plattitüden und Pathos.

Anfangs scheint es noch so, als könne man die Vielschichtigkeit, die Ameer fehlt, wenigstens bei Sofie finden. Doch obwohl Yvonne Strahovski (bekannt aus „The Handmaid’s Tale“) sich mit allen Mitteln der Schauspielkunst in psychotische Zustände spielt, reicht auch ihre Präsenz nicht aus, um wirklich zu fesseln. Ihre in Flashbacks erzählte Vorgeschichte, der Weg ins Lager, wird dem Zuschauer nur häppchenweise serviert. Sie zieht sich so endlos lang über die sechs Episoden, dass einem der Charakter bereits in der zweiten Folge einigermaßen egal ist. Der Aufseher Cam Sandford, der nur aus Geldmangel im Lager anheuert, zunächst menschlich und sorgsam agiert und dem dann von seinen Kollegen langsam jegliche Empathie abtrainiert wird, wäre hier wohl die interessantere Hauptfigur gewesen. Seine Zeugenschaft von Gewalt, Rechtsbruch und Unmenschlichkeit bei gleichzeitigem Glauben an so etwas wie einen australischen Rechtsstaat zeigt genau jenen Gewissenskonflikt, dem sich der westliche Zuschauer stellen muss.

Das Titelbild (Netflix) zeigt Sofie Werner, gespielt von Yvonne Strahovski, die auf Umwegen im australischen Internierungslager landet.

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.