Streit

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Sollten Kurzstreckenflüge verboten werden?

Oder ist der Umstieg auf Schiene und Straße gar nicht so klimafreundlich wie vielleicht gedacht? Unser Autor und unsere Autorin streiten

Kurzstreckenflüge verbieten? Streit

Ja! Wenn wir Ernst mit dem Klimaschutz machen wollen, müssen Kurzstreckenflüge verschwinden

findet Katharina Wojczenko

Der Flugverkehr ist ein Klimasünder – und die Sünde durch Kurzstreckenflüge ist die größte. Beim Start wird ein großer Teil CO2 ausgestoßen, das ergibt also besonders viel CO2 pro zurückgelegtem Kilometer. Hinzu kommen Stickoxide und Wasserdampf in hohen Luftschichten, die doppelt so viel zur Erderwärmung beitragen wie das dabei ausgestoßene CO2.

Die Kosten für Billigflüge tragen andere

Eine von der Umweltschutzorganisation Greenpeace in Auftrag gegebene Studie hat dazu gerade wieder Daten zusammengetragen. Demnach sind Flüge mit einer Distanz von unter 1.500 Kilometern (laut Eurocontrol als Kurzstrecke definiert) für ein Viertel der CO2-Emissionen aus dem EU-Flugverkehr verantwortlich. Die Zahlen belegen auch: Die Reisenden müssen dringend vom Flugzeug auf die Schiene umsteigen. Und es liegt an der Politik, dafür eine gesetzliche Grundlage zu schaffen. Denn ein Flugzeug im Inlandsbetrieb emittiert 214 Gramm klimaschädliche Treibhausgase pro Personenkilometer. Ein Pkw immerhin noch 154 Gramm – ein Fernverkehrszug oder ein Fernbus hingegen nur 29 Gramm.

Der niedrige Preis, ein Lieblingsargument pro Kurzstreckenflüge und contra Bahn, ist eine Mogelpackung. Denn die wahren Kosten haben schon immer andere getragen: die Mehrheit, die mit Steuergeldern unrentable Regionalflughäfen und reduzierte Steuersätze unter anderem für Kerosin subventioniert hat – und die Folgen des Klimakollapses bezahlen wird, zu dem die Kurzstreckenflüge beitragen.

Deutsche Flugunternehmen sind für ein Drittel der 150 meistgenutzten Kurzflugstrecken innerhalb der EU verantwortlich. Laut Statistischem Bundesamt ging jeder zweite Flug von und nach Deutschland in den Jahren 2019 und 2020 über eine Distanz von maximal 1.000 Kilometern. 30 Prozent waren Inlandsflüge. Das kann man bei Ländern wie Kolumbien verstehen, wo manche Regionen nur per Flugzeug zu erreichen sind – nicht aber in einem reichen, deutlich kleineren Industrieland ohne Anden als natürliche Barriere.

Ohne Kurzfliegerkonkurrenz könnte sich Bahnfahren wieder lohnen

Derzeit lassen sich laut Greenpeace nur ein Drittel der 150 wichtigsten Strecken innerhalb der EU durch Zugreisen von unter sechs Stunden ersetzen. Da ist das Flugzeug selbst mit Anfahrt zum Flughafen und Warten schneller.

Ich träume von einer Welt, in der Geschäftsreisende mit stabilem Internet im Zug arbeiten können, wo UrlauberInnen genug Platz für ihre Koffer haben, Züge pünktlich sind – und alle bessere Verbindungen zu erschwinglichen Preisen bekommen. Ohne subventionsgestützte Kurzfliegerkonkurrenz steigt die Rentabilität der Bahn. Eingestellte Nachtzuglinien könnten sich wieder lohnen – und ohne Hotelübernachtung morgendliche Arbeitstreffen ermöglichen. Der für Inlandsflüge so beliebte Flughafen München bekommt den lang gewünschten Fernbahnhof statt Bummel-S-Bahn. Und mit deutschlandweit mehr Nonstop-Verbindungen nach dem Vorbild des französischen TGV, auf denen ICEs mit 300 Stundenkilometern übers Land fahren, würde das Zugfahren auf einigen Strecken sogar schneller als das Fliegen.

Katharina Wojczenko ist als freie Journalistin vor allem in Kolumbien unterwegs – dort gibt es oft wirklich keine Alternative zu Inlandsflügen.

Nein! An anderen Stellen CO2 zu sparen wäre einfacher und effektiver

sagt Ralf Pauli 

Die Debatte über das Verbot von Kurzstreckenflügen ist spätestens seit dem Bundestagswahlkampf 2021 kaum noch aus der Öffentlichkeit wegzudenken. Eine Grundidee, die man auf den ersten Blick gutheißen mag: Je weniger Menschen fliegen, desto besser fürs Klima. Noch dazu, wenn bei kürzeren Strecken mit der Bahn eine bequemere, sauberere und manchmal sogar gleich schnelle Alternative existiert. 1,6 Millionen Tonnen CO2 ließen sich im Jahr durch ein Verbot von Flügen einsparen, deren Ziele auch mit der Bahn innerhalb von vier Stunden erreicht werden können, rechneten Umweltverbände vor.

Bahnfahren ist noch keine echte Alternative

Klingt gut – und trotzdem wäre ein Verbot von Kurzstreckenflügen falsch. Zum einen, weil die Alternative leider den Namen oft nicht verdient. Es stimmt, dass zuletzt die Hälfte aller Passagierflüge, die auf Deutschlands Hauptverkehrsflughäfen starteten oder landeten, nicht weiter als 1.000 Kilometer geflogen sind. Doch nur jeder siebte davon war auch ein Inlandsflug, die große Mehrheit startete oder landete im Ausland. Nicht überall kommt man mit der Bahn so schnell und direkt hin wie nach Amsterdam oder Prag. Wer regelmäßig mit der Bahn ins Ausland reist, weiß, dass einem die Liebe zum Klima beträchtlich mehr Zeit – und oft auch Geld – abverlangt.

Auch in Deutschland ist die Taktung der Züge für viele Strecken zu selten und zu unzuverlässig – was bei Dienstreisen oder Anschlussflügen ins Ausland oft auf nervige und teure Übernachtungsstopps hinausläuft. Zudem ist Bahnfahren teuer. Vermutlich würden nur wenige Flugreisende auf die Schiene, viele aber aufs Auto umsteigen. Damit wäre dem Klima kaum geholfen. Statt eines Flugverbotes bräuchte es einen ernsthaften Ausbau des ICE-Netzes zu genuinen Hochgeschwindigkeitsstrecken wie beim französischen TGV. Die Fahrtzeiten zwischen Frankfurt und Berlin oder Hamburg und München könnten sich fast halbieren, wenn der ICE durchgängig 300 bretterte. So würde er zur echten Alternative.

Ein Tempolimit auf der Autobahn würde dreimal soviel CO2 einsparen

Das Hauptargument gegen ein Verbot von Kurzstreckenflügen ist aber dessen mickrige Wirkung. Selbst im bestmöglichen – und unwahrscheinlichen – Fall, dass alle rein innerdeutschen Fluggäste auf die Bahn umsteigen, spart das gerade mal rund 0,7 Millionen Tonnen CO2. Zum Vergleich: Der Straßenverkehr in Deutschland ist für 158 Millionen Tonnen an CO2-Ausstoß verantwortlich. Zumal Flugzeugbauer schon längst an klimaneutralen Alternativen zum Kerosin arbeiten. 2035 möchte Airbus das erste wasserstoffbetriebene kleine Kurzstreckenflugzeug auf den Markt bringen. Es ist schlauer, die Branche mit den richtigen Anreizen – Stichwort Kerosinsteuer! – zum Umstieg zu bewegen und in der Zwischenzeit dort CO2 zu sparen, wo es sinnvoll und einfach umzusetzen ist. Zum Beispiel beim Tempolimit 130 auf Autobahnen. Damit allein würde man dreimal so viel CO2 wie bei einem Verbot von Inlandsflügen einsparen – und zudem viele tödliche Unfällevermeiden.

Ralf Pauli ist Redakteur bei der Berliner Tageszeitung „taz“ aus Berlin, passionierter Bahnfahrer – und seit Jahren nicht mehr geflogen.

Collagen: Renke Brandt

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.