Ein Ziehen in der Brust: Das könnte ein Anzeichen für Brustkrebs sein. Kopfschmerzen: ein Tumor? Durchfall: Darmkrebs! Solche Gedanken machen Hypochondern das Leben schwer. Hypochonder fürchten sich vor schweren, bei ihnen unentdeckten Krankheiten. Laut Florian Weck, Psychologe an der Universität Frankfurt, leidet in Deutschland unter solch einer ausgeprägten "Krankheitsangst" etwas weniger als ein Prozent der Bevölkerung. Unter ihnen ist auch der 21-jährige Timo*. Seine Panik vor tödlichen Krankheiten dominiert sein ganzes Leben. Mithilfe einer Therapie versucht er zurzeit, die Hypochondrie zu überwinden. Natascha Mahle hat mit Timo geredet.
Mit sieben Jahren hatte ich eine Darmspiegelung. Der Aufenthalt im Krankenhaus und die ganze Prozedur müssen mich ziemlich geprägt haben, denn seitdem sind Arztbesuche oder simple Impfungen der absolute Horror für mich. Stand ein Termin an, konnte ich ein paar Tage davor nicht schlafen und wurde nervös. Aber mit der Angst konnte ich gut umgehen, sie hat mein Leben nicht eingeschränkt.
Mit 17 Jahren habe ich meine jetzige Freundin kennen gelernt. Ab diesem Zeitpunkt war die Angst passé, ich schwebte auf Wolke sieben. Ein Jahr später wurde mir mehrmals täglich schwindlig, ich fühlte mich matschig und kraftlos. Der Zustand dauerte ein paar Wochen an, dann ging ich zum Hausarzt. Er schob mein andauerndes Schwindelgefühl auf eine verschleppte Grippe. Als es immer schlimmer wurde, googelte ich "Schwindel und Kraftlosigkeit". Prompt landete ich in einem Forum und erfuhr, dass dies Anzeichen für einen Gehirntumor sein könnten.
Andauerndes Schwindelgefühl
Diese Minute würde ich als Wendepunkt in meinem bis dato normalen Teenagerleben bezeichnen. Plötzlich hatte ich eine brennende Angst in mir, todkrank zu sein. Menschen, die noch nie psychische Probleme hatten, können so eine Angst wahrscheinlich nur schwer nachvollziehen. Die Angst wird zum vorherrschenden Thema in deinem Leben, sie dominiert alles. Sie hat dich im Griff, nicht mehr du dich selbst. Sie kommt plötzlich in den schönsten oder unpassendsten Momenten und lähmt dich.
Bei mir war es ein Gefühl, als würden Wände auf mich zukommen und mich erdrücken. Panikattacken, Schweißausbrüche, Atemprobleme und Schlaflosigkeit gehörten zu meinem Alltag. Ich, der ansonsten immer große Angst vor Ärzten hatte, wollte nun unbedingt eine Kernspin-Tomografie machen, um den Gehirntumor ausfindig zu machen. Ich konnte ihn in meinem Kopf schon spüren und zeigte dem Neurologen die Stelle, an der ich den Tumor vermutete.
Aber da war nichts, mein Gehirn war vollkommen gesund. Ich war beruhigt und die Angst ließ mich erstmals los, aber der Schwindel nicht. Endlose Untersuchungen später hatte ich eine Diagnose: Hashimoto Thyreoiditis, eine Autoimmunerkrankung, die zu einer chronischen Entzündung der Schilddrüse führt. Mein Hausarzt verschrieb mir Tabletten, aber die zeigten keine Wirkung. Mir war weiterhin schwindelig.
Angst vor einem Herzinfarkt
Dann starb völlig unerwartet meine Tante an einem Herzinfarkt und die Angst war sofort wieder da. Ich dachte, wenn die Tabletten nicht anschlagen, muss es was anderes sein. Ich googelte wieder und las, dass Schwindel auch ein Anzeichen für Herzprobleme sein kann – wie sie ja auch meine Tante hatte. Jetzt hatte ich Angst vor einem Herzinfarkt.
Zu der Zeit arbeitete ich als Zivi in einer Einrichtung für behinderte Menschen. Dort kollabierte ich plötzlich, bekam keine Luft mehr und wurde in die Notaufnahme gebracht. Mein Hausarzt wollte mich in eine Psychiatrie einweisen lassen. Das wollte ich aber nicht. Weil dort Menschen mit schlimmeren psychischen Erkrankungen betreut werden, befürchtete ich, noch tiefer in mein Angstverhalten abzutauchen. Wir einigten uns auf eine Tagesgruppe für psychisch Kranke.
Ich nahm an, nach sechs Wochen Aufenthalt wieder gesund zu sein, doch das Gegenteil war der Fall. Die 34 Patienten wurden von einer Krankenschwester, einer Ergotherapeutin und einem Psychiater betreut. In der ganzen Zeit hatte ich nur zwei Einzelgespräche. Stattdessen sollte ich Medikamente nehmen, wie die anderen Patienten. Die saßen alle apathisch und zugedröhnt im Gruppenraum. Das schreckte mich ab, ich wollte meinen Problemen auf den Grund gehen, um die Wurzel zu finden. Ich wollte keine Medikamente nehmen, um mich zu betäuben.
Endlich die richtige Therapie
Ich nutzte die Zeit, um einen guten Psychoanalytiker für eine längerfristige Therapie ausfindig zu machen. Und ich ging zu einem Schilddrüsenspezialisten, der mir endlich eine passende Medikation für Hashimoto Thyreoiditis verschrieb. Außerdem erfuhr ich, dass die Panikattacken nicht nur ein psychisches Problem waren, sondern auch von meiner Autoimmunkrankheit begünstigt werden.
Mittlerweile bin ich raus aus dieser Negativspirale – mein Schwindel ist weg und ich suche nicht mehr nach möglichen Krankheiten. Die Gespräche mit dem Therapeuten helfen mir, Situationen, in denen wieder eine Panikattacke aufkommen kann, zu erkennen und gezielt darauf zu reagieren. Mit meiner Krankheit bin ich immer offen umgegangen, in meinem Freundeskreis war die jedem bekannt. Viele haben dann auch den Mund aufgemacht und von ihren psychischen Erkrankungen erzählt. Das ist für uns kein Tabuthema mehr, sondern einfach eine Art von Krankheit, wie ein gebrochenes Bein oder Grippe.
*Name wurde geändert