Meinen ersten Tag als Lehrer vergesse ich nie. Montagmorgen, Vertretungsstunde in einer achten Klasse. Ich betrat den Klassenraum damals noch als Frau Körner: kurze Haare, Kapuzenpulli, nicht geoutet. Eine Schülerin schrie: „Jetzt werden wir auch noch von Transen unterrichtet?“
Aber von vorne.
Dass ich anders bin, wusste ich früh. In meiner Kindheit, auf dem Dorf in den 90er-Jahren, war Transidentität kein Thema. Ich habe verdrängt, wer ich sein wollte. Bis ich für mein Referendariat nach Berlin ging. Ein paar Wochen vor dem Umzug packte mich eine Freundin und nahm mich beschwördend zur Seite: „Willst du nicht lieber ein Mann sein?“ Sie fragte ganz direkt. Meine Stimme stockte, aber ich stimmte zu.
„Die Schüler*innen wollten wissen, ob ich mir jetzt einen Vollbart wachsen lasse und ob ich noch meine Periode habe“
In Berlin suchte ich mir eine Psychotherapeutin, eine NGO, die trans Menschen unterstützt, und outete mich zum ersten Mal vor Freund*innen. Ehrlich zu sein fühlte sich gut an. Ich war mitten in meiner Transition. Es gab nur ein Problem: Ich musste die Schule wechseln.
Dort konnte ich mich unmöglich direkt als Mann vorstellen: Ich fühlte mich noch nicht so weit, hatte nicht mal einen männlichen Namen. Trotzdem war ich schon beim Vorstellungsgespräch guter Dinge. Wie offen ihre Schule sei, fragte ich die Schulleiterin. Ihre Unterstützung war mir wichtig, schließlich steht die Schule im doch eher spießigen Berliner Randbezirk Dahlem. „Machen Sie sich keine Sorgen“, sagte sie. „Wir leben in Berlin.“
Eine Pride ist ein Event oder Umzug, bei dem die Vielfalt von Geschlechtern, Identitäten und Liebe gefeiert wird.
An der Schule habe ich mich trotzdem nur zögerlich geoutet: Kolleg*in für Kolleg*in, bis ich im Lehrer*innenzimmer irgendwann Herr Körner war. Um mir mein Outing vor den Schüler*innen zu erleichtern, wollte die Schulleiterin eine kleine Pride organisieren. Aber das kam mir zu pompös vor.
Stattdessen einigten wir uns, allen 450 Schüler*innen kurz vor den Sommerferien einen Elternbrief mitzugeben. Ich schrieb einen sehr persönlichen Text, der meine Transition erklärte, und wünschte mir zum Abschluss, dass ich nach den Ferien nur noch mit „Herr Körner“ angesprochen werde. Ich weiß, dass sich einige aufgeregt haben. Aber die Schulleitung hat mich vor den negativen Reaktionen der Eltern geschützt.
„Von einem Tag auf den anderen fühlte ich mich zwangsgeoutet“
Meiner eigenen Klasse sagte ich es persönlich. Es war aufregend, weil ich wusste, dass ich es danach nicht mehr zurücknehmen kann. „Ab heute bin ich Herr Körner. Falls ihr Fragen habt, stellt sie.“ Die Ersten wollten wissen, ob ich mir jetzt einen Vollbart wachsen lasse und ob ich noch meine Periode habe. Andere, wann ich gemerkt habe, dass ich trans bin und ob ich mich schon vor meiner Familie geoutet habe. Mit der Zeit stellten wir fest, dass ich mit meinen Schüler*innen eine Erfahrung teile: Ich bin auch in der Pubertät, wenn auch in meiner zweiten. Die ersten Wochen nach dem Outing liefen gut.
Bis irgendwann ein Schüler mit einem Geheimnis ankam. „Die anderen meinen, ich soll Ihnen nichts sagen. Aber ich finde, das sollten Sie sehen.“ Er suchte das „Herr Körner-Starterkit“ aus einem WhatsApp-Chat heraus: Das Meme zeigte ein Foto von mir, eine Frau mit Bart und eine Zeichnung, in der die Symbole für Mann und Frau verschmelzen. Ein bisschen mehr Humor hatte ich meinen Schüler*innen schon zugetraut.
Schockiert war ich nicht über das Meme, sondern darüber, dass die Schulleiterin davon wusste und mich nicht informiert hatte. Bis dahin hatte ich immer selbst entschieden, wem ich von meiner Transition zum Mann erzähle. Jetzt ging ein Meme rum, von dem ich nicht wusste, wer es schon gesehen hat. Von einem Tag auf den anderen fühlte ich mich zwangsgeoutet.
Ich fühlte mich unwohl an der Schule. Im Unterricht wartete ich nur darauf, dass ein*e Schüler*in etwas Unangebrachtes sagt oder mich fotografiert. Schüler*innen sind oft darauf aus, die Grenzen auszutesten. Meine kannten jetzt alle. „Wieso ist Ihre Stimme so hoch?“ „Sind Sie eine Frau oder ein Mann?“ Manche nannten mich wieder Frau Körner. Ich antwortete und korrigierte die Schüler*innen zunehmend genervter.
„Mein Bildungsauftrag ist nicht, Englisch oder Geschichte zu lehren“
Auch die Geduld und die Toleranz der Schulleiterin waren plötzlich endlich. Auf meine Beschwerden antwortete sie immer öfter, dass sie Wichtigeres zu tun habe, und irgendwann entzog sie mir die Leitung meiner Klasse. Während ich für meine Masektomie, die Angleichung meiner Brust, krankgeschrieben war, fasste ich die Entscheidung, an einer anderen Schule neu anzufangen.
Es war richtig, meine Veränderung so offen zu thematisieren. Ich weiß heute, wie ich meine Transition erkläre, wie robust man sein muss, um vor den Augen Hunderter Menschen in einem anderen Geschlecht anzukommen. Und dass ich einen Arbeitsplatz brauche, an dem wieder ich entscheide, wann, wie und wem ich meine Geschichte erzähle.
Ich möchte wieder Freude am Unterrichten haben und allen zeigen: Es ist gut, wie du bist. Mein Bildungsauftrag ist nicht, Englisch oder Geschichte zu lehren, sondern Diversität.
Fotos: Nikita Teryoshin