Entscheidungen werden vielerorts getroffen, oft genug am Telefon mit Mama. Auch Bonaventure Dossous Mama verweist gern auf ihre Lebenserfahrung, um ihm wichtige Ratschläge zu erteilen. Mit einem Unterschied: Seine Mutter schickt Sprachnachrichten, die er manchmal nicht versteht. Dann muss Bonaventure seine Schwester anrufen und um eine Übersetzung bitten.
Seine Mutter spricht Fon. Eine der 50 Sprachen und Dialekte, die im westafrikanischen Staat Benin gesprochen werden. In diesem schmalen Landstreifen zwischen Togo und Nigeria ist Dossou aufgewachsen. Seine Erstsprachen sind Fon und Gun. Beide beherrscht er aber nicht so gut wie die der ehemaligen Kolonialmacht: Französisch ist die Sprache der Politik, des Handels und somit auch der Bildung. Wer es nicht spricht, ist klar im Nachteil.
Der Eurozentrismus der Übersetzungsprogramme
Der 23-Jährige erzählt davon bei einem Skype-Gespräch. „Wie kann es sein, dass du die Möglichkeit hast, in deiner Erstsprache unterrichtet zu werden, ich aber nicht?“, fragt er. In der Schule im Benin werden alle Fächer in Französisch unterrichtet. Bonaventure findet es ungerecht, dass afrikanischen Sprachen nicht ausreichend Platz eingeräumt wird. Ein Problem, das er sieht: das mangelnde Interesse an der Übersetzung.
Es gibt über 7.000 Sprachen auf der Welt, maschinelle Übersetzungsprogramme kommen nur mit einem Bruchteil davon zurecht. Der Großteil aller Webseiten ist in nur einer Handvoll Sprachen verfasst – meist in Englisch. Ein eintöniges Futter für selbstlernende Übersetzungsalgorithmen, die sich daher meist an den viel verbreiteten Sprachen schulen. 2013 kündigte Google an, künftig auch afrikanische Sprachen anzubieten. Keine einzige fand sich damals unter den 71 Google-Translate-Sprachen. Heute sind es immerhin 13. Bleiben immer noch knapp 2.000 afrikanische Sprachen, die nicht angeboten werden. Fon ist eine davon.
Also entschied sich Bonaventure, eine KI zu entwickeln, die Fon in Französisch übersetzt – und Französisch in Fon. Dossou studiert Mathematik im russischen Kasan. Im Juni wird er seinen Bachelor abschließen – als einer der Besten des Jahrgangs, obwohl er nicht wirklich viel Zeit zum Lernen hatte. Zwischen Vorlesungen und Hausaufgaben schaute er Videos, wie man Daten am besten aufbereitet, manchmal bis spät in die Nacht. Als er wusste, wie es geht, stand er vor einem weiteren Problem: Wie sollte er an Daten herankommen, um seine KI zu trainieren?
Laut einer Studie sind 41 Prozent der Sprachen vom Aussterben bedroht
Nicht nur in Benin, sondern in weiten Teilen der Welt werden indigene Sprachen durch sogenannte Weltsprachen verdrängt, meistens jene der ehemaligen Kolonialmächte. Laut einer Studie von Ethnologue sind 41 Prozent der Sprachen weltweit vom Aussterben bedroht. Das bedeutet, dass sie von weniger als 1.000 Menschen aktiv gesprochen werden, und bald verschwunden sein könnten.
„Ich mache das nicht nur, um meine Mutter zu verstehen“, sagt Bonaventure. „Ich möchte den Erhalt unserer Sprache garantieren.“ Ein Wort aus Fon hat es zu Bekanntheit gebracht: Voodoo. Das eigentliche Wort ist vodun, was so viel wie Geist oder Gottheit bedeutet. Generell ist eine Wort-zu-Wort-Übersetzung aus dem Fon aber schwierig, da es kein einheitliches Regelbuch gibt und die Sprache vor allem gesprochen, nicht geschrieben wird. Dennoch gibt es Texte, die meist in einer abgewandelten Form des lateinischen Alphabets verfasst sind. Eine Computertastatur, um Fon einzutippen, gibt es nicht. An der arbeitet Bonaventure gerade parallel.
„Afrikanische Intellektuelle müssen tun, was Intellektuelle weltweit für ihre Sprachen getan haben“
Die ersten Daten bekam Bonaventure schließlich von „Masakhane“, einem Projekt, das die maschinelle Übersetzung von afrikanischen Sprachen fördert. Das Projekt stellte ihm Texte zur Verfügung, die umfangreich übersetzt sind: Bibeltexte. Kein Wunder, kamen doch mit den Forschungsreisenden der späteren Kolonialmächte, den sogenannten „Entdeckern“, auch viele christliche Missionare in die Region.
„Afrikanische Intellektuelle müssen für ihre Sprachen das tun, was Intellektuelle weltweit für ihre Sprachen getan haben.“ Dieses Zitat des kenianischen Schriftstellers Ngugi Wa Thiong’o treibe ihn an, sagt Bonaventure. Wer die eigene Erstsprache verwendet, um seine Gedanken auszudrücken, mache die afrikanischen Sprachen sichtbarer – und breche den europäischen Blick auf die Dinge allmählich auf.
Bisher läuft Bonaventures KI nur im Testlauf. Damit sie bald auch Gesprochenes übersetzen kann, will er im Master Data Science an der Uni Bremen studieren. Sein Ziel ist eine Übersetzungsplattform für Text und Ton. Nach und nach werde er seine KI auf weitere Sprachen der Sprachfamilie ausweiten. Denn wenn eine Sprache in Vergessenheit gerate, sagt Bonaventure, verschwinde mit ihr ein Teil des gesellschaftlichen Gedächtnisses. Und damit auch die Lebensratschläge seiner Mama.
Fotos: privat