Wenn du schlecht geschlafen hast, weiß sie das. Wenn du hektisch auf deinem Smartphone herumwischst, merkt sie, dass du unruhig bist. Und wenn du einem Freund am Telefon schlecht gelaunt von der Arbeit erzählst, hört sie raus: Das war nicht dein Tag. Nein, die Rede ist nicht von deiner Mama, sondern von einer App. Sie überwacht dein Stresslevel für deinen Arbeitgeber.
Die App heißt Soma Analytics, entwickelt hat sie Johann Huber, der 31-jährige Mitgründer des Start-ups. Zu dessen ersten Kunden gehört unter anderen eine Anwaltskanzlei mit mehr als 1.000 Angestellten in London. Mit Hilfe der App wissen die Chefs dort, wie es ihren Angestellten geht. Dazu werden die Sensoren des Smartphones genutzt: Über das Mikro wird die Stimmhöhe beim Telefonieren analysiert, der Bewegungssensor schlägt bei unruhigem Schlaf Alarm, und wer viel auf seinem Smartphone herumtippt, ist vermutlich nervös. Mit diesen Daten beurteilt das Unternehmen das Stresslevel seiner Arbeitnehmer und kann gegensteuern – immer mit dem Ziel, seine Mitarbeiter zu Höchstleistungen anzutreiben. Denn wer fit ist, wird seltener krank und ist produktiver. Laura Holmes von der Kanzlei Wragge, Lawrence, Graham & Co. (heute: Gowling WLG) ist eine dieser Mitarbeiterinnen, die bereitwillig ihr Seelenleben mit der Firma teilen. Dass ihr Chef all diese privaten Daten bekommt, stört sie allerdings nicht: „Wenn es ein Problem gibt, sollte der Arbeitgeber davon wissen“, sagt sie.
Das Tracking des Körpers ist für ein Drittel der Deutschen in ihrer Freizeit längst Alltag. Sie nutzen Fitnessarmbänder, die ihren Herzschlag, ihre Schrittzahl, ihren Kalorienverbrauch messen. Populär sind auch Menstruations-Apps, die den weiblichen Zyklus überwachen und über Eisprung, Krämpfe und Stimmungen Bescheid wissen. Der Soziologe Hartmut Rosa sieht die Ursache für unseren ständigen Optimierungswunsch in unserem Wirtschaftssystem. Das ziele auf Wachstum und ständige Steigerung ab. „Jeder Einzelne muss jedes Jahr etwas schneller laufen, um seinen Platz in der Gesellschaft zu erhalten.“ Exemplarisch dafür sind TV-Formate wie „The Biggest Loser“. Die Teilnehmenden treibt die Sehnsucht nach einem anderen, sprich: fitten und attraktiven Körper. Wer fit ist, gilt als leistungsfähig, ehrgeizig, willensstark und diszipliniert. Die technische Unterstützung auf dem Weg zu gesellschaftlicher Anerkennung erkaufen sich die Nutzer mit ihren Körperdaten. Dabei könnten sie weder „nachvollziehen, welche Daten an wen übermittelt werden“, noch könnten sie dies beeinflussen, sagt der Hamburger Datenschützer Johannes Caspar. Je günstiger die App, desto wahrscheinlicher, dass sensible Informationen zum Beispiel an Werbefirmen fließen.
Ändern könnte das die neue EU-Datenschutz-Grundverordnung, die im Mai in Kraft tritt und für alle Unternehmen gilt, die in den Mitgliedsländern Produkte anbieten. Sie schreibt unter anderem vor, dass Apps in Zukunft von Anfang an so datenschutzfreundlich eingestellt sein müssen wie möglich. Wer seine gesammelten Informationen wieder löschen will, hat ein „Recht auf Vergessenwerden“. Und am wichtigsten: Apps dürfen nur noch genau die Daten sammeln, die sie wirklich benötigen, um einwandfrei zu funktionieren. Sensible Informationen landen damit weiter in den Apps, wenn wir sie freiwillig damit füttern. Aber: Wer seine Laufrunde tracken will, kann nicht dazu gezwungen werden, auch sein Adressbuch preiszugeben, wer seinen Schlaf überwachen will, darf seinen Standort für sich behalten.
Dass solche Regelungen nötig sind, zeigen die Datenschutzpannen, die es bei Fitness-Apps in der Vergangenheit immer wieder gab: So wurde im Mai 2016 bekannt, dass die Fitness-App Runkeeper im Geheimen Ortungsdaten gesammelt und mit Drittfirmen geteilt hat, und das selbst bei Nutzern, die die Anwendung abstellten. Ein Blick in den App Store zeigt: Bis jetzt erfüllen über die Hälfte der Android-Apps die neuen EU-Vorgaben nicht. Das könnte für die betroffenen Unternehmen teuer werden: Die Datenschutz-Grundverordnung sieht Strafzahlungen bis zu 20 Millionen Euro oder vier Prozent des weltweiten Jahresumsatzes vor.
Wie gesund wir sind, interessiert aber nicht nur unseren Arbeitgeber und die Werbeindustrie, sondern auch unsere Krankenversicherung. Je mehr Daten sie über uns hat, umso besser kann sie unseren Körper überwachen, Frühwarnsignale erkennen und Krankheiten vermeiden. So ganz uneigennützig ist das natürlich nicht, denn auf diese Weise könnten die Kassen eine Menge Geld sparen. Weniger Kranke, weniger Ausgaben für die Heilung.
Ihre Apps bieten dem Nutzer verschiedenste Services, sie sollen etwa die Kommunikation zwischen Patient und Kasse erleichtern, zu mehr Bewegung motivieren oder den Krankheitsverlauf dokumentieren, wie die App Tinnitracks für Tinnitus-Patienten (Tinnitus ist ein Dauerton im Ohr), die beispielsweise mit der Techniker Krankenkasse kooperiert. Klingt für den Verbraucher erst mal ziemlich positiv. Was aber, wenn die Fitten irgendwann weniger für ihre Versicherung zahlen müssen als die weniger Fitten?
Momentan dürfen die gesetzlichen Krankenkassen die über Apps gesammelten Daten nur für Studien nutzen oder Boni an die Nutzer vergeben, indem sie etwa einen Teil des Fitness-Trackers bezahlen. Die Höhe der Beiträge darf jedoch nicht davon abhängen – ein Sportler muss der gesetzlichen Krankenkasse genau so viel zahlen wie ein Nichtsportler. Anders handhaben das die privaten Krankenversicherungen – hier darf der Tarif an die übermittelten Gesundheitsdaten der Versicherten angepasst werden. Mehr noch: Die Versicherungen dürfen sogar individuell auf die Person zugeschnittene Tarife entwickeln. Der zweitgrößte Privatversicherer in Deutschland, Generali, startete vor zwei Jahren das Programm „Generali Vitality“, mit dem Versicherte durch gesundes Verhalten Punkte sammeln und sich somit einen finanziellen Vorteil erarbeiten können. Noch gilt das nur für die Berufsunfähigkeits- oder Risikolebensversicherung, die in Verbindung mit dem Programm abgeschlossen werden, und nicht für die Tarife der privaten Krankenversicherung bei Generali – aber es ist in Planung.