Wie zwei verirrte Astronauten stehen Axel Ziegler und Andrea Erhard auf der Lichtung im Münchner Olympiapark. Nun ja, halbe Astronauten: Kopf und Oberkörper stecken in raumfahrerartigen Schutzanzügen, darunter schauen Jeans und Turnschuhe hervor. Die beiden sind Imker, ihre Mission ist nicht der Weltraum, sondern die drei verwitterten roten und gelben Holzkisten, die auf der Wiese stehen. Über eine beugt sich Ziegler jetzt, klopft an die Außenwand. Ein leises Bssssss hebt an, ebbt wieder ab. „Wenn das Volk keine Königin hätte, würde das andauern“, erklärt er. „Also scheint alles gut.“ Ohne Königin überlebt kein Bienenvolk lange, die Todesangst merkt man den Tieren schon am Summen an. Ziegler und Erhard wissen genau, wie das klingt. Im letzten Winter haben sie drei ihrer vier Völker verloren, von den drei neuen Schwärmen des Frühjahrs ist schon wieder einer eingegangen.
„Bienensterben“, dieses Wort geistert seit Jahren durch Zeitungsartikel und Berichte von Umweltaktivisten. Bilder, die Massen toter Honigbienen zeigen, gingen um die Welt. Etwa im Frühjahr 2008, als am Oberrhein 11.500 Völker in wenigen Wochen geschädigt wurden. Der Grund: Clothianidin, ein Insektizid des Bayer-Konzerns, das eigentlich das Saatgut von Maispflanzen vor Schädlingen schützen soll. Weil das Mittel nicht richtig an den Samen haftete, wurde giftiger Staub vom Wind weit verteilt und griff auch das Nervensystem von Bienen an. Inzwischen ist die Anwendung des sogenannten Neonikotinoids im Freiland verboten. Doch die Probleme der Bienen sind damit noch lange nicht vorbei.
Die Biene ist in Deutschland das drittwichtigste Nutztier
Axel Ziegler, 52, und Andrea Erhard, 37, sind keine Berufsimker. Er ist Informatiker, sie arbeitet in einer Rechtsanwaltskanzlei. Die beiden sind Teil von „O’pflanzt is!“, einem Verein, der sich dem gemeinsamen Gärtnern in der Stadt verschrieben hat. Schnell nach der Gründung 2011 war den Mitgliedern klar: Wo ein Garten ist, müssen auch Bienen sein. Schließlich bestäubt die Honigbiene laut Umweltbundesamt 80 Prozent aller Pflanzen, die auf Fremdbestäubung angewiesen sind. Das macht sie in Deutschland zum drittwichtigsten Nutztier nach Rind und Schwein. Ohne Bienen keine Erträge, also keine Nahrung für Mensch und Tier.
Der Garten von „O’pflanzt is!“ liegt am Fuß des Olympiabergs im Münchner Norden. Zwischen einer Montessorischule und einem Sportplatz trotzen Hochbeete mit Tomaten- und Mangoldpflanzen der Julihitze. Ein paar Meter weiter in einem kleinen Waldstück haben die Bienen ihr Zuhause. Das hier ist ein Neuanfang. 2018 mussten die Gärtner ihr altes Gelände für ein Bauvorhaben räumen, erst seit diesem Frühjahr sind sie hier. Bis zu seinem Umzug bot „O’pflanzt is!“ Führungen an, es gab Bienenpatenschaften und einen Blog. Gemeinnützige Projekte haben es auf dem umkämpften Münchner Immobilienmarkt mindestens so schwer wie die Biene weltweit.
Als die Vereinsmitglieder vor fünf Jahren mit der Bienenhaltung begannen, fragten sie einen erfahrenen Imker um Rat. Wie unterscheidet man Königin, Arbeiterbienen und Drohnen? Wie ordnet man die Rahmen an, in die die Tiere ihre Waben bauen? Mit Schaudern erinnert sich Erhard daran, wie ein Volk, um das sie sich gekümmert hatte, verendete. Dass es kleiner geworden war, hatte sie schon gemerkt. Dann, von einem Tag auf den anderen, war alles vorbei. Fremde Bienen hatten die Schwäche ihrer Artgenossinnen ausgenutzt. Erhard hat eigentlich eine nüchterne Art, aber wenn sie von diesem Tag spricht, klingt es, als würde sie eine „Game of Thrones“-Folge nacherzählen. „In 24 Stunden wurden 24 Kilo Honig geraubt. Ein paar tote Bienen lagen noch draußen, die anderen waren geflohen. Und die komplette Kiste war leer.“
Das Glück der Stadtbiene
Was Erhards Volk so minimiert hatte, war die Varroamilbe, ein Parasit, der vor rund 50 Jahren aus Asien nach Europa eingewandert ist. Er schwächt die erwachsenen Bienen und sorgt bei der Brut für Entwicklungsstörungen. Die Milbe ist der größte Feind der Honigbiene und der Hauptgrund dafür, dass etwa 15 Prozent der Völker in Deutschland den Winter nicht überstehen. Um den Befall einzudämmen, müssen Imker ihre Bienenstöcke jedes Jahr mühsam mit Säure behandeln.
Im Vergleich zu den Bedingungen, die Bienen auf dem Land vorfinden, geht es den Tieren von „O’pflanzt is!“ prächtig. „Wir in der Stadt sind privilegiert“, sagt Erhard, doch es klingt nicht so, als würde sie sich besonders darüber freuen. Ein Problem der Landbienen sind Pestizide, die von den Äckern der Bauern ins Ökosystem eindringen. Hinzu kommt, dass das, was die Tiere auf den Feldern vorfinden, immer eintöniger wird. Deutsche Landwirte haben in den vergangenen Jahrzehnten den Anbau von zwei Pflanzen stark ausgeweitet: Mais, mit dem die Bienen wenig anfangen können, und Raps, der zwar viel Futter bietet, aber das nur kurz. Ist die Rapsblüte vorbei, bricht das Nahrungsangebot ein. Gleichzeitig verschwinden Brachflächen, und die Bauern mähen ihre Wiesen, häufig noch bevor Bienen dort Pollen und Nektar finden können. So kommt es vor, dass mitten im Sommer ganze Völker hungern.
Doch es scheint, als tue sich etwas. Im Februar 2019 standen Menschen in Bayern trotz Kälte vor den Rathäusern Schlange. Sie wollten das Volksbegehren „Artenvielfalt – Rettet die Bienen“ unterstützen. Die Initiatoren verlangten unter anderem mehr ökologische Landwirtschaft und den Ausbau von Biotopen und Blühwiesen. Am Ende hatten 1,75 Millionen Wahlberechtigte unterschrieben, es wurde das erfolgreichste Volksbegehren in der Geschichte Bayerns. Im Juli beschloss der bayerische Landtag ein Gesetz, das die Forderungen ohne Änderung übernahm.
Hobbyimker Ziegler hat sich über die Bienenbegeisterung gefreut, die da aufbrandete. Etwas stört ihn allerdings. „Es ist immer die Rede von den Honigbienen, aber das eigentliche Drama sind die ganzen anderen Insekten.“ In seinem Rucksack hat er stets ein Schaubild mit Wildbienen dabei, falls er mit Leuten ins Gespräch kommt. „Das sind Bienen?“, fragen sie ihn, wenn er es rausholt. „Das sind die Bienen, die wir retten müssen“, antwortet er dann, „um meine Honigbienen kümmere ich mich schon.“
„Die Drohnenschlacht steht kurz bevor“
So wie Ziegler gehen auch viele Experten davon aus, dass die Honigbiene trotz aller Widrigkeiten überleben wird. Die Wildbiene dagegen hat kaum eine Lobby. Dabei ist sie für die Bestäubung mindestens genauso wichtig und viel stärker bedroht. Von den mehr als 560 Wildbienenarten in Deutschland ist die Hälfte in Gefahr.
Mit einem Ächzen hebt Ziegler einen der Holzrahmen aus dem Bienenkasten. Ein schwarz-gelbes wimmeliges Knäuel kommt zum Vorschein: Bienen, die über Bienen klettern, die über Bienen klettern. Ziegler kratzt eine der darunterliegenden Waben auf, eine zähe goldene Masse fließt heraus. Honig, zweieinhalb Kilo allein in diesem Rahmen, schätzt er. Der wird aber nur entnommen, wenn die Tiere ihn nicht selbst für den Wintervorrat brauchen.
Noch beherbergen Ziegler und Erhard hier 150.000 Bienen, doch täglich werden es weniger. „Die Drohnenschlacht steht kurz bevor“, sagt Ziegler und schmunzelt. Das nenne man wirklich so, wenn die nach der Begattung überflüssigen männlichen Bienen aus dem Stock geschmissen würden. Ab Dezember können Ziegler und Erhard nur warten und hoffen: dass ihnen im Frühjahr, wenn sie die Kästen öffnen, gesunde Tiere entgegenfliegen. Für den Fall wollen die beiden dieses Jahr noch Krokusse pflanzen. Als kleinen Begrüßungssnack.
Titelbild: Micha L. Rieser / wiki commons