Das Verderben sah aus wie ein weißliches Puder. Es roch süßlich, „wie reife Guaven“, berichteten Zeugen. Doch das Unkrautvernichtungsmittel Agent Orange, das die US-Transportflugzeuge vom Typ C-123 da versprühten, war nur scheinbar harmlos.
Im Vietnamkrieg, der Anfang der 1960er begann und erst 1975 endete, stimmten drei US-Präsidenten hintereinander dem Einsatz von Agent Orange zu. Zehn Jahre lang verteilten US-Soldaten mehr als 45 Millionen Liter der Entlaubungs-Chemikalie über dem Land. Die Blätter der Bäume und Sträucher sollten feindlichen Kämpfern keinen Sichtschutz mehr bieten. Doch Agent Orange, benannt nach den orangefarbenen Streifen auf den Fässern, schadete nicht nur Pflanzen, sondern auch den Menschen, die mit ihm in Kontakt kamen.
Hunderttausende erkrankten, vietnamesische Soldaten, amerikanische GIs, selbst ihre Nachkommen. Dabei begann die Geschichte von Agent Orange im Labor eines Mannes, der dem Leben zuarbeiten wollte, nicht dem Tod.
Ein Stoff namens TIBA
Anfang der 1940er-Jahre war der junge US-Amerikaner Arthur Galston ein hoffnungsfroher Botaniker. Für seine Doktorarbeit an der Universität von Illinois forschte er an einem Dünger für Sojabohnen. Mit einem Stoff namens TIBA erzielte er die besten Ergebnisse. In geringen Mengen ließ er die Pflanzen schneller erblühen und rascher wachsen. Das Mittel wirkte wie ein Wachstumshormon. Bei Überdosierung aber verkehrte sich der Effekt überraschend in sein Gegenteil. Erst wuchs die Pflanze übermäßig schnell und unkontrolliert, dann welkten die Blätter und fielen als braune Krümel zu Boden. Für die Pflanzen bedeutete das den Tod. TIBA war Dünger und Unkrautvernichter in einem.
Im März 1965, rund 20 Jahre später, las Galston einen Artikel in der „New York Times“. Es war ein Bericht aus einem Land am anderen Ende der Welt. Gegen kommunistische Guerillas im Vietnamkrieg, so schrieb der Autor, würden die US-Armee und südvietnamesische Truppen Unkrautvernichter anwenden. Zur Entlaubung – und um die Ernten zu zerstören, von denen sich die kommunistischen „Vietcong“ ernährten.
Galston wusste, was das bedeutet. Auf der Grundlage seiner Studien, mit denen er den Hunger in der Welt bekämpfen wollte, hatte das US-Militär ein Entlaubungsmittel entwickelt, das es nun im Krieg einsetzte – und das Menschen hungern ließ. Galstons Erfindung war jetzt keine mehr, die der Menschheit nur Nutzen brachte. Sie war ein chemischer Kampfstoff in der Tradition von Chlorgas, Senfgas, Sarin.
Aus dem Botaniker Galston wurde an jenem Tag der engagierte Biologe, der sein Leben dem Kampf gegen Agent Orange widmen würde. Im September 1966 sandte Galston mit elf anderen Botanikern, darunter den erfahrensten Experten auf ihrem Gebiet, einen ersten Brief an den US-Präsidenten Lyndon B. Johnson. Sie erklärten, warum der Einsatz von Agent Orange ein Angriff auf die Schwächsten der Gesellschaft sei: Frauen und Kinder würden als Erste verhungern. Sie baten Johnson, den Einsatz zu überdenken. Die Antwort kam zwei Wochen später von einem Referatsleiter des Außenministers. Sie lautete sinngemäß: Ihr wart nicht in Vietnam, also habt ihr keine Ahnung.
Auch Großbritannien hatte Agent Orange schon als Kriegswaffe eingesetzt
Rund zehn Jahre zuvor hatte erstmals Großbritannien Entlaubungsmittel als Kriegswaffe eingesetzt. Über dem heutigen Malaysia versprühten Soldaten des Commonwealth tonnenweise Agent Orange.
Die Juristen des Landes kamen auf eine spitzfindige Begründung, um den Einsatz vor aller Welt zu legitimieren: Um nicht gegen die Genfer Protokolle zu verstoßen, wurde der Einsatz der Chemikalie als Mittel zur Zerstörung von Lebensmittelpflanzen gerechtfertigt.
Auch die US-Armee folgte in Vietnam dieser Logik. Im „Field Manual 27-10“ hieß es, die Soldaten dürften „mit chemischen oder biologischen Mitteln, die für Menschen harmlos sind, Feldfrüchte zerstören, die allein der Ernährung feindlicher Truppen dienen“. Militärisch gesehen ergab das Sinn. Wissenschaftlich gesehen war es Unfug – und ein gefährlicher noch dazu. Wer massenhaft Pflanzen tötet, tötet indirekt auch Menschen. Zudem wandten die US-Soldaten Agent Orange in dutzendfach höherer Konzentration an, als es im zivilen Bereich erlaubt gewesen wäre.
Auch Arthur Galston war Biologe genug, um zu wissen, welch verheerende Folgen eine massenhafte Entlaubung für das gesamte Ökosystem hat. Im Februar 1967 sandte er erneut eine Petition an Johnson. Diesmal unterschrieben mehr als 5.000 US-Wissenschaftler, darunter 17 Nobelpreisträger. Wieder wiegelte die US-Regierung ab. Erst zwei Jahre später verkündete die Regierung – nun unter Präsident Richard Nixon – ein Ende des Agent-Orange-Einsatzes. Galston und die wissenschaftliche Gemeinschaft hatten das Verteidigungsministerium darauf hingewiesen, dass Agent Orange auch Menschen schaden könnte – und damit auch den eigenen Soldaten.
Eine der giftigsten Chemikalien, die die Menschheit je hergestellt hat
Nicht das Agent Orange selbst war so gefährlich. Als Nebenprodukt einer massenhaften Herstellung enthielt die Chemikalie auch Dioxin. Die chlorhaltige Verbindung ist, wie Galston zeigte, eine der giftigsten Chemikalien, die die Menschheit je hergestellt hat. Neun Milligramm töten einen Labrador, oder anders ausgedrückt: Zwei Teelöffel voll Dioxin bringen etwa eine Million Hunde um. Wie tödlich Dioxin für Menschen ist, weiß man nicht genau. Es ist allerdings schwieriger aufzuzählen, für welche Schäden Dioxin noch nicht verantwortlich gemacht wurde, als das Gegenteil.
Chemikalien wie Dioxin könnten möglicherweise das Erbgut verändern, indem sie womöglich den Mechanismus angreifen, mit dem die Aktivität von Genen gesteuert wird. Werden etwa tumorhemmende Gene gestört, kann Krebs entstehen. Auch Fehlbildungen sind möglich.
Genschäden
Nicht nur Kriege, auch Medikamente und schwere Unglücke können bei Menschen Genschäden hervorrufen. In den 1950ern nahmen Zehntausende Menschen, auch Schwangere, gegen ihre Schlaflosigkeit Thalidomid. Der Arzneistoff ist besser bekannt unter dem Markennamen Contergan. Bis zu 10.000 Kinder wurden daraufhin mit verkürzten oder fehlenden Gliedmaßen geboren. Bei einer Chemiekatastrophe im indischen Bhopal wurden 1984 Dutzende Tonnen giftige Gase freigesetzt. Sie töteten Tausende Menschen. Die Kinder der Überlebenden leiden an Allergien. Nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl 1986 zeigten Forscher in einer Studie, dass die Zahl der krebsbegünstigenden Mutationen bei Kindern auf das Doppelte anstieg. Vögel, die um Tschernobyl leben, weisen sogar zwei- bis zehnmal so viele Genveränderungen auf.
Ob und wie genau das Dioxin in Agent Orange die Nachkommen schädigt, ist umstritten und wird bis heute erforscht. Eine Metastudie der Universität Texas kam 2006 zu dem Schluss: Vor allem Fehlbildungen wie offene Rücken können auftreten, wenn die Eltern mit Agent Orange in Kontakt kamen. Mehr Forschung wäre nötig, aber dafür fehlt in Vietnam oft das Geld.
Erwiesen ist, dass Menschen in Südvietnam – dort, wo Agent Orange hauptsächlich eingesetzt wurde – im Durchschnitt mehr Spuren des Giftes in ihrem Blut tragen als Vietnamesen aus dem Norden. Belegt ist auch, dass in den Jahren nach dem Agent-Orange-Einsatz Frauen in Vietnam Kinder ohne Augen gebaren, Kinder mit nur einem Bein, Kinder mit Gesichtern wie Steinmenschen. In den USA bekamen die Soldaten Lungenkrebs.
Mehr als 300.000 Vietnamesen gelten heute offiziell als Opfer von Agent Orange. Das Vietnamesische Rote Kreuz beruft sich auf Studien, wonach sogar bis zu drei Millionen Menschen von den Folgen betroffen sind. Selbst mehr als 40 Jahre nach Ende des Vietnamkrieges gelten Böden im südlichen Teil des Landes als dioxinbelastet und damit giftig.
Entschädigungen erhielten nur die US-Soldaten: Chemiekonzerne wie Dow Chemical zahlten 52.000 Veteranen Entschädigungen von insgesamt 197 Millionen Dollar.
Bis heute sind Unkrautvernichtungsmittel im Krieg nicht endgültig verboten
Fünf Jahre vor seinem Tod zog Arthur Galston nach einem langen Forscherleben gegenüber der „New York Times“ Bilanz. „Niemand kann einem garantieren, dass das, was man in der Wissenschaft tut, der Menschheit auch hilft. Jede Entdeckung ist moralisch neutral“, sagte er im Jahr 2003. „Sie kann benutzt werden, um Dinge aufzubauen – oder um sie zu zerstören. Aber das ist nicht der Fehler der Wissenschaft.“
Bis heute sind Unkrautvernichtungsmittel im Krieg nicht endgültig verboten.
Titelbild: Photri/Polaris/laif