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Ackern am rechten Rand

Germanische Namen, Runen an der Haustür, ab und zu ein Nazilied. Auf dem Dorf fühlen sich sogenannte völkische Siedler wohl

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Der Offenbarungseid erschien als ganzseitige Trauerbekundung in der Lokalzeitung: „Wir werden ihm das Denkmal setzen, das seine Feinde ihm verwehren wollen.“ Die Anzeige erschien 1987 anlässlich des Selbstmordes von Rudolf Heß, Hitlers Stellvertreter. „Die Familien, die diese Todesanzeige geschaltet hatten, waren uns bis dahin nicht als Rechte bekannt“, erinnert sich Olaf Meyer. Für Meyer war die Anzeige der Auftakt für langatmige Recherchen. Meyer ist Ende 40, er arbeitet in einer Obdachloseneinrichtung in Lüneburg. In seiner Freizeit schaut der selbst erklärte Antifaschist auf die Rechten in der Lüneburger Heide. Als Sprecher des Bündnisses Antifaschistische Aktion Lüneburg/Uelzen dokumentiert Meyer rechte Sonnenwendfeiern und andere heidnische Kulttreffen, die auf abgelegenen Höfen in geheimer Runde abgehalten werden. Er beobachtet eine Szene, die auf Verschwiegenheit bedacht ist. Meyer will dafür sorgen, dass ihre Akteure und ihr Weltbild öffentlich werden. Er sagt: „Die Lüneburger Heide ist die Schaltzentrale der völkischen Rechten.“

Immer mehr Rechtsextreme zieht es aufs Land. Raus aus dem Multikulti der Städte, zurück zur deutschen Scholle. Dort gründen sie Großfamilien, ihren Kindern geben sie germanische Namen wie Gudrun oder Siegfried. Gekleidet in Trachtengewänder oder Lodenanzüge üben sie sich in Selbstversorgung durch Ökolandbau, dazu pflegen sie ein patriarchales Familienbild: Die Väter als Familienoberhäupter arbeiten in Handwerksberufen, etwa als Dachdecker oder Schmied, die Mütter mit streng geflochtenen Zöpfen und langen Kleidern hüten die Kinder, manche arbeiten als Erzieherinnen oder Hebammen. Bezeichnet werden sie als völkische Siedler.

Der harmlos wirkende Lebensstil der völkischen Siedler müsse als gelebte Ideologie gedeutet werden, betont Marius Hellwig: Die Naturverbundenheit sei Ausdruck einer Blut- und Boden-Ideologie, der Kinderreichtum diene dem „Erhalt der weißen Rasse“ und der „Reinhaltung des Blutes“. Hellwig arbeitet für die Amadeu Antonio Stiftung, die eine Studie zur völkischen Szene veröffentlicht hat. Für Hellwig steht fest: „Völkischer Rechtsextremismus ist heute deutschlandweit verbreitet.“ Bundesweit hat die Stiftung 27 Orte ausgemacht, an denen völkische Rechte ansässig sind. Keine organisierte Massenbewegung, aber in der Tendenz steigend. Und: zunehmend vernetzt. „Zum Spektrum gehören Vereine, Verlage, Jugendbünde, Burschenschaften, Glaubensgemeinschaften beziehungsweise Sekten und völkische Sippen, die über Jahrzehnte ihr rechtsextremes Gedankengut von Generation zu Generation weitergeben.“

Das Bundesinnenministerium sieht ebenfalls die Gefahr, dass völkische Siedler ihre rassistische Ideologie verbreiten könnten, betont aber zugleich, dass nicht alle Siedler rechtsextremistisch seien. Wo wie viele Siedler leben und wie aktiv sie sind, werde nicht erhoben, da die Bewegung nicht vom Verfassungsschutz beobachtet wird.

Neben der meist strengen Erziehung zu Hause schicken viele völkische Familien ihren Nachwuchs in Zeltlager, in denen sie ideologisch geschult und militärisch gedrillt werden. In der Vergangenheit wurden solche Zeltlager von neonazistischen Jugendverbänden wie der verbotenen Wiking-Jugend oder ihrer ebenfalls verbotenen Nachfolgeorganisation, der Heimattreuen Deutschen Jugend, veranstaltet.

„Das sind größtenteils neonazistisch geprägte Rechtsextreme, die sich gezielt in strukturschwachen Regionen niederlassen, um möglichst ungestört ihr menschen- und demokratiefeindliches Weltbild leben und ihre Kinder in diesem Geiste erziehen zu können“, sagt Marius Hellwig. Die Bezeichnung Siedler sei jedoch nur in manchen Gegenden zutreffend, oft handele es sich vielmehr um alteingesessene Sippen. Und doch: Siedlertum, der Rückzug aufs Land, erfreue sich in weiten Kreisen der rechten Szene immer größerer Beliebtheit, erzählt Hellwig. Dass sich viele völkische Rechte in Mecklenburg-Vorpommern niederlassen, ist kein Zufall. Eine Keimzelle der Bewegung ist das mecklenburgische Dorf Koppelow, wo einst die sogenannten Artamanen siedelten. Der Bund Artam, gegründet 1926, war eine Bewegung mit völkischer, antisemitischer, bäuerlich-romantisierter Ausrichtung, die 1934 in die Hitlerjugend eingegliedert wurde. Die Ideologie der Artamanen ging im Nationalsozialismus auf, SS-Chef Heinrich Himmler und der Auschwitz-Kommandant Rudolf Höß zählten zu ihren Anhängern.

In Hohnstorf im Landkreis Uelzen wohnt Familie M. Das inzwischen verstorbene Familienoberhaupt war Erstunterzeichner der Todesanzeige für Rudolf Heß. Die Familie wohnt in einem rot verklinkerten Bauernhaus mit geschnitzten Pferdeköpfen im Giebel. Im Garten blühen Kirschbäume, dazwischen „der schönste Gemüsegarten im Dorf“, schwärmt Olaf Meyer. Landidylle. Doch Olaf Meyer kennt die Gesinnung der Familie. Im Vorgarten ruht ein Findling, darauf ein Wolfsangel-Zeichen, eine – vermeintlich germanische – Rune, die von den Nationalsozialisten als Abzeichen verwendet wurde. Es ist bis heute bei Neonazis beliebt und im Zusammenhang mit rechtsextremer Propaganda in Deutschland verboten. Zu Silvester schallte das Horst-Wessel-Lied vom Grundstück der Familie. Ein Nachbar erstattete Anzeige, denn das Kampflied der SA, verfasst vom Nationalsozialisten Horst Wessel, ist verboten. Außerdem würde auf dem Grundstück zu nazistischen Gedenktagen wie Hitlers Geburtstag oder dem Tag der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten die preußische Flagge gehisst.

Über die Jahre hat Olaf Meyer eine Reihe solch vielsagender Anekdoten archiviert. Da war etwa der Brand in einem alten reetgedeckten Haus, das seit Jahren von einer völkischen Familie bewohnt wird. Die Feuerwehr rettete eine ganze Sammlung von Nazi-Kultobjekten vor den Flammen. Beim Wiederaufbau des Hauses halfen Mitglieder der völkischen Szene aus der ganzen Region fleißig mit. „Darum geht es“, schlussfolgert Olaf Meyer: „Die wollen eigene Strukturen aufbauen, autonom werden.“

Auf dem Land fällt die Szene durchaus auf – aber nicht sofort negativ. Eine völkische Familie sei sehr aktiv im Leicht- athletikverein, andere engagierten sich bei der freiwilligen Feuerwehr. „Da fallen schon mal Äußerungen, bei denen man schlucken muss“, erzählt Meyer. „Aber du kannst hier auf dem Dorf nicht jeden rausschmeißen, sonst stehst du ganz schnell allein da.“ Viele würden das rechte Weltbild daher lieber ignorieren, um den Dorffrieden zu wahren. Für manche seien die völkischen Familien nur fleißige Mitbürger. Andere hätten Angst vor ihnen.

Bislang zeigten die rechten Siedler „keinerlei Interesse, öffentlich für ihr Anliegen zu werben“, berichtet Meyer. Die Veranstaltungen der Szene zur Feier ihres Kultes wurden im Geheimen organisiert. Eins der größten Netzwerktreffen der völkischen Rechten dokumentierte Meyer 2016 in einer Scheune in Edendorf. Hier kamen völkische Sippen aus ganz Norddeutschland zum Maitanz zusammen. Mit dabei: Mitglieder der rechtsextremen Identitären Bewegung und der NPD-Landeschef von Mecklenburg-Vorpommern.

Der Maitanz verdeutlicht, wie die sonst so zurückgezogen lebenden völkischen Siedler neuerdings die Nähe zu anderen rechten Milieus suchen, stellt Meyer fest. Bei einer AfD-Kundgebung in Hamburg tauchten 2015 erstmals ganze völkische Sippen in ihrer auffällig altertümlichen Kleidung auf. Bei einer Demo der rechtsradikalen Identitären tanzten sie in Trachten auf den Hamburger Landungsbrücken.

Olaf Meyer bereiten die neuen Verbindungen der völkischen Rechten Sorge: „Die warten seit Generationen auf die Rückkehr zum Tausendjährigen Reich.“ In der aktuellen Stimmung verspürten die völkischen Rechten Rückenwind, glaubt Meyer: „In der Szene denken offenbar viele: Die Zeit ist reif.“ Welches Selbstbild die Szene pflegt, schien bereits in der Todesanzeige zu Ehren Rudolf Heß’ durch: „Wir sind vielleicht die Letzten von gestern, aber wir sind auch die Ersten von morgen.“

Anmerkung der Redaktion: Dieser Beitrag wurde am 03.12.2018 auf Hinweis eines Lesers nachträglich korrigiert. Familie M. lebt in Hohnstorf im Landkreis Uelzen, nicht im benachbarten Landkreis Lüneburg, wo es ebenfalls einen Ort namens Hohnstorf (Elbe) gibt.

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