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Immer wieder das Einmaleins

Noch nie ist die Rate der Tötungsdelikte in den USA so stark gestiegen, nie gab es so viele Pistolen und Gewehre. Und Texas erleichtert den Zugang zu Waffen weiter

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Waffen

Ein 18-Jähriger eröffnet in seiner Schule in Arlington das Feuer und verletzt mehrere Menschen. Ein 26-Jähriger wird in Houston erschossen aufgefunden. Die Mutter sagt der Polizei, dass sie einen Schuss gehört, in die Küche geeilt und ihren Sohn auf dem Boden vorgefunden habe. Ein zweijähriges Kind erschießt sich in Waco. Es hatte die Waffe im Rucksack eines 21-jährigen Familienmitglieds gefunden.

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Diese Meldungen stammen aus dem US-Bundesstaat Texas und alle aus dem Herbst des Jahres 2021. Laut einer gerade veröffentlichten Statistik des FBI gab es 2020 mehr als 21.000 Tötungsdelikte in den USA, wobei drei Viertel der Opfer durch Schüsse ums Leben kamen. Es ist ein Anstieg um knapp 30 Prozent gegenüber dem Vorjahr – der stärkste je gemessene jährliche Anstieg . Ausgerechnet jetzt erlaubt Texas das Tragen von Waffen ohne Genehmigung. Bisher waren ein Schießtraining, eine Prüfung sowie die Abgabe von Fingerabdrücken verpflichtend. Seit dem 1. September aber darf jede Texanerin und jeder Texaner über 21 eine Waffe führen.

Es gab in den vergangenen Jahrzehnten Momente, in denen strengere Waffengesetze in der Diskussion waren. Nach dem Massaker von Parkland im Jahr 2018, als ein ehemaliger Schüler der dortigen High School 17 Menschen tötete, gingen Menschen im ganzen Land für eine kontrolliertere Abgabe von Waffen auf die Straße. Hunderttausende kamen alleine in der Hauptstadt Washington D.C. zusammen. Einzelne Aktivistinnen dieses March for Our Lives, wie Emma González, erlangten landesweite Bekanntheit. Das Rückgrat dieser Graswurzelbewegung sind Menschen, die in landesweiten Ortsgruppen für mehr Waffenkontrolle kämpfen. Menschen wie der 17-jährige George Tataris aus Houston.

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In George Tataris Klasse setzten sich einmal sechs Schülerinnen und Schüler für restriktivere Waffengesetze ein – heute ist der 17-Jährige der einzige

An einem sonnigen Herbsttag trägt George ein blaues March-for-Our-Lives-Shirt. Er geht selbst noch in die High School, später will er Medizin studieren. In einem Café westlich der Metropole Houston erklärt er: „Es ist zwar noch zu früh zu sagen, wie genau sich das neue Gesetz in Texas auswirken wird. Aber es sendet schon jetzt ein fatales Signal an das ganze Land.“ Fatal wirke das Gesetz dabei nicht nur auf Waffenliebhaber, die sich ermuntert fühlen würden, sondern auch auf Aktivistinnen und Aktivisten, die entmutigt werden. „Es gab nach Parkland einen echten Motivationsschub. Wir waren mal sechs Aktive in meiner Klasse, irgendwann blieb nur noch ich.“

In den USA kursieren ca. 400 Millionen Schusswaffen – bei 330 Millionen Einwohnern

Bei den großen Einzelhändlern wie Walmart liegen ein paar Gänge von Chips und Sandwiches entfernt Gewehre und Munition in den Regalen. Und auch in spezialisierten Geschäften und bei den unzähligen Waffenshows im ganzen Land werden Waffen niederschwellig feilgeboten. Die Waffenlobby in den USA ist mächtig, und ein Teil der Bevölkerung versteht es als ihr Recht auf Selbstverteidigung, Zugang zu Schusswaffen zu haben. Aktuell kursieren Schätzungen zufolge bereits etwa 400 Millionen Schusswaffen – bei etwa 330 Millionen Einwohnern. Nach Recherchen des Gun Violence Archive starben bis Mitte Oktober 2021 etwa 35.000 Menschen in den USA durch Schusswaffengewalt, Selbstmorde mit eingerechnet.

Warum ist die Anzahl der Tötungsdelikte so stark gestiegen? Georg vermutet die gleichen Ursachen wie Experten. Der Kriminologe Richard Rosenfeld von der University of Missouri–St. Louis nannte CNN zwei Gründe: zum einen die Corona-Pandemie, die ganze Bevölkerungsschichten verarmen ließ, zum anderen die vielen sozialen Brandherde nach dem Mord an George Floyd im Mai 2020. Seinen Aktivismus für mehr Waffenkontrolle begreift George deshalb vor allem auch als Kampf für mehr soziale Gerechtigkeit. So würden er und seine Mitstreiter und Mitstreiterinnen in sozialen Brennpunkten über Jobangebote informieren. Außerdem haben sie ein Infoheft herausgegeben: Es zeigt in bunter, leicht zugänglicher Optik die tödlichen Effekte laxer Waffengesetze. Der Titel: „Das ABC der Prävention gegen Waffengewalt.“

Wenn selbst Schulmassaker und Hunderttausende auf den Straßen der Hauptstadt nichts bewirken, ist dann nicht alles vergeblich? George zögert kurz, bevor er antwortet. Dann sagt er: „Irgendwo müssen wir ja anfangen.“ Und es gäbe durchaus Erfolge von March-for-Our-Lives: Der Kampf für einen restriktiveren Zugang zu einzelnen Komponenten, die online gekauft werden und aus denen Waffenliebhaber dann zu Hause ganze Pistolen und Gewehre bauen, sei erfolgreich gewesen. Viel mehr hätte US-Präsident Joe Biden trotz großer Versprechen bisher leider nicht umgesetzt – noch nicht.

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