„Wenn du in zehn Jahren in der Stadt aus dem Fenster schaust, dann wirst du eine Menge Drohnen sehen“, sagt Bart Theys. „Zumindest wenn du an einem Drohnen-Highway wohnst.“ Ein Drohnen-Highway in deutschen Städten? Das klingt nach Science-Fiction. Doch Bart Theys ist kein Technikträumer, sondern ein versierter Luftfahrttechniker: Einer, der die künftigen Entwicklungen auf dem Gebiet gut einschätzen kann.
Der 27-Jährige hat zusammen mit Kollegen an der Katholischen Universität Leuven in Belgien die Lieferdrohnen „Vertikul“ und „Vertikul 2“ entwickelt. Diese können starten und landen wie gewöhnliche Multikopter, sind in der Luft aber dank starrer Flügel ziemlich flott unterwegs: Im Segelflug erreichen die Hybride aus Helikopter und Flugzeug eine Geschwindigkeit von bis zu 70km/h. Weil sie weniger Energie als gewöhnliche Drohnen brauchen, können sie außerdem längere Strecken zurücklegen – die idealen Vorraussetzungen also, um zum Beispiel Pakete auszuliefern. Theys ist optimistisch: Die Postdrohne wird schon sehr bald Realität.
Wo bleibt sie denn, die Calzone per Drohne?
Begonnen haben Theys und seine Kollegen im Jahr 2012, als der Hype um Lieferdrohnen losging. Zwei Ingenieure der Bewertungsplattform Yelp veröffentlichten damals ein Video des „Burrito-Bombers“. Darin wird ein Burrito an eine Drohne montiert und per Minifallschirm über freiem Feld abgeworfen, wo ein hungriger Kunde sehnsüchtig auf seine Mahlzeit wartet. Bald stiegen die Erwartungen in luftige Höhen – Pizza, Tacos, Champagner, alles sollte bald per Quad- oder Octocopter geliefert werden. Und auch große Paketzusteller und Versandhändler verbreiteten bald Videos von ihren Lieferdrohnen. Das ist jetzt über drei Jahre her. Die Pizzadrohnen sind noch immer nicht in Sicht.
Evan Ackerman weiß warum: Der 33-jährige Astrogeologe schreibt seit fast zehn Jahren für das Magazin des US-Ingenieursverbands über Automation und Drohnen. Videos wie das über den Burrito-Burger oder auch die jüngsten Promo-Videos von Amazon und Google ärgern ihn, weil sie seiner Meinung nach unangemessene Erwartungen wecken. Im Unterschied zu Bart Theys glaubt er nämlich nicht, dass uns die Zukunft der Lieferdrohnen so unmittelbar bevorsteht: „Einen Burrito an einer Drohne zu befestigen und ihn irgendwo abwerfen? Natürlich – es gibt keinen Grund warum das technisch nicht klappen sollte.“ Aber es gebe eine ganze Reihe von Gründen, warum dieser Service bisher nicht marktfähig ist. Und über die spreche niemand.
„Die Welt ist ein komplizierter Ort, der für Roboter sehr schwer zu verstehen ist.“
Damit ein Drohnenliefersystem wirtschaftlich sinnvoll ist, müssten Drohnen zumindest teilweise autonom fliegen können. Aber bis sie das beherrschen, werde es laut Ackerman noch eine Weile dauern: „Die Welt ist ein komplizierter Ort, der für Roboter sehr schwer zu verstehen ist“, sagt er. Besonders Start und Landung stellten die Drohnen vor große Schwierigkeiten. So einfach wie in dem Werbevideo von Amazons geplantem Service „Amazon Prime Air“, in dem eine Drohne ein Päckchen mit dringend benötigten Fußballschuhen in die Einfahrt eines Hauses liefert, ist es jedenfalls nicht. „Dort wo ich lebe, verlaufen über der Einfahrt jede Menge sehr dünner schwarzer Stromkabel“, sagt Ackerman. „Eine Drohne, die von oben kommt, hat echte Schwierigkeiten, diese über dem schwarzen Asphalt zu erkennen.“
Dass solche Sorgen um die Seh- und Navigierfähigkeit von Roboter-Vehikeln nicht aus der Luft gegriffen sind, zeigt der Unfall eines autonomen Tesla-Wagens im Juli 2016. Sein Fahrer, der sich offenbar komplett auf den Autopiloten verlassen hatte, starb, weil dieser einen weißen Lastwagen vor hellem Himmel für ein Schild hielt. Die Umgebung richtig einzuschätzen, ist für autonome Fahr- wie auch Flugzeuge eine Herausforderung. Wobei es bei Autos noch das geringere Problem ist, zusätzliche Sensoren und Bauteile einzubauen. In der Luft hingegen zählt jedes Gramm Gewicht.
Die nähere Zukunft der Lieferdrohnen dürfte deshalb erstmal nicht in Städten liegen, sondern in weniger besiedelten Gebieten, meint Bart Theys, der belgische Drohnenbauer. Seine Drohne soll auch keine Standardpakete liefern, wie es etwa Amazon plant. Das Projekt orientiert sich stattdessen am Geschäftsmodell der US-Firma Matternet, die Drohnen für spezielle Anwendungsfälle entwickelt: So sollen etwa medizinische Produkte an Orte transportieren werden, wo es kaum Straßen gibt. Seinen größten Erfolg auf dem Weg zum kommerziellen Drohnen-Einsatz hat das Unternehmen aber in der Schweiz verbucht. Dort hat Matternet 2015 die Erlaubnis bekommen, Drohnen außerhalb der Sichtweite von Piloten zu fliegen. Ziel der Schweizer war es, auf diese Weise entlegene Bergregionen zu beliefern.
Noch steht Lieferdrohnen vor allem eines im Weg: die Vorschrift auf Sichtflug
Auch die Deutsche Post will mitmischen. Die DHL hat ihren selbstladenden „Paketkopter“ im Frühjahr in Reit im Winkl in Bayern getestet, mit ähnlichen Absichten wie Matternet in der Schweiz. Doch wann ihr Drohnenprojekt richtig abhebt, hat die DHL nicht selbst in der Hand. In Deutschland müssen Drohnen laut den geltenden Vorschriften immer in Sichtweite ihrer Piloten sein, was die Nutzung und die Forschung ziemlich einschränkt. „Letztlich wird es auf den Gesetzgeber ankommen, welche weiteren Anwendungsfälle in der Zustellung möglich sein werden“, schreibt uns die DHL. Zuständig ist Verkehrsminister Alexander Dobrindt. Der hat zwar unlängst Änderungen für kommerzielle Drohnen angekündigt, ein genauer Zeitplan fehlt allerdings noch.
Das ist in Belgien nicht anders, meint Bart Theys. Für ihn steht fest: die Technik für sichere Lieferdrohnen wird bereit sein, bevor die Politik die Rahmenbedingungen geschaffen hat. Aber, und da sind sich die Experten einig: Über kurz oder lang werden Drohnen überall sein. Auch in den Städten. Theys ist sich sicher, dass es in zehn Jahren feste, regelmäßig genutzte Drohnenverbindungen zwischen wichtigen Orten in der Stadt geben wird, etwa zwischen zwei Krankenhäusern. Die werden allerdings nicht den direkten Weg nehmen, sondern erst mal in ausgewiesenen Drohnenkorridoren, etwa am Rand der Hauptverkehrsadern.
Auch Wissenschaftsjournalist Ackerman glaubt an die Drohnenkorridore, nur beim Zeitplan ist er nicht ganz so optimistisch. Bis es so weit ist, müssten Drohnen erst absolut sicher sein. „Es reicht nicht aus, dass Drohnen meistens nicht vom Himmel fallen“, sagt er. Das sind Bedenken, die Bart Theys nicht teilt: Natürlich müsse alles getan werden, um die Unfallgefahr zu minimieren. Doch auch die Teilnahme am gewöhnlichen Straßenverkehr sei ja schon ein Risiko. Und sicherer als Fahrradkuriere oder motorisierte Pizza-Flitzer seien die Drohnenlieferanten allemal.
GIFS: David Dörrast