fluter.de: Gerade macht sich eine Wespe an meiner Cola zu schaffen. Es mag paranoid klingen, aber: Kann ich mir ganz sicher sein, dass das wirklich eine Wespe ist und nicht vielleicht eine ultrakleine Hightechdrohne?

Tom Hillenbrand: Da kann ich Dich beruhigen. Man kann zwar heute schon sehr kleine Drohnen bauen, aber die Größe einer Zigarettenschachtel haben sie immer noch.

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Tom Hillenbrand (Foto: Benne Ochs)

Tom Hillenbrand ist Journalist und Schriftsteller. Er beschäftigt sich vor allem mit dem Einfluss von Technologie auf die Gesellschaft, mit Drohnen, Kampfrobotern, Algorithmen und künstlicher Intelligenz. Außerdem hat er 2014 mit „Drachenväter“ ein Buch über Rollenspiele herausgebracht.

(Foto: Benne Ochs)

Vor drei Jahren hat die Deutsche Bahn für Empörung gesorgt als herauskam, dass sie Graffitisprayer mit Drohnen überwacht. Ist das ein Einzelfall?

Es kann durchaus sein, dass große Unternehmen auf ihrem Betriebsgelände Drohnen einsetzen, aber wissen tun wir das nicht. Die Rechtslage ist ja momentan so, dass man über seinem Privatgelände Drohnen steigen lassen darf, ohne irgendjemanden darüber informieren zu müssen.

Was ist mit NSA, BND & Co.? In welchem Umfang setzen Geheimdienste bereits auf Überwachungsdrohnen?

Das ist schwer zu sagen. Aber eines scheint sicher: Wenn Geheimdienste Drohnen einsetzen, dann nicht diese kleinen Drohnen, die in niedriger Höhe fliegen – das würde bei der Bevölkerung keine Begeisterungsstürme auslösen. Für Geheimdienste sind eher Fluggeräte interessant, die recht groß sind, dafür aber weit über unseren Köpfen operieren. Diese Drohnen erinnern an jene berüchtigten Predator-Kriegsdrohen [eine Aufklärungs- und Kriegsdrohne, die vor allem von der US-Armee eingesetzt wird, Anm. d. Red.], die wir aus Einsätzen in Afghanistan und anderen Krisengebieten kennen. Durch ihre hochauflösenden Kameras sind diese Drohnen in der Lage größere Bereiche, etwa eine Stadt von der Größe Amsterdams, abzufilmen. Da kann man dann reinzoomen und gucken, wer sich wann wo aufgehalten hat. Und das ist nicht etwa Science Fiction, das gibt es jetzt schon.

Viel ist zurzeit ja die Rede von künstlicher Intelligenz, es wird an selbstfahrenden Autos geforscht und an Chatbots, die uns im Alltag schlaue Ratschläge erteilen sollen. Wie klug sind Überwachungsdrohnen?

 

Künstliche Intelligenz ist auf jeden Fall ein Schwerpunkt der Entwicklung. Aus der Sicht von Geheimdiensten sind Drohen ja vor allem Datenstaubsauger: Es geht weniger um aktuelle Livebilder als darum, erst einmal alles zu sammeln und das ganze dann per Big Data auszuwerten. Wir wissen heute alle, dass man das Internet abschnorcheln kann. Für die reale Welt galt das bislang noch nicht. Wer nicht abgehört werden will, kann heute immer noch in den Stadtwald gehen. Hier schließt die Drohnen eine Überwachungslücke. Würde man die Daten sehr vieler Drohnen auslesen, dann bekäme man eine Art „Google Street View“ auf Steroiden.

Wenn es um Kampfdrohnen geht, wird ja viel über Autonomie diskutiert. Sprich: Darf eine Maschine eigenständig töten, muss ein Mensch den Auslöser drücken, muss der Präsident vorher unterschreiben und so weiter. Wie ist das denn bei Überwachungsdrohnen?

„Würde man die Daten sehr vieler Drohnen auslesen, dann bekäme man eine Art ‚Google Street View’ auf Steroiden.“

Das ist eine zentrale Frage. Nehmen wir das Beispiel Frankreich: Dort zählt das französische Innenministerium über achttausend sogenannter Gefährder, also Menschen, die als radikal islamisiert gelten. Um jeden einzelnen von ihnen zu überwachen, bräuchte man wohl Tausende von Polizisten. Das ist kaum machbar. Für solche Fälle werden autonom agierende Überwachungsdrohnen natürlich zu einer Art Heilsversprechen: Sie überwachen Personen eigenständig und geben Alarm, sobald die Algorithmen etwas Auffälliges bemerken. Aus Sicht der Strafverfolgungsbehörden ist das so praktisch, dass ich mir sicher bin: Das wird kommen!

 

Terroranschläge zu verhindern, das klingt ja erstmal positiv. Wo ist der Haken?

„Die Gefahr ist, dass immer mehr Personengruppen überwacht werden, dass man sagt: ‚Okay, die Terroristen haben wir im Griff. Aber was ist mit Mördern? Was mit den Bankräubern? Was mit den Falschparkern?’“

Bei den aktuellen Terroranschlägen hat sich gezeigt, dass viele der Attentäter bereits aktenkundig waren. Lückenlos observieren konnte man sie allerdings nicht. In dieser jetzigen Situation fällt es deshalb wahrscheinlich selbst Erzliberalen schwer, Überwachung per Drohne zu kritisieren. Die Gefahr ist, dass immer mehr Personengruppen überwacht werden, dass man sagt: „Okay, die Terroristen haben wir im Griff. Aber was ist mit Mördern? Was mit den Bankräubern? Was mit den Falschparkern?“ Diese Liste könnte man unendlich weiterspinnen und irgendwann ist plötzlich jeder betroffen. Das wäre es dann mit den bürgerlichen Freiheitsrechten.

Wie kann man sich gegen absolute Überwachung wehren?

 

Es wird mit Sicherheit bald gut funktionierende Drohnenabwehrsysteme geben. Dennoch wird es schwierig werden, dem Ganzen zu entrinnen. Eric Schmidt, ehemaliger Geschäftsführer von Google, hat ja mal richtig Ärger bekommen als er sagte: „Wenn Sie nicht wollen, dass jemand mitbekommt, was sie tun, dann sollten sie es nicht tun“. Ich glaube, sehr viel bewegt sich genau in diese Richtung einer kontrollierten Gesellschaft. In Zukunft wird man uns immer erkennen können, an unserem Gesicht, an unserem Gang, an unserem Verhalten.

Aber was ist mit der guten alten Blockhütte im Wald?

Zivilisationsflucht ist möglicherweise eine Option, dort ist die Drohnendichte geringer…

Geht es vielleicht auch eine Idee optimistischer?

Nun, wer diese Form der Komplettüberwachung nicht möchte, muss ganz altmodisch auf seine Grundrechte pochen, darauf, dass Geheimdienste wirksam kontrolliert werden und der Einzelne sich gegen Überwachungsmaßnahmen des Staates zur Wehr setzen kann. Und davon abgesehen haben Drohnen ja auch Vorzüge: Durch sie kann auch der Staat selbst besser kontrolliert werden, etwa indem man Polizeiübergriffe auf Demos dokumentiert. Drohnen können also auch Transparenz schaffen. Es liegt wie so oft auch an uns, ob eine neue Technologie am Ende ein Segen ist oder ein Fluch.

Titelbild: PHILIPPE HUGUEN/AFP/Getty Images