Für viele indische Landwirte ist Selbstmord der letzte Ausweg. Im Bundesstaat Maharashtra treibt der oft aussichtslose Kampf auf den Feldern so viele Menschen in den Suizid, dass die Region zum „Selbstmordgürtel“ Indiens gerechnet wird. Mehr als 300.000 Bauern und Landarbeiter haben sich in Indien seit 1995 das Leben genommen.

Ein Großteil der Landbevölkerung ist arm. Etwa 68 Prozent der Inder, also rund 890 Millionen Menschen, leben fern der Städte. Der Boom von Metropolen wie Mumbai oder Delhi, jenen Hightech-Inseln, in denen internationale Finanzunternehmen oder Elektronikhersteller Milliarden umsetzen, geht an ihnen vorbei.

Macht das (Über-) Leben schwer: teures Saatgut großer Hersteller wie Monsanto

Die Bauern schuften unter harten Bedingungen, um ihre Familien zu ernähren. Sie haben mit schlechten Ernten aufgrund von regenarmen Monsunen zu kämpfen und bestellen ihre Felder oft noch mit einfachsten Geräten wie Handpflügen. Besonders zu schaffen macht ihnen die finanzielle Last durch teures Saatgut. Große Saatguthersteller wie Monsanto bestimmen den Markt. Der multinationale Konzern bietet zum Beispiel gentechnisch verändertes Baumwollsaatgut an. Die Aufzucht dieser Pflanzen ist anspruchsvoll, und es wird den Bauern nicht erlaubt, Ernteerträge zum erneuten Aussäen einzubehalten – sie müssen das Saatgut Jahr für Jahr neu kaufen. Kleinbauern verschulden sich regelmäßig, sobald die Ernte schlecht ausfällt. Andere, die beim traditionellen Anbau bleiben, treibt es in den Ruin, wenn die Saat nicht aufgeht oder Pflanzen von Parasiten befallen werden. Hinzu kommt, dass sich die Farmer auch in einigen Fällen durch den unsachgemäßen Einsatz von Pflanzenschutzmitteln vergiften.

Doch wo Verzweiflung ist, kann auch Befreiendes wachsen. Der 29-jährige Landwirt Anil Bandawane aus Junnar hat „Baliraja“ gegründet, eine WhatsApp-Initiative, in der sich betroffene Bauern gegenseitig helfen: Immerhin gibt es allein in Bandawanes Heimat-Bundesstaat Maharashtra Tausende von Landwirten, die unter ähnlichen Problemen leiden. 

Leid lässt sich bekanntlich teilen – zur Not auch in sozialen Medien 

Bandawane sei auf WhatsApp-Gruppen von Parteien und anderen Organisationen gestoßen, und da habe er sich gedacht: Warum sollte das, was für die Politik und andere Organisationen funktioniert, nicht auch für die Arbeit auf dem Land sinnvoll sein? Kampagnen und politische Mobilisierung laufen in Indien längst über mobile Kanäle: Zahllose Gruppen fluten die Nutzer täglich mit Nachrichten – Indien ist für WhatsApp mit seinen monatlich 160 Millionen aktiven Nutzern der weltweit größte Markt. Zwar besitzt nicht jeder Kleinbauer ein eigenes Handy, aber fast jeder kennt jemanden, der ein Handy hat.

Bei dem Namen für seine Initiative entschied sich Bandawane für das Wort „Baliraja“, das in der lokalen Sprache Marathi „Bauernkönig“ bedeutet. Im Jahr 2014 testete er seine Idee zunächst auf Facebook und sammelte Telefonnummern von Interessenten. Am Anfang waren es 30 Mitglieder, doch die Zahl wuchs. Inzwischen sind es zwischen 1.000 und 2.000 Bauern, die sich in den Gruppen vernetzen. 

 

Je mehr Menschen sich „Baliraja“ anschlossen, desto vielfältiger wurden auch die diskutierten Inhalte: Mittlerweile tauschen sich dort nicht mehr nur Landwirte aus, sondern auch Politiker und Experten. So erfahren direkt auch die Entscheidungsträger von den Problemen der Bauern. Sogar Poeten und Unterhalter bringen sich ein. Sie schicken Gedichte oder Bilder, um die Landwirte aufzumuntern. Manche Farmer nutzen die Gruppe auch als Vermarktungstool für chemiefreie Waren oder um Termine von Märkten anzukündigen.

In den Chats wird diskutiert, politisiert, aufgemuntert und auch Geld gesammelt

Der soziale Kontakt kann aus der persönlichen Krise führen. Mit einer digitalen Sammelaktion trieben Gruppenmitglieder etwa Geld für die Behandlung des kranken Sohnes eines Farmers auf. Einige chatten über Suizidgedanken. 

„Der häufigste Grund für die Selbstmorde ist, dass die Farmer kein gesichertes Einkommen haben“, sagt Amol Sainwar, der Bauern in der WhatsApp-Gruppe als Experte berät und ihnen mit seiner NGO „Hope“ helfen will, zusätzliche Einkommensquellen abseits der Felder zu finden.

Ein Wundermittel sind die WhatsApp-Gruppen nicht. Aber die Netzwerke schaffen neue Chancen, und manchmal hilft der digitale Beistand, aus der Verzweiflung keinen weiteren Selbstmord werden zu lassen. 

Titelbild: Johann Rousselot/laif