Wir spülen Joghurtbecher aus, reißen das Plastikfenster der Nudelverpackung heraus, schrauben Deckel von Shampoo flaschen, trennen die Folie von der Käseschale und falten die Getränkekartons, damit möglichst viele davon in die Gelbe Tonne passen. Hinter der deutschen Trennwut, der peniblen Vorarbeit für die Gelbe Tonne, steht ein Recycling Glaube, dessen erstes Gebot lautet: Aus einer Verpackung soll eine neue Verpackung werden. Aus einem Joghurt becher ein neuer Joghurtbecher und aus einer Obstschale eine neue Obst schale. So bleibt der Kreislauf der Ressourcen in Gang und die Natur geschützt. Doch das Recyclingsystem ist eine ziemliche Mogelpackung.
Angefangen hat alles in den frühen 1990er Jahren, als der damalige Bundesumweltminister Klaus Töpfer von der CDU die Idee mit dem Grünen Punkt hatte. Jeder Hersteller sollte für das Recycling dessen aufkommen, was er an Verpackungen auf den Markt bringt, und dadurch zur Verpackungsvermeidung animiert werden. Die getrennte Sammlung von Hausmüll durch die öffentliche Müllabfuhr einerseits und von Verpackungsmüll durch private Entsorgungsfirmen andererseits taufte man „Duales System“. Das erste Unternehmen, das von den Firmen für die Entsorgung ihrer Verpackungen bezahlt wurde, war „Der Grüne Punkt – Duales System Deutschland“, quasi das Original. Heute gibt es auch andere Firmen, die am Dualen System teilnehmen und den von uns in die Gelben Tonnen geworfenen Müll abholen, sortieren und recyceln. Klingt nach einer guten Idee. Warum aber wird das System kritisiert?
Sitzgelegenheit aus Käseverpackung? Toll! Aber: So viele Parkbänke braucht kein Mensch
Die Spurensuche beginnt in Sachsen bei einem Recyclingunternehmer. Hier landet ein Teil unseres Mülls aus der Gelben Tonne, in Ballen gepresst, auf gereiht in einer riesigen Lagerhalle. Dieses Unternehmen stellt aus unseren alten Joghurtbechern und Käseverpa ckungen Gerüste für Spielplätze oder Parkbänke her. Dazu wird der Plastikmüll sortiert, gereinigt, klein geschnitten und eingeschmolzen. „Das Problem ist, dass wir nicht unendlich viele Parkbänke in der Republik aufstellen können“, sagt der Chef des Unternehmens, der anonym bleiben möchte.
Solche Anwendungen finden sich für etwa die Hälfte unseres Plastikmülls, den Industrie und Behörden dann als „stofflich verwertet“ oder auch als „recycelt“ bezeichnen. Aus dem Joghurtbecher wird kein neuer Joghurtbecher, aber immerhin eine neue Parkbank. Was aber passiert mit der anderen Hälfte aus der Gelben Tonne?
Auf die wartet kurz gesagt: das Feuer – oder, wie es offiziell heißt: die „thermische Verwertung“. Weil Plastik gut brennt – und Entsorgungsbetriebe Geld dafür bezahlen, dass Abfall als Ersatzbrennstoff eingesetzt wird –, nutzen es zum Beispiel Zement oder Industriekraftwerke anstelle von Kohle oder Öl. Das ist günstig für sie. Auch einige Städte betreiben Müllheizkraft werke, in denen aus Plastikmüll Fernwärme wird. Doch Umweltschützer beklagen, dass trotz moderner Filter anlagen Schadstoffe bei der Verbrennung in die Umwelt gelangen und die hoch giftigen Schlacken, die übrig bleiben, später unterirdisch gelagert werden. Außerdem entstehen mit der Verbrennung große Mengen Kohlendioxid, das den Klimawandel maßgeblich voran treibt. Trotzdem gilt auch dieses Verfeuern der Abfälle als Recycling.
Virgin Plastic ist für Unternehmen attraktiver als Altplastik
Hinter der sauberen und gewissenhaften Mülltrennung steckt also nicht unbedingt eine Kreislaufwirtschaft, sondern eher ein lineares Abfallsystem. Aber warum wird denn nun aus dem Joghurt becher kein neuer Joghurtbecher? Tatsächlich wird allenfalls aus einer Shampooflasche eine neue Shampooflasche oder aus einer Waschmittelbox eine neue, weil dieses Hartplastik wirklich gut recycelt werden kann. Schätzungsweise weniger als zehn Prozent unseres Verpackungsmülls laufen so im Kreis.
Die meisten anderen Verpackungen lassen sich gar nicht mehr stofflich verwerten, weil sie kaum oder gar nicht recyclingfähig sind. „Immer mehr Verpackungen, die auf den Markt kommen, schränken das Recycling stark ein“, sagt Norbert Völl vom „Grünen Punkt“. Die Verpackungen bestünden aus verschiedenen Kunststoffschichten, die sich nicht mehr trennen lassen, sogenannte Verbundstoffe. Salatschalen oder Wurst verpackungen etwa sind aus Kunststoff, der mit anderen Kunststoffen überzogen und verklebt ist. „Da kann keiner mehr was mit machen“, sagt Völl, „das geht alles in die Brenne.“
Ein anderes Problem: Neuer Kunststoff ist aufgrund des niedrigen Ölpreises billiger als recyceltes Material, dessen Sammeln, Sortieren und Recyceln viel Geld kostet. Auch aus diesem Grund setzen viele Unternehmen lieber auf sogenanntes Virgin Plastic, also auf frisches Plastik. „Die Industrie nimmt kein Geld in die Hand, um Verwertungswege für Altplastik auszubauen“, sagt Völl.
Exportschlager: Müll made in Germany
Da es mit einer wahren stofflichen Wiederverwertung so schlecht läuft, hat sich die Abfallwirtschaft andere Möglichkeiten gesucht, den Verpackungsmüll loszuwerden. Neben dem Verbrennen wird ein großer Teil des Mülls in andere Länder verschickt. Den Plastikmüll aus unserem Gelben Sack betrifft das eher weniger, sondern vor allem industrielle Kunststoffabfälle. So exportierten deutsche Entsorger jahrelang ihren Müll nach China, Indonesien und Malaysia. Für Abfälle aus Verpackungen, die auf die Recyclingquoten angerechnet werden, muss das Recycling auch im Ausland nachgewiesen werden. Da dieser Markt aber stark globalisiert ist, ist Betrug beim Recycling leider nicht ausgeschlossen.
Mittlerweile weigern sich diese asiatischen Länder, Müll made in Germany, der nicht ihren Qualitätskriterien entspricht, anzunehmen. Seither wurde er in die Niederlande oder in die Türkei gebracht, oft auch nach Polen.
Damit ist der Müll aus unserem Blickfeld verschwunden. Die Folgen tragen aber die Menschen in ärmeren Ländern, in denen es oft nicht einmal eine funktionierende Mülltrennung gibt. So schimmelt in der Türkei seit über einem halben Jahr deutscher Müll in Containern vor sich hin, weil deutsche Recyclingunternehmen den laut türkischem Umweltministerium illegal dorthin verschifften Müll nicht abholen.
Wir können gar nicht so viele recyclen, wie wir verschwenden
„Das Recycling wird von der Industrie immer noch als Lösung verkauft, obwohl es die Ressourcenverschwendung und den Klimawandel nicht aufhält“, sagt ein leitender Mitarbeiter der Umwelt und Klimaschutzabteilung der Europäischen Union, der sich dort um das Abfallrecht kümmert und seinen Namen lieber nicht in den Medien lesen will. Mit dem Recycling mache man allenfalls Trippelschritte hin zur Kreislaufwirt schaft. „Es hat sich in den letzten 30 Jahren eigentlich nichts geändert.“
Immerhin verlangt die Europäische Union von allen Mitgliedstaaten, dass bis 2025 die Hälfte des Verpackungsmülls aus Kunststoff stofflich verwertet, also nicht verbrannt wird. Doch für den Abfallexperten der EU liegt die Wurzel des Übels weniger im Management des Mülls als vielmehr in der Art der Verpackungen. Eigentlich seien Plastikverpackungen nicht per se schlecht, sie machten Produkte haltbar und stellten sicher, dass Menschen sich nicht an verkeimten Lebensmitteln vergiften. Es gehe aber darum, die Vielzahl verschiedener Verpackungen ebenso einzudämmen wie die Verwendung von Verbundstoffen.
Erstes Gebot: Abfall vermeiden
Und natürlich wäre alles viel einfacher, wenn nicht nur die Verbraucher, sondern vor allem die Konzerne die „Abfallpyramide“ befolgen würden: An der Spitze steht dort die Vermeidung von Abfall. Also weg mit den doppelt verpackten Schokoriegeln und Zahnpastatuben. Dann folgt als zweitbeste Stufe die Wiederverwendung: In den Becher aus dem Supermarkt könnte Eis vom Italiener um die Ecke kommen, entsprechend müsste er designt sein. Und warum nicht gleich standardisierte Käseverpackungen, die wir im Supermarkt wieder befüllen können?
Erst an dritter Stelle steht die stoffliche Verwertung, also das eigentliche Recycling. Und erst danach, wenn gar nichts anderes mehr geht, darf die energetische Verwertung kommen, also die Müllverbrennung, bei der Energie und Wärme gewonnen werden.
Manchmal liegt die Lösung des Verpackungsproblems aber schon recht nah, oft direkt daneben. Lose Tomaten und Paprika neben Paprika in Plastik netzen oder Tomaten in Plastikschalen. Nackter Käse an der Theke neben Käse in Folie. Gurken mit und ohne Plastik. Man muss nur richtig zulangen.
Titelbild: imagebroker/IMAGO / Jonas Wresch