Stand: 19. März 2020, 14 Uhr
Wer ist in Deutschland in Sachen Coronavirus zuständig?
Deutschland ist föderal organisiert, auch im Krisenfall: Den Infektionsschutz setzen die einzelnen Landesregierungen, Kommunen und rund 400 Gesundheitsämter durch. So kommt es auch, dass in Baden-Württemberg Flughäfen geschlossen werden, während sie in anderen Bundesländern in Betrieb bleiben. Oder dass einzelne Bundesländer wie Bayern oder eine kreisfreie Stadt wie Halle an der Saale den Katastrophenfall ausrufen, während andernorts noch um Normalität gerungen wird.
Der beste Infektionsschutz: Abstand, solide Information und ein bisschen Ablenkung. Unsere Linkliste zum Coronavirus
Wer was wann entscheiden darf, ist in den Pandemieplänen des Bundes, der Länder und Kommunen geregelt. Daneben gibt das Infektionsschutzgesetz vor, was die Behörden tun müssen, um Infektionen frühestmöglich zu erkennen und Neuansteckungen zu verhindern.
Heißt in der Praxis: Wenn ein Labor in deiner Nähe einen Coronafall bestätigt, erfährt es zunächst das lokale Gesundheitsamt, das dann mit den Behörden des Bundeslandes die Maßnahmen abstimmt, also zum Beispiel die Schließung von Schulen oder die Absage von Veranstaltungen. Die Landesbehörden wiederum sprechen ihr Vorgehen mit der Bundesregierung ab. Die Kette der Zuständigkeiten beginnt also „ganz unten“, bei den lokalen Gesundheitsämtern, nicht bei der Regierung in Berlin.
Was macht denn dann die Bundesregierung?
Bundeskanzlerin Angela Merkel selbst hat bei der Eindämmung der Corona-Pandemie eine eher repräsentative Funktion. Operativ steht seit dem 27. Februar 2020 ein Krisenstab in Berlin in der Verantwortung, unter Führung von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und Innenminister Horst Seehofer (CSU). Die Gruppe tagt zweimal die Woche und lässt sich von Forschungseinrichtungen wie dem Robert Koch-Institut auf den neuesten Stand bringen. Sie kann Bund und Ländern nichts anordnen, sondern lediglich Empfehlungen für deren Vorgehen aussprechen.
Das Robert Koch-Institut ist die zentrale Forschungseinrichtung für menschliche Infektionskrankheiten in Deutschland. Dort werden auch die Daten zur Corona-Pandemie erhoben und analysiert. Das Institut berät die Gesundheitsbehörden der Länder und das Bundesministerium für Gesundheit – Entscheidungen trifft es nicht.
Klar ist: Zentralistisch organisierte Länder können schneller handeln. In Frankreich etwa ließ Staatspräsident Emmanuel Macron per Dekret die Preise für Desinfektionsmittel deckeln und Schutzmasken beschlagnahmen. Dieser Schritt ist in Deutschland nicht so einfach. Ein Vorteil unserer föderalen Strukturen könnte es dagegen sein, effektiver und schneller auf lokale Entwicklungen reagieren zu können. Welches System besser zur Eindämmung der Pandemie geeignet ist, wird sich in den kommenden Wochen zeigen.
Wie stark darf der deutsche Staat Bürger/-innenrechte einschränken?
Das Infektionsschutzgesetz besagt klar: Die Grundrechte der körperlichen Unversehrtheit, die Freiheit der Person, die Versammlungsfreiheit und die Unverletzlichkeit der Wohnung können eingeschränkt werden, wenn es der Eindämmung einer Pandemie dient. Die Behörden dürfen Personen im Verdachtsfall beobachten, sie zur Auskunft über ihren Gesundheitszustand und persönliche Lebensumstände verpflichten und Quarantänen auch gegen ihren Willen durchsetzen.
Könnte die Regierung bald eine Ausgangssperre verhängen wie in Italien oder Frankreich?
Bislang wurde lediglich der Rückzug aus dem öffentlichen Leben empfohlen; eine „Ausgangssperre“, wie sie in anderen Ländern durchgesetzt wird, kennt unser Grundgesetz nicht. Über ein Eilgesetz könnten Bundestag und Bundesrat aber bald eine Ausgangssperre ermöglichen, wenn die Pandemie diese Maßnahme rechtfertigt. Die Sperre zu überwachen, wäre dann die Aufgabe der Polizei. Die hat aufgrund der Absage von Großveranstaltungen Kapazitäten, heißt es aus dem Bundesinnenministerium.
Übrigens: Wer gegen eine solche Ausgangssperre verstößt, dürfte theoretisch mit einer Geldstrafe oder sogar einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren bestraft werden. In Frankreich kostet der Verstoß derzeit zwischen 38 und 135 Euro.
Eine Ausgangssperre sieht unser Grundgesetz nicht vor. Das kann sich aber schnell ändern
Könnten ganze Gebiete abgesperrt werden?
Ja. Und das ist in wenigen Fällen auch schon getan worden, etwa im besonders betroffenen Kreis Heinsberg in Nordrhein-Westfalen, in weiten Teilen der Gemeinde Neustadt (Dosse) in Brandenburg oder in der oberpfälzischen Kleinstadt Mitterteich. Eine Ausgangssperre für ganz Bayern wollte Ministerpräsident Markus Söder (CSU) zumindest nicht ausschließen. Wenn ein begründeter Infektionsverdacht besteht, können laut Infektionsschutzgesetz alle Orte, an denen sich Menschen befinden, abgeriegelt werden: Schulen, Unternehmen, Züge, Reisebusse, Schiffe, ganze Gebiete oder Städte. Das gilt natürlich nur, wenn es kein milderes Mittel zur Eindämmung des Virus gibt: Die Abriegelung ist das letzte Mittel des Infektionsschutzes.
Die Regale mit Konserven oder Mehl sind ziemlich leer. Kann es passieren, dass unsere Lebensmittel rationiert werden?
Vorweg: In Deutschland ist eine Lebensmittelknappheit nicht in Aussicht. Leere Regale im Supermarkt machen zwar vielen Menschen Angst, sind aber nur das Ergebnis einer starken Nachfrage durch Hamsterkäufe. Da keine gravierenden Auswirkungen auf die Lieferkette zu erwarten sind, steht uns keine Lebensmittelknappheit bevor.
Sollte die Lage ernst werden, könnte der Staat aber immer noch eine sogenannte Versorgungskrise ausrufen. Er dürfte dann in die Arbeit der Ernährungs- und Landwirtschaft eingreifen, also auch Lebensmittel rationieren. Daneben hält der Staat für Krisenfälle selbst tonnenweise Getreidereserven vor.
Unser krisentäglich Brot: Rund 640.000 Tonnen Weizen, 115.000 Tonnen Roggen und 86.000 Tonnen Hafer sollen die „Mehl- und Brotversorgung“ Deutschlands in Notfällen sichern (Foto: Reto Klar)
Diese Vorräte werden in der Nähe von Mühlen gelagert, die genauen Adressen der rund 150 Lagerorte sind aber nur den Behörden bekannt – um sie vor Plünderungen im Krisenfall zu schützen. Andere Güter wie Reis, Hülsenfrüchte, Vollmilchpulver und Kondensmilch hat der Staat ebenfalls eingelagert. Medikamente und Sanitätsmaterial sind in den Krankenhäusern, Apotheken und Pharmagroßhandlungen gelagert – und auch die Bundesländer haben Reserven für mehrere Wochen, um mögliche Lieferengpässe ausgleichen zu können.
Macht man sich eigentlich strafbar, wenn man jemanden wissentlich ansteckt?
Wer in Deutschland eine Krankheit oder einen Krankheitserreger vorsätzlich (also im Wissen um mögliche Folgen) verbreitet, dem drohen laut Infektionsschutzgesetz bis zu fünf Jahre Freiheitsstrafe. Dazu zählen alle meldepflichtigen Krankheiten, etwa die Pest, Keuchhusten, Cholera, Tollwut oder die Masern. Wer die angeordnete Quarantäne verlässt und andere Personen ansteckt, könnte sich sogar der fahrlässigen Körperverletzung strafbar machen. Das gilt immer, nicht nur in Zeiten von Corona.
Erlässt die Bundesrepublik wegen Corona erstmals einen Notstand?
Wie wahrscheinlich ist ein „Ausnahmezustand“ in Deutschland?
In der Türkei war er jahrelang in Kraft, in den USA ist er am Samstag, in Frankreich am Montag ausgerufen worden: der nationale Ausnahmezustand. Mit ihm können staatliche Prinzipien wie die Gewaltenteilung oder fundamentale Bürger-/innenrechte wie das Recht, sich frei bewegen zu dürfen außer Kraft gesetzt werden, damit der Staat in Notzeiten schneller reagieren kann. In Deutschland ist der Ausnahmezustand nicht vorgesehen – auch, weil ähnliche Gesetze den Nationalsozialisten 1933 zur Machtergreifung geholfen hatten.
Trotzdem gibt es gesetzliche Maßnahmen, die das staatliche Durchgreifen im Notfall vereinfachen: die Notstandsgesetze. Sie sind seit 1968 im Grundgesetz festgeschrieben und unterscheiden zwischen innerem Notstand, dem Verteidigungs-, Spannungs- und Katastrophenfall. Die Gesetze würden es dem Bund ermöglichen, den Ländern Weisungen zu erteilen (statt wie bisher nur Empfehlungen auszusprechen), Polizist/-innen über die Grenzen der Bundesländer zu bewegen oder die Bundeswehr im Inneren einzusetzen, um die öffentliche Ordnung zu bewahren – etwa bei Plünderungen oder Belagerungen von Krankenhäusern.
Der Notstand kann aber erst ausgerufen werden, wenn ein oder mehrere Bundesländer die Auswirkung der Pandemie nicht mehr selbstständig bewältigen können. In der Geschichte der Bundesrepublik wurden die Notstandsgesetze noch nie angewandt.
Titelbild: Daniel Biskup/laif