Es war wohl das jugendlichste Jahr des 20. Jahrhunderts: In den USA, Frankreich und Deutschland, in Italien, Polen oder Mexiko rebellierte die Jugend gegen alles, was in den Institutionen saß. Im Fokus standen aber nicht nur Personen, sondern der Kapitalismus, die Außen- und Kriegspolitik besonders der USA, aber vor allem die aus Sicht der Jugend überkommenen Werte.
Nirgendwo war der Protest so weitreichend wie in Frankreich im Mai 1968. „Seien wir realistisch, verlangen wir das Unmögliche!“, sprühten Studenten an die Hauswände von Paris. Die französische Jugend, geboren als Kinder der Weltkriegssoldaten, studierte Marx, Marcuse und Mao, veranstaltete Sit-ins und Trotzki-Lesezirkel. So sehr sie alte Autoritäten ablehnten, so unkritisch waren sie oft mit neuen. Ihre Begeisterung überschritt manchmal die Grenze zur Naivität und Ignoranz.
Alles entstauben: Professorenköpfe, Gesetzbücher, eigentlich das ganze Land
Dennoch blieben die französischen Revoluzzer nicht allein. Angestellte demonstrierten für die 40-Stunden-Woche und mehr Lohn, besetzten sogar Fabriken. Bald streikten Millionen Arbeiter, nach einigen Schätzungen erschien sogar ein Fünftel der französischen Bevölkerung nicht zur Arbeit. Politiker fürchteten schon eine Revolution. Erst als sich Gewerkschaften, Arbeitgeber und Regierung auf ein Reformpaket für höhere Löhne und mehr Mitbestimmung der Arbeitnehmer einigten, schrumpfte die Revolution zusammen.
In Deutschland hatten Studenten schon im November 1967 das berühmteste Banner der 68er entrollt: „Unter den Talaren – Muff von 1.000 Jahren“. Es war eine Anspielung auf das selbsternannte „Tausendjährige Reich“ der Nationalsozialisten, das noch immer in einigen Professorenköpfen herumspukte. Nicht nur die Universitäten, auch die Gesetzbücher wurden nach 1968 entstaubt. Die umstrittenen Notstandsgesetze waren eine wesentliche Ursache für die Bildung der Außerparlamentarischen Opposition.
Abgeschafft wurde letztlich auch der aus heutiger Sicht absurde „Kuppelei-Paragraf“. Bis Ende der 1960er konnten Vermieter bestraft werden, wenn sie Unverheiratete zusammen in einer Wohnung schlafen ließen. Mit anderen Worten: ohne die 68er keine gemischten WGs.
Mehr Infos im bpb-Dossier „Die 68er-Bewegung“
Immer wieder: Die junge Generation begehrt auf und fordert radikale Erneuerung. Unsere historische Reihe über politische Jugendbewegungen:
Teil 1: Wartburgfest und Hambacher Fest – Bürger sein, nicht Untertan
Teil 2: Die 68er – Lüften in einem muffigen und verstaubten Land
Teil 3: Die Jungtürken – für eine Republik gekämpft, dann Unterdrücker geworden
Teil 4: Der Schüleraufstand in Soweto - der Anfang vom Ende der Apartheit
Illustration: Enrico Nagel