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Was ihr nicht sagt

Streiten, sich Argumente um die Ohren hauen und diskutieren – dafür ist die Universität der richtige Ort. Was aber, wenn dort Meinungen verboten werden?

Am 8. Juni 2020 schreibt @haralduhlig seine Meinung auf Twitter, es geht um @Blklivesmatter und die Unterstützung des Aufrufs #DefundThePolice. Nach dem Tod von George Floyd, der durch rassistische Polizeigewalt starb, forderte die Organisation, dass der Polizei Gelder gestrichen und stattdessen in Bereiche wie Gesundheit und Bildung investiert werden. 

@haralduhlig hingegen twittert, es brauche mehr Polizei, mehr Geld dafür und eine bessere Ausbildung – und vernünftige Erwachsene, die ernste Gespräche darüber führen. „Ich verstehe, dass einige da draußen sich wünschen, rauszugehen, zu protestieren und zu sagen #DefundThePolice und all diese Sachen, solange ihr noch jung seid und Verantwortung nicht zählt. Genießt es! Drückt euch aus! Nur macht nichts kaputt, ok? Und seid um 8 zuhause.“

Hinter @haralduhlig steckt Professor Harald Uhlig, er lehrt Wirtschaft an der Universität von Chicago und ist leitender Redakteur des „Journal of Political Economy“. Genauer gesagt: Er war es bis zum 12. Juni 2020. Denn schon kurz nach seinem Tweet fordern mehr als 500 Menschen in einer Onlinepetition mit ihren Unterschriften den Rücktritt des deutschen Professors. Warum?

Die falsche Meinung

fangen und zu verbreiten“, heißt es im Artikel 19rklärun der Allgemeinen Erklärung der Msondicagor Gründung verschrieben: Das Prinzip . Weil sie so denken wie @hsmlion, der schreibt: „Einflussreiche Menschen sind Meinungsmacher. Dieser Typ ist gestört. Muss gehen. Worte haben Konsequenzen.“ Dabei ist der Tweet zur Polizei nicht der einzige Auslöser. Dazu kommt ein weiterer Shitstorm auf Twitter, ausgelöst von einem früheren Schwarzen Studenten Uhligs, der schreibt, Uhlig habe sich in einer Vorlesung über Martin Luther King lustig gemacht und ihn anschließend gefragt, ob er jetzt beleidigt sei. 

fangen und zu verbreiten“, heißt es im Artikel 19 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Es gibt Orte, die in besonderem Maße für dieses Recht stehen, etwa die Universitäten. Sie leben von en A Prinzip der totalen freien Rede für alle sei fundamental und könäät dertt dertne weder jetzt noch in Zukunft in Frage gestellt werden, sagte Präsident William Rainey Hcx Am 12. Juni bezieht die Universität Stellung: „Die Universität von Chicago toleriert kein einschüchterndes, feindliches oder offensiv diskriminierendes Verhalten […].“ Sie überprüft die Vorwürfe gegen Uhlig, das „Journal of Political Economy“ beurlaubt ihn. Uhlig verliert auch seinen Job als Berater der Federal Reserve Bank of Chicago und wird zum ersten Mal mit einem Begriff konfrontiert, der immer häufiger auftaucht: Cancel Culture.

So sehen zensierte Dokumente aus, in denen Textelemente geschwärzt wurden, weil sie geheime Informationen enthalten. Bei uns steckt aber nix dahinter!

Die Definition von „Cancelled“ im Onlinewörterbuch „Urban Dictionary“ lautet: „Wenn ein wütender Online-Mob dein legales Recht auf freie Rede untergräbt, indem er organisierten Druck auf deinen Arbeitgeber/deine Businesspartner ausübt, um dein Arbeitsverhältnis zu beenden.“

Die deutsche Autorin Samira El Ouassil beschreibt es differenzierter: „Je nachdem, wen man fragt, scheint ‚Cancel Culture‘ ein niedrigschwelliges Instrument von Online-AktivistInnen zu sein, ein destruktiver Boykott-Aufruf, der systematische Kampf, unliebsame Meinungen aus dem Diskurs zu verbannen, oder gar der Versuch, Menschen sozial zu vernichten.“

Eine Art sozialer Vernichtung sahen manche in den Boykottaufrufen gegen Künstler im Rahmen der #MeToo-Bewegung, die erfolgreich sexuelle Gewalterfahrungen sichtbar machte und Opfern eine Stimme gab. Sie kritisierten, dass  der Schauspieler Kevin Spacey nach Vorwürfen sexueller Belästigung aus Filmen rausgeschnitten wurde – oder  Woody Allens Werk in den USA kaum noch gezeigt werde, nachdem mehr als 25 Jahre alte Missbrauchsvorwürfe neu thematisiert wurden, obwohl sie immer noch unbewiesen seien.

Mit der Zeit wurden aber auch Menschen boykottiert, die nicht im Verdacht standen, eine Straftat begangen zu haben. Die Autorin J. K. Rowling, weil sie sich angeblich transphob geäußert hat, Dieter Nuhr, weil er die Einstellung der Fridays-for-Future-Bewegung zur Wissenschaft kritisierte, Kanye West, weil er sich weigerte, seinerseits Donald Trump zu canceln. Und schließlich dehnte sich die Debatte auch noch auf schon gestorbene Künstler aus – und gipfelte in der Frage: Kann man ein Gemälde von Caravaggio noch in einem Museum ausstellen, wenn man weiß, dass er ein Mörder war? Und darf man Richard Wagner noch hören trotz seiner antisemitischen Einstellung? 

Cancel Culture: Ende der Streitkultur oder Chance für Gerechtigkeit?

„Eine Verbannung aus dem öffentlichen Leben als Strafmaß für Verstöße gegen die politische Korrektheit“ nennt der „Tagesspiegel“ Cancel Culture, namhafte Schriftstellerinnen wie Margaret Atwood und J. K. Rowling beklagten in einem offenen Brief, dass der freie Austausch von Informationen und Meinungen jeden Tag mehr beschränkt werde. Die Intoleranz gegenüber entgegengesetzten Ansichten nehme zu, und Ächtung sei zur Mode geworden. Um schlechte Ansichten zu bezwingen, solle man sie aber lieber diskutieren, anstatt sie einfach auszuradieren.

„Jeder hat das Recht auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung; dieses Recht schließt die Freiheit ein, Meinungen ungehindert anzuhängen sowie über Medien jeder Art und ohne Rücksicht auf Grenzen Informationen und Gedankengut zu suchen, zu empfangen und zu verbreiten“, heißt es in Artikel 19 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Es gibt Orte, die in besonderem Maße für dieses Recht stehen, etwa die Universitäten. Sie leben von Diskussionen und vom Aufeinandertreffen Andersdenkender. Die Universität von Chicago, an der Harald Uhlig lehrt, hat sich diesem Recht sogar seit ihrer Gründung verschrieben: Das Prinzip der völligen Redefreiheit zu allen Themen sei fundamental und könne weder jetzt noch in Zukunft infrage gestellt werden, sagte Präsident William Rainey Harper bereits 1902.  Artikel 19 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Es gibt Orte,n Andersdenkender. Die Universität  die in besonderem Mkussionen und voie schrieben: Das Prinzip der totalen freien Rede für alle sei fundental und könne weder jetzt noch in Zukunft in Frage gestellt werden, sagte Präsident William Rainey Harper bereits 1902.

Dennoch häufen sich gerade an Universitäten Vorfälle, bei denen Personen ausgeladen und ihre Vorträge abgesagt werden: Ivanka Trump durfte ihren Vortrag an der Wichita State University Tech nicht halten, an der Uni Hamburg musste AfD-Gründer Bernd Lucke zwei Vorlesungen abbrechen, weil er immer wieder beschimpft und unterbrochen wurde. Harald Uhlig schreibt, die Grenzen der freien Rede sollte man weit ziehen, insbesondere an Universitäten. „Die Grenzen werden derzeit immer enger, gerade dort. Viele Kollegen äußern sich lieber gar nicht mehr.“ 

Am 22. Juni 2020 veröffentlichte die Universität von Chicago ein Update zu seinem Fall. Es gebe keine Basis für weitere Untersuchungen dazu, ob sich Uhlig im Seminarraum rassistisch geäußert habe. Daraufhin stellte das „Journal of Political Economy“ Harald Uhlig wieder ein.gen und zu verbreiten“,  im Artikel heißt es im Artikel 19 deen: . fangen und zu verbreiten“, Trotzdem ist Uhlig seitdem vorsichtiger geworden, Anfragen beantwortet er vage und lieber per Mail. Auf die Frage, wie er sich gefühlt habe, als Hunderte mit ihren Unterschriften forderten, er solle seinen Job verlieren, schreibt er: „Ich vermute, es ging eher darum, mich und andere mit ähnlichen Auffassungen mundtot zu machen. Das war insofern effektiv, als es auch heftige Reaktionen innerhalb der University of Chicago gab: Das hatte ich so nicht erwartet, und die haben mich am meisten berührt.“

Mittlerweile ist Cancel Culture auch in der Politik angekommen, wo es oft als Kampfbegriff genutzt wird, um gegen eine als übermäßig empfundene politische Korrektheit vorzugehen, die auf jede Empfindlichkeit Rücksicht nimmt. US-Präsident Trump hat sich dabei zur Galionsfigur derer gemacht, die schon in der Kritik an Polizeigewalt und Racial Profiling einen unpatriotischen Angriff auf die Nation sehen. Dabei war es Trump, der auf Wahlkampfveranstaltungen dazu aufrief, seine demokratischen Gegner ins Gefängnis zu sperren.

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