Schweiz

#MeToo stand in der Schweiz von Beginn an in scharfem Gegenwind. Zwar trug die etwa zeitgleich publik werdende Stalking-Affäre um einen Bundesparlamentarier dazu bei, dass Medien der Frage nachgingen, was sich Frauen, sei es in der Politik oder anderswo, alles gefallen lassen müssen. Im Parlament wurde darauf ein Leitfaden veröffentlicht, der allen klarmachen sollte, wo die Grenzen zwischen Flirten und Belästigung liegen. Doch der #MeToo-Backlash kam umgehend. Fast jeden ernsthaften Versuch einer Debatte, auch im privaten Rahmen, begleitet ein zwischen Empörung und Belustigung schwankender Abwehrmechanismus. Dabei werden persönliche Erfahrungen mit sexueller Belästigung kleingeredet, der „Generalverdacht“ beklagt, dem sich die Männer nun ganz allgemein ausgesetzt sähen, oder ganz einfach alle Schuld den Opfern zugeschoben, die sich ja wehren könnten, wenn sie was auf dem Kasten hätten. Immerhin eines scheint #MeToo auch in der Schweiz erreicht zu haben: dass mehr über sexuelle Belästigung gesprochen wird. Doch wie viel bringt das ohne die Bereitschaft, einander wirklich zuzuhören?

Von Sophie Rüesch 

Brasilien

#MeToo ist eher unbekannt in Brasilien. Sexuelle Gewalt ist es nicht. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Datafolha von 2017 wurde im Land innerhalb eines Jahres eine von drei Frauen Opfer von Gewalt. Nur wenige melden die Vorfälle bei der Polizei.

Schon zwei Jahre vor Weinstein gab es eine brasilianische Version von #MeToo: Unter #PrimeiroAssédio berichteten brasilianische Frauen davon, wie sie zum ersten Mal sexuell belästigt wurden. Die Kampagne stieß eine öffentliche Debatte in dem Land an, in dem Machokultur tief verankert ist.

Gerade an Karneval, dem größten Fest des Jahres, kommt es zu vielen Übergriffen. Doch beim diesjährigen Karneval eroberten sich die Frauen ihre Blocos, ihre Straßenumzüge, zurück. Sie starteten ihre eigenen feministischen Blocos, wie zum Beispiel „Maria Vem Com as Outras“ in Rio. Die Frauen verkleideten sich als Tiere, die oftmals als Spitznamen für Frauen herhalten müssen. Etwa wie „Häschen“ im Deutschen. Es gibt mittlerweile Apps, die Übergriffe lokalisieren, es gibt Klebetattoos und Plakatkampagnen mit „Nein heißt Nein“. Was es noch nicht gibt, ist ein brasilianischer Weinstein-Skandal.

Von Sarah Heuberger

Kenia

„Ladys, wenn es keine sexuelle Belästigung gäbe, was würdet ihr tun, das ihr heute nicht tun könnt?“, fragte eine Kenianerin im November letzten Jahres auf Twitter. Die Antworten, die sie bekam: nachts spazieren gehen, in Shorts und Sandalen. Ungestört in einer Bar entspannen. Unbesorgt in einen Kleinbus steigen, in dem nur Männer sitzen. Monate vor #MeToo, wovon die meisten in Kenia noch nie gehört haben, wurde erst nach enormem öffentlichen Druck der Manager einer erfolgreichen Tech-Firma entlassen, der eine Angestellte auf einer Dienstreise sexuell bedrängt hatte. Das ist beispiellos in Kenia. Danach trat das Thema erst mal wieder in den Hintergrund, denn das Land war mit zwei Wahlgängen beschäftigt. Sexuelle Belästigung gehört zum Alltag. Ungewollte Berührungen, forcierte Anmache, anzügliche Witze – zu oft als Spaß oder „typisch Mann“ abgetan, von den Opfern verharmlost. Doch die Benachteiligung von Frauen geht viel weiter: Mädchen und Frauen werden weiter beschnitten, auch wenn dies verboten ist. Werden Schülerinnen schwanger, bedeutet das oft das Ende ihrer Ausbildung und eine Zukunft in Armut.

Von Anja Bengelstorff

Ukraine

Die Ukraine hatte im Juli 2016 ihre eigene #MeToo-Bewegung. Angestoßen wurde diese von der Aktivistin Anastasiya Melnychenko. Unter dem Hashtag #Iamnotafraidtospeak (#янебоюсьсказати) schlossen sich Tausende Frauen zusammen. Sie schrieben und erzählten von ihren Erfahrungen mit sexueller Belästigung und anderen Formen geschlechterspezifischer Gewalt. Die Geschichten, die erzählt wurden, sind alltäglich – das ist das Schockierende. Einer meiner männlichen Kollegen sagte mir, dass er von den Berichten beeindruckt und auch verblüfft gewesen sei: „Ich hätte nie gedacht, dass Frauen in so einer gewalttätigen Umgebung leben. Ihnen wird gesagt, dass sie still sein müssen, um ein ‚gutes Mädchen‘ zu sein. Die Gesellschaft normalisiert geschlechterspezifische Gewalt.“ Die Debatte flammte im Zusammenhang mit der #MeToo-Bewegung wieder auf. Diskussionen in diesem Zusammenhang beeinflussten das ukrainische Parlament und andere Ebenen der Regierung: Minister und Abgeordnete sehen jetzt immerhin, dass geschlechterspezifische Gewalt ein wichtiges Thema ist.

Von Iryna Slavinska

Südkorea

„Die #MeToo-Debatte setzte in Südkorea zwar etwas verspätet ein, doch sie hat in den letzten Wochen die Gesellschaft komplett aufgerüttelt: Täglich werden neue sexuelle Belästigungsvorwürfe gegen Politiker, Regisseure, Pastoren, Professoren, Ärzte und Schauspieler öffentlich. Nicht die historische Annäherung mit Nordkorea ist das alles dominierende Gesprächsthema, sondern #MeToo. Im politisch freien und technologisch hochentwickelten Südkorea kann man auf den ersten Blick leicht vergessen, wie sehr die Gesellschaft noch immer von patriarchalen Strukturen geprägt wird: In keinem anderen OECD-Land der Welt klafft der Gender Pay Gap derart auseinander – Frauen verdienen im Schnitt rund 37 Prozent weniger als Männer. Im „Global Gender Gap Report“ des Weltwirtschaftsforums wird Südkorea auf dem 118. Platz gelistet, hinter Tunesien und Äthiopien.

Von meinen weiblichen Bekannten – ganz egal welchen Alters – kann de facto jede von Diskriminierung oder Belästigungsvorwürfen berichten: Angestellte werden aus dem Job gemobbt, nachdem sie schwanger geworden sind. Studentinnen werden vom Professor aufgefordert, mit möglichst kurzem Rock in den Unterricht zu kommen. Viele berichten auch von körperlicher Gewalt durch ihren Ehe- oder Lebenspartner.

Südkorea hat in den letzten Jahrzehnten erstaunliche wirtschaftliche und politische Transformationen durchlaufen – in der gesellschaftlichen Entwicklung hinkt das Land jedoch oftmals hinterher. Die angespannte Stimmung der #MeToo-Bewegung könnte nun als Katalysator für eine nachhaltige Stärkung der Frauenrechte dienen. Der derzeitige Präsident Moon Jae-in hat sich bereits uneingeschränkt hinter die Bewegung gestellt.

Von Fabian Kretschmer

Illustration: Raúl Soria