Bevor er dem Rind die Kehle durchschneidet, schließt er noch das Garagentor. „Aus optischen Gründen“, sagt Michael Schmidt, aber auch wegen der Hygiene: Die Schlachterei, die er mit seinem Vater in einem Vorort von Freiburg führt, liegt mitten im Wohngebiet. Die Anwohner sollen nicht sehen müssen, wie er gleich dem Jungtier das Fell abzieht, sorgfältig die braun glänzenden Nieren und die wertvollsten Fleischstücke heraustrennt und am Ende den gehäuteten und ausgenommenen Körper mit einem Beil in zwei Hälften teilt. Fast würde es ihm gefallen, das Tor auch mal offen zu lassen: „Fleisch essen, aber nichts mit dem Entstehungsprozess zu tun haben wollen – das ist respektlos den Tieren gegenüber.“
„Fleisch essen, aber nichts mit dem Entstehungsprozess zu tun haben wollen – das ist respektlos den Tieren gegenüber“, findet Schmidt
Im Gegensatz zu industriellen Betrieben schlachtet Schmidt nur zweimal in der Woche. Die Tiere werden einzeln angeliefert, von ihrer „Bezugsperson“, wie Schmidt den Bauern nennt. „Das ist eine emotionale Sache, das fällt denen auch nicht leicht“, sagt er. Manche sprechen noch ein paar verabschiedende Worte, streicheln ihr Tier ein letztes Mal. Der Bulle heute sei zum Beispiel sehr aufmüpfig gewesen, ging immer auf den Bauern los, wenn der die Weide betrat. Nun schaut er neugierig durch die Gitter seiner Box. Schmidt macht einen entschlossenen Schritt auf ihn zu, setzt den Bolzen an der Stirn des Tieres an, dann gibt es ein lautes Geräusch. Das Tier sinkt zu Boden.
Danach folgt eine bizarre Choreografie. Zusammen mit seinen zwei Kollegen nimmt Schmidt das Tier in weniger als einer halben Stunde vollständig auseinander. Dazwischen schreitet die Tierärztin mit weißer Gummischürze durch den gefliesten Raum, kontrolliert Gehirn und Organe des Tiers.
Schmidt kann sich nicht erinnern, wann er diese Handgriffe zum ersten Mal gemacht hat. Schon als Kleinkind schaute er dem Vater zu, wie er auf den Schwarzwaldhöfen der Umgebung Ziegen, Schafe und Rinder schlachtete. Er erinnert sich aber an die erste eigenständige Schlachtung. Er war erst 14, die Eltern im Urlaub und ein Bauer aus der Umgebung verzweifelt: Beinbruch bei einer Kuh, Notschlachtung. Man holte Schmidt junior mit dem Auto ab, der schlachtete das Tier vor Ort, wie er es schon Hunderte Male beobachtet hatte. „Ist eh alles gut gegangen“, sagt er heute, „war eben ein Notfall.“
Damals hatten die Bauern noch eigene Wurstkessel und Räucheranlagen. Doch die Hausschlachtung ist für viele Kleinbetriebe nicht rentabel. Nachwuchsprobleme und Dumpingpreise im Supermarkt für Fleisch aus industriellen Betrieben machen den Kleinbauern das Leben schwer. Viele stiegen deshalb auf Bio- oder die strenge Demeter-Landwirtschaft um. Qualität statt Quantität. Ihre Tiere bringen die meisten heute zu Schmidt, der sich als Schlachter von Biofleisch spezialisiert hat.
Kurze Wege, kein Warten, kein Stress: Schmidt will nicht, dass seine Tiere leiden
Solange Menschen weiterhin gerne Fleisch essen, müssen Tiere sterben, aber für Schmidt ist wichtig, dass die Tiere vorher ein gutes Leben führen – oder zumindest ein besseres als die armen Schweine und Rinder in den Massenbetrieben. Schmidt hat viele Kunden, vor allem junge Familien, die seine Arbeitsethik schätzen: „Am wichtigsten ist es, dass man mit den Tieren als Lebewesen ordentlich umgeht.“ Für ihn heißt das: artgerechte, kurze Transportwege, kein Aufeinandertreffen mit Tieren aus anderen Höfen, kein Warten, kein Stress. Dass das Fleisch zur Billigware verkommen ist, findet Schmidt fatal. Für Mensch und Tier sei es besser, eher weniger und dafür besseres Fleisch zu essen. „Man schmeckt es ja auch.“
Für Schmidt ist das Schlachten ein Handwerk, das er so gut beherrschen will, dass die Tiere nicht leiden. Er hofft, dass einer seiner zwei Söhne irgendwann den Familienbetrieb übernimmt. Bei seiner vierjährigen Tochter macht er sich weniger Hoffnung. Die habe schon erklärt, dass sie Vegetarierin sei, sagt er. „Aber Bolognese isst sie immerhin noch.“
Foto: Karsten Wegener, Idee/Design; Silke Baltrutschat, Foodstyling: Raik Holst