Thema – Terror

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Mythos und Moral

Der Terror der RAF und der Kampf dagegen haben die Bundesrepublik fast drei Jahrzehnte lang geprägt – ein Rückblick

Es beginnt mit einem Sprung aus dem Fenster. Am 14. Mai 1970 darf der im Gefängnis sitzende Kaufhausbrandstifter Andreas Baader mit zwei Bewachern ausnahmsweise in das Deutsche Zentralinstitut für soziale Fragen der FU Berlin, wo er sich mit der Journalistin Ulrike Meinhof trifft, um gemeinsam an einem Buch zu arbeiten. Das zumindest ist der Vorwand. In Wahrheit wird Baader spektakulär befreit: Drei Frauen und ein Mann stürmen bewaffnet den Lesesaal, setzen die Justizbeamten außer Gefecht und schießen einen Angestellten an. Dann springen alle aus dem Fenster im Erdgeschoss und rasen mit bereitgestellten Fluchtwagen davon. Zurück bleiben zwei blonde Perücken, eine Zigarettenschachtel und eine Pistole mit Schalldämpfer.

„Rote Armee Fraktion“ wird sich die Gruppe später nennen, doch nach der Baader-Befreiung heißt sie nicht nur bei der Polizei erst einmal „Baader-Meinhof-Bande“. Es sind die linksextremen Reste der Studentenbewegung der 1960er-Jahre. Nicht nur in Deutschland protestieren damals viele junge Menschen gegen den Vietnamkrieg, die rigide Sexualmoral, die Nichtaufarbeitung des Nationalsozialismus oder auch die Unterstützung der westlichen Industriestaaten für autoritäre Staatsoberhäupter wie den Schah von Persien. Der besucht am 2. Juni 1967 Berlin und wird von Politikern, aber auch von Tausenden Demonstranten begrüßt. Bei den Protesten wird der Student Benno Ohnesorg in Westberlin von einem Polizisten erschossen. Ohnesorgs Tod treibt viele junge Menschen in die Verzweiflung, einige von ihnen radikalisieren sich daraufhin, werden Extremisten – manche greifen sogar zu den Waffen.

Als im April 1968 der Studentenführer Rudi Dutschke von einem Rechtsradikalen auf dem Ku’damm angeschossen wird, eskaliert die Situation. Tausende Menschen versammeln sich vor dem Hochhaus des Springer-Verlags, dessen „Bild“-Zeitung seit Jahren gegen die Studenten und besonders Dutschke („Polit-Gammler“) hetzt, werfen Steine und stecken Fahrzeuge in Brand. „Wirft man einen Stein, so ist das eine strafbare Handlung. Werden tausend Steine geworfen, ist das eine politische Aktion“, sagt Ulrike Meinhof damals auf einer Versammlung.

Zwei Jahre später ist die einst angesehene Journalistin eine gesuchte Kriminelle, deren Bild nach der Baader-Befreiung Fahndungsplakate schmückt („10.000 Mark Belohnung“). Meinhof hält aus dem Untergrund dagegen: „Wir sagen, natürlich, die Bullen sind Schweine, wir sagen, der Typ in der Uniform ist ein Schwein, das ist kein Mensch … und natürlich kann geschossen werden.“ Diesen Worten lässt die RAF vor allem im Mai 1972 Taten folgen. Bei Anschlägen auf zwei Quartiere der US-Armee in Deutschland, einen Bundesrichter und das Springer-Verlagsgebäude in Hamburg werden vier Menschen getötet und 41 verletzt.

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RAF Fahndungsplakat des Bundeskriminalamts, 1972 (Foto: picture alliance / akg-images)

RAF Fahndungsplakat des Bundeskriminalamts, 1972

(Foto: picture alliance / akg-images)

Die RAF kämpfte vor allem für die eigenen Leute

Doch schon wenig später scheint der Spuk bereits vorbei zu sein. Die Polizei nimmt im Juni 1972 die führenden RAF-Terroristen fest: Neben Baader und Meinhof sind das Gudrun Ensslin, Holger Meins und Jan-Carl Raspe. Sie alle werden bis 1974 in die JVA Stammheim bei Stuttgart gebracht. Doch auch aus dem Gefängnis heraus führt die RAF ihren Kampf weiter: Es gelingt ihr, die Gefangenen in der Öffentlichkeit nicht als Terroristen, sondern als politische Gefangene darzustellen, die im Gefängnis psychischer Folter ausgesetzt sind. Viele Jahre später wird bekannt, dass Baader und Co. sogar mehr Freiheiten als alle anderen Häftlinge hatten – doch damals ist der Mythos von der „Vernichtungshaft“ das beste Mittel, um neue Terroristen zu rekrutieren.

Für die sogenannte zweite Generation der RAF wird die Befreiung der Gefangenen zum Leitthema – vom Kampf für soziale Gerechtigkeit, der in früheren Bekennerschreiben beschworen wurde, ist nicht mehr die Rede. Um die Genossen im Gefängnis freizupressen, überzieht die RAF das Land mit einer neuen Welle der Gewalt: Im April 1977 wird Generalbundesanwalt Siegfried Buback erschossen, im Juli der Dresdner-Bank-Vorstandsvorsitzende Jürgen Ponto.

Die Zeit von September bis Oktober geht schließlich als „Deutscher Herbst“ in die Geschichte ein: Zunächst wird der Präsident des Arbeitgeberverbandes, Hanns Martin Schleyer, entführt und dabei sein Fahrer ebenso wie seine drei Bodyguards erschossen. Die Täter drohen damit, auch ihn zu erschießen (was sie später tun), sollten die Häftlinge in Stammheim nicht freigelassen werden. Das wollen auch die palästinensischen Terroristen, die am 13. Oktober auf Mallorca eine Lufthansa-Maschine kapern – mit mehr als 80 deutschen Touristen an Bord. Nach einem Irrflug landet die Maschine im somalischen Mogadischu, wo die Geiselnahme von der deutschen Antiterroreinheit GSG 9 beendet und die Geiseln befreit werden. Als die Häftlinge in Stammheim von der gescheiterten Freipressung erfahren, begehen Baader, Ensslin und Raspe Suizid, ihre Mitgefangene Irmgard Möller wird schwer verletzt in ihrer Zelle aufgefunden. Der nächste Mythos entsteht – diesmal der vom staatlichen Mord an den Häftlingen. Und auch dieser wird zum Mittel, um junge Menschen für den bewaffneten Kampf im Untergrund zu gewinnen.

Bereits 1976 waren neue Gesetze erlassen worden, um die Suche nach den Terroristen zu erleichtern. Kern der sogenannten Antiterrorgesetze ist der neue Paragraf 129a, der die Mitgliedschaft in einer „terroristischen Vereinigung“ unter Strafe stellt. Die weitreichenden Möglichkeiten der Polizei, Verdächtige zu kontrollieren, werden in Teilen der Bevölkerung als Angriff auf die bürgerlichen Freiheiten gesehen. Doch der massive Fahndungsdruck führt zum Erfolg. Im November 1982 werden die führenden Köpfe der RAF festgenommen: Brigitte Mohnhaupt und Christian Klar.

Filme zeigen die Mörder als tollkühne Polit-Desperado

Der Terror ist damit allerdings nicht vorbei, im Gegenteil: Die dritte Generation der RAF erweist sich als äußerst brutal. So richten ihre Mitglieder – nur um an einen Ausweis zu kommen – einen jungen US-Soldaten mit einem Kopfschuss regelrecht hin. Neben Militärs rücken nun Bankmanager, Politiker und Industrielle ins Visier des Terrors. Ermordet werden der Rüstungsmanager Ernst Zimmermann, der Forschungsleiter der Siemens AG, Karl Heinz Beckurts, und sein Fahrer sowie der Di­plomat Gerold von Braunmühl. Am 30. 11. 1989 stirbt der Sprecher der Deutschen Bank, Alfred Herrhausen, durch eine Autobombe, und am 1. 4. 1991 wird der Treuhand-Chef Detlev Karsten Rohwedder mit einem Schuss durch ein Fenster in seiner Villa getötet.

Zu diesem Zeitpunkt aber nehmen bereits die Zweifel am bewaffneten Kampf innerhalb der RAF zu. Unterstützer beklagen die unnützen Opfer, und manche der inhaftierten Mitglieder fordern aus dem Gefängnis heraus die Auflösung der Terrorgruppe. Doch die lässt noch einige Jahre auf sich warten: Erst am 20. 4. 1998 geht bei der Nachrichtenagentur Reuters ein Schreiben ein, in dem die RAF ihr Ende verkündet. „Vor fast 28 Jahren, am 14. Mai 1970, entstand in einer Befreiungsaktion die RAF. Heute beenden wir dieses Projekt. Die Stadtguerilla in Form der RAF ist nun Geschichte“, heißt es darin, dazu die Namen der 26 RAF-Terroristen, die im Kampf ihr Leben verloren. Die 34 Opfer werden hingegen mit keinem einzigen Wort erwähnt.

Das bleibt auch bis heute so. Von den inhaftierten RAF-Terroristen trugen in den vergangenen 20 Jahren nur wenige zur Aufklärung der Verbrechen bei – viele Taten, besonders die der dritten Generation, sind bis heute unaufgeklärt, was für die Angehörigen der Ermordeten den Umgang mit dem Geschehenen zusätzlich erschwert. Dasselbe gilt mitunter, wenn die Verbrechen in Büchern oder Filmen als Kulisse herhalten müssen und die Mörder als tollkühne Polit-Desperados gezeigt werden. Denn der RAF-Terror hatte nichts Glamouröses, sondern ließ zahlreiche Leben einfach erlöschen.

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