Erstaunlich, wie viele „Freundschaften“ sich so über die Jahre bei Facebook ansammeln – und als Mittelpunkt meines digitalen Freundschaftsnetzes bin ich auch in Geschäftsinteressen verstrickt. Und zwar als Konsumentin und als Werbetreibende. Was erzählt mein Sammelsurium an Facebook-Freunden über meinen ökonomischen Wert?
Nur mal angenommen, ich würde in einem Post erwähnen, dass ich meinen anstrengenden Arbeitstag nur dank einer leckeren Mate-Limonade überstanden habe: Meine Freunde würden es mitbekommen. Sie sehen auch, was ich sonst so mag –oder besser gesagt, was mir gefällt. Ein Plattenlabel, das Start-up einer Freundin, ein Nachrichtenmagazin, das koreanische Restaurant um die Ecke. Und ich soll noch viel mehr liken: 168 Freunde haben mich eingeladen, eine Seite mit dem kleinen blauen Daumen zu markieren. Nina fragt, ob mir die Kaffeemanufaktur gefällt, für die sie seit Kurzem arbeitet. Außerdem habe ich gesehen, dass es Jonas in einem Hotel im Schwarzwald ganz gut gefallen hat. Und 43 Freunde interessieren sich für ein neues Festival nächstes Jahr.
Generation „Word-of-Mouth-Marketing“
Meine Freunde und ich gehören zu einer Generation, für die Kaufempfehlungen schon immer (oder zumindest seitdem wir genug Geld verdienen) aus dem Internet kamen. Indem wir teilen, kommentieren, bewerten und empfehlen, sind wir Teil dieses Werbesystems –bewusst oder unbewusst. 87 Prozent der 18-bis 24-jährigen Deutschen empfehlen Produkte und Marken in sozialen Medien weiter.
Empfehlungsmarketing nennen Unternehmen das. Im Englischen: Word-of-Mouth-Marketing. Was ihre Kunden im Internet über sie sagen und wie sie ihre Produkte bewerten, entscheidet heutzutage über Erfolg oder Nichterfolg einer Marke. Denn genau dort holen sich die Menschen ihre Informationen: 91 Prozent der deutschen Internetnutzer suchen online nach Waren und Dienstleistungen. Und bei Kaufentscheidungen ist die Meinung anderer längst viel wichtiger als klassische Anzeigen in Printmedien, im Fernsehen oder auf Onlinebannern: Einer Studie aus dem Jahr 2015 zufolge verlassen sich 78 Prozent der befragten Deutschen auf die Empfehlung von Freunden und Bekannten und immer noch 62 Prozent auf die Bewertungen anderer Konsumenten im Internet.
Gerade in einer Zeit, in der die Angebots-und Informationswelten immer unübersichtlicher werden, ist Vertrauen eine wichtige Währung. Das zeigen auch wissenschaftliche Untersuchungen zur Wirkung von sozialen Medien auf unser Konsumverhalten: Wenn wir einer Empfehlung vertrauen, wenn sie also glaubhaft oder neutral auf uns wirkt, dann steigt unsere Kaufabsicht signifikant an.
Social Media statt Plakate
Und genau hier kommen unsere Kontakte in den sozialen Medien ins Spiel: all die Freunde, Nachbarn und Kollegen, aber auch Influencer und Promis, denen wir auf Facebook, Twitter und Instagram folgen. Das wissen auch die Unternehmen. Ihre Marketingstrategien auf private Onlinebeziehungen zu konzentrieren ist kostengünstiger, als Millionen in teure Werbekampagnen zu stecken oder ganze Großstädte zu plakatieren. Und es gilt auch als die wirkungsvollste Form der Neukundengewinnung.
Sechs Billionen Dollar Umsatz werden jährlich durch Word-of-Mouth-Marketing gemacht
Schafft es ein Unternehmen, die eigene Weiterempfehlungsrate um nur zehn Prozent zu erhöhen, kann das zu einem Umsatzgewinn von bis zu 1,5 Prozent führen. Wie viel Geld jedes Jahr durch diese Form des Marketings umgesetzt wird, dazu gibt es verschiedene Schätzungen. Die „Word of Mouth Marketing Association“ spricht von insgesamt sechs Billionen US-Dollar.
Allein auf Facebook werden täglich mehr als drei Milliarden Likes vergeben. Der Durchschnitts-User verteilt jeden Monat zehn Likes. Je mehr man als Unternehmen davon abgreift, desto besser für den Marktwert: Dieser erhöhte sich schon 2013 bei großen Marken im Durchschnitt um 174 US-Dollar je Facebook-Fan.
Aber warum machen wir das eigentlich? Warum versenden wir Links zu Interior-Stores, posten auf Instagram unsere neuen Sneaker beim Sonntagsspaziergang und werben mit unseren Likes für Fernsehshows? Warum schreiben wir bei Amazon-Bewertungen unter antihaftversiegelte Aluminiumpfannen und raten Freundinnen zu einer bestimmten Zyklus-App? Was treibt uns dazu?
Echte Empfehlung oder eher Selbstdarstellung?
Erstens meinen wir das natürlich gut. Wir helfen unseren Freunden gern dabei, sich einen Durchblick zu verschaffen, weil wir wissen, wie dankbar wir dafür manchmal selbst in einer übersättigten Warenwelt sind. Daneben stillt das Weiterempfehlen auch unser Mitteilungs-und Selbstdarstellungsbedürfnis: Uns selbst im Kontext bestimmter Produkte zu präsentieren verleiht uns Persönlichkeit und Coolness, weist uns als Insider oder als Teil einer bestimmten Szene aus. Und wir verteilen Likes, weil wir selbst welche bekommen wollen. Geben und nehmen, die Abwägung von Wohlwollen und Nützlichkeit.
Die Unternehmen forcieren dieses Verhalten, wo sie nur können: Sie interagieren mit den Kunden, also uns, schenken uns Aufmerksamkeit, fordern uns gezielt zum Bewerten auf („Deine Meinung ist uns wichtig!“) und belohnen uns, wenn wir Freunde anwerben.
Aber wie vertrauenswürdig sind die Tipps unserer Social-Media-Freunde, wenn man ihr Bedürfnis nach Selbstdarstellung einbezieht? Was sagt es mir über eine Freundin, dass sie einen Post über die Soja-Bolognese einer Biomarke gelikt hat? Dass sie ihr schmeckt? Oder viel eher, dass sie sich für all die Aspekte, die da mitschwingen – Gesundheit, Lifestyle, Tierschutz – eine Bestätigung wünscht? Noch verzwickter wird es mit der digitalen Mundpropaganda, weil Unternehmen zum Teil Blogger und Influencer für deren Empfehlungen bezahlen und sie sich so zunutze machen. Wenn die dann auf ihren YouTube-Channels und Instagram-Accounts von einem Auto oder einer veganen Hautcreme schwärmen, fühlt sich das für die meisten Follower trotzdem an wie der Tipp eines guten Freundes.
Titelbild: Max Siedentopf