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Der Finanzrebell

Der österreichische Schuhunternehmer Heinrich Staudinger ist überzeugt: Gemeinwohl steht über Profit – und ist mit seinen alternativen Wirtschaftsideen vielleicht gerade deshalb erfolgreich. Ein Porträt

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Heinrich Staudinger

Wer Heinrich Staudinger treffen möchte, muss zuerst ins österreichische Waldviertel und dann in eine Jurte. An der Grenze zu Tschechien, in der Kleinstadt Schrems, steht ein hölzerner Rundbau, dem traditionellen mongolischen Nomandenzelt nachempfunden. Dort verkauft Heinrich Staudinger, den hier alle „den Heini“ nennen, vor Ort produzierte Schuhe: die Waldviertler. Handgefertigte Lederprodukte, ein wenig klobig, aber dafür langlebig. Und wenn sie mal kaputt gehen sollten, gibt’s eine Reparaturwerkstatt. Günstig sind Waldviertler mit ihren durchschnittlich rund 150 Euro nicht. Trotzdem, vielleicht gerade deshalb, ist Staudinger ziemlich erfolgreich.

Staudinger empfängt im grünen Innenhof, wo er gerade eine Gruppe Besucher verabschiedet. „Unser Wirtschaftssystem macht die Welt kaputt“, referiert er mahnend: „Je erfolgreicher, desto zerstörerischer.“ Arbeiter würden ausgebeutet, die Umwelt kaputt gemacht, Produkte ließen sich immer seltener reparieren, Tonnen an Lebensmitteln würden weggeschmissen. Staudinger will es anders machen und bittet die Besucher, lieber bei ihm zu kaufen. Täglich und zahlreich kommen sie in die Kleinstadt mit ihren rund 6.000 Einwohnern, und wollen wissen: Wie geht nachhaltiges Wirtschaften? Was hat der Heini hier aufgebaut?

Heinrich Staudinger, 65, ist Geschäftsführer der Firma GEA, die heute 55 Geschäfte in Österreich, Deutschland und der Schweiz betreibt und in drei Standorten in Österreich, Tschechien und Ungarn produziert. Rund 300 Mitarbeiter erwirtschafteten 2017 einen Umsatz von 32 Millionen Euro. Neben Schuhen verkauft der Ökobetrieb auch Matratzen, Taschen und Möbel. In der Schremser Schuhfabrik verteilt Staudinger Bio-Lebensmittel an Mitarbeiter, er investiert in Solaranlagen und bezieht selbst eigenen Angaben nach keinen festen Lohn. Wenn er mal was braucht, geht er zur Kasse in der Jurte und lässt sich ein paar Hunderter geben, sagt er. Arbeit und Leben, das sei bei Heini eines. Kann ein Unternehmer so denken?

Revolutionärer Schrittmacher für die einen, naiver Dickschädel für die anderen

Unterstützer sehen Heinrich Staudinger als einen, der Ideen der Gemeinwohlökonomie lebt. Den Begriff prägte vor allem der österreichische Aktivist Christian Felber, der für ein Wirtschaftsmodell eintritt, bei dem nicht der reine Profit, sondern Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit im Vordergrund stehen. Manche Firmen erstellen nach seiner Idee Gemeinwohl-Bilanzen, die Lebensqualität und Fairness zählen. Messbar ist das freilich nur schwierig. Geld nicht als Selbstzweck zu sehen, sondern als Mittel für ein gutes Leben – so jedenfalls beschreibt Heinrich Staudinger das Ziel seines Wirtschaftens.

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Waldviertler

Von wegen herumschustern: 18 Auszubildende lernen bei GEA Waldviertel das Handwerk – mehr als die Hälfte aller Schuhmacherlehrlinge in ganz Österreich

Staudingers Kritiker halten ihn für einen naiven Idealisten und Dickschädel, mit dem sich nicht diskutieren lässt; tatsächlich differenziert Staudinger nicht immer gern. Das hat auch viel mit seinem Konflikt mit der Finanzmarktaufsicht (FMA) zu tun, der ihn vor sechs Jahren über die Grenzen Österreichs hinaus bekannt machte und ihm die Bezeichnung Finanzrebell einbrachte. Ein „zorniges Schlitzohr“, nannte ihn das Wirtschaftsmagazin brand eins damals. Staudinger selbst nennt sich „einen der populärsten Rechtsbrecher Österreichs“.

 

Als eine Bank Staudinger einen Kredit verwehrte, bat er Freunde und Bekannte, später auch Mitarbeiter und Kunden um Geld. Er gründete einen „Sparverein“, sammelte ab 2003 drei Millionen Euro und zahlte regelmäßig Zinsen aus. Bis sich 2008 die FMA bei ihm meldete: Staudinger betreibe Bankgeschäfte ohne Bankenkonzession, er müsse das Geld zurückzahlen. Es ging dabei vor allem um den Anlegerschutz: Wenn Banken pleite gehen, bürgt der Staat für Einlagen. Doch wer Staudinger Geld lieh, hatte diesen Schutz

Staudinger blieb stur, nannte den „Sparverein“ in „Apfelbäumchen-Club“ um, schimpfte öffentlich und rückte zum Behördentermin mit seinen Unterstützern an. Vielen Bürgern war unverständlich, warum ausgerechnet jetzt – nach der Lehman-Pleite und dem Beginn einer weltweiten Wirtschaftskrise, in der Banken milliardenschwere Finanzspritzen erhielten – ein kleiner niederösterreichischer Schuhunternehmer in die Mangel genommen werden sollte.

Staudinger verlor vor Gericht und musste eine Strafe von 2.626 Euro zahlen. Doch der Fall traf einen Nerv, und machte ihn über Österreichs Grenzen hinaus bekannt. Der Umsatz seines Unternehmens verdreifachte sich von 10 auf rund 30 Millionen Euro.

Der Schuster blieb nicht bei seinen Leisten

Ins Schuhgeschäft kam Heinrich Staudinger eher zufällig. Aufgewachsen im Salzkammergut, fuhr er nach der Schule mit dem Moped bis nach Tansania; bis heute reist er in das ostafrikanische Land und unterstützt dort Hilfsprojekte. Zurück in Österreich scheiterte er an einem Medizin-Studium. Als er in den siebziger Jahren in einem Münchner Geschäft „Earth Shoes“ entdeckte, beschloss er – ganz spontan –, so erzählt er es, diese zu importieren und zu verkaufen. Die Gesundheitsschuhe wurden von einer dänischen Yogalehrerin erfunden und waren bald so beliebt, dass die Nachfrage die Produktion überstieg. Als Staudinger keine zuverlässigen Lieferanten mehr fand, kaufte er 1991 eine kleine Schuhwerkstatt im Waldviertel, für einen symbolischen Schilling.

Die ersten Jahre waren ein Kampf – die Region Waldviertel ist das, was Ökonomen strukturschwach nennen. Früher arbeiteten Tausende Menschen in der Textilindustie, dann wanderte die Produktion in asiatische Billiglohnländer ab. Geblieben ist die Landesberufsschule in Schrems. Heute lernen dort 31 Lehrlinge das Handwerk des Schuhmachers, davon 18 in seinem Betrieb.

Dass Leute extra nach Schrems fahren, um vor Ort einzukaufen, hätte Staudinger, wie er beteuert, vor 20 Jahren selbst nicht geglaubt. Aber da war er auch noch kein Experte in Markenbranding, und auch das mit der List hat er erst später professionalisiert. Aktuell verbreitet er zum Beispiel gern: „Schrems ist das Zentrum. Es liegt zwischen Wien und Prag. Zwischen Budapest und Berlin. Zwischen Kiew und Barcelona.“ Dass das nicht stimmt? Geschenkt. „Immer mehr Leute glauben das aber“, sagt Staudinger.

 

Dank der hohen Nachfrage lässt Staudinger neben Schrems mittlerweile auch in Ungarn und im nahen Tschechien produzieren; ganz entkommt er der globalen Wirtschaftslogik also nicht. Leidenschaftlich schimpft er über die österreichischen Lohnnebenkosten. Seiner Meinung nach sind sie viel zu hoch.

Doch der Erfolg bestätigt ihn, weiterzumachen. Sein nächstes Ziel: GEA in eine Genossenschaft nach Vorbild der Tageszeitung taz umbauen. Seit 2015 sammelt Staudinger legal Geld, gedeckt durch das österreichische Alternativfinanzierungs-Gesetz, das durch seinen Streit mit der FMA ins Rollen gebracht wurde. Sein Apfelbäumchen-Club besteht nach wie vor. Mittlerweile stünden Hunderte auf einer Warteliste, die ihm Geld leihen wollen, sagt er. Aber Heinrich Staudinger, der Heini, hat vorerst genug.

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